Sonntag, Dezember 09, 2012

Hey hey my my, Rock'n'Roll will never die


Der Rock kommt in die Jahre und einige seiner Helden wollen sich damit nicht abfinden. Das sollten wir ihnen voraus haben.
Als Rod Stewart vor Jahren in einem Interview von Jay Leno gefragt wurde, wie sein luxuriöser Lebensstil mit dem Rock'n'Roll zusammenpasse, antwortete er knapp und ungehalten "Rocknroll ist auf der Bühne, ist Business, der Luxus ist privat." 
Als der amerikanische Aktivist Abie Hoffmann 1969 in Woodstock in die Performance der Who hineinplatzte,um für die Freilassung eines politischen Gesinnungsfreundes zu agitieren, warf ihn Rock-Ikone Pete Toshend kurzerhand mit einem kräftigen Tritt und einem Schlag mit der Gitarre von der Bühne. Als der Liedermacher Hannes Wader vor einigen Jahren über die Erwartungen, die alte Fans und Freunde an ihn und seine Lieder richten, sang, kam er zu dem Schluss, dass er sich schon einmischen werde, wenn er es für richtig befände, nicht wenn andere den Empörungsautomaten für ihn anwürfen. 

Im Jahre 2012 nun haben sich die Alt-Punker der Ärzte und der Toten Hosen dreißig Jahre nach ihren ersten Erfolgen wieder an ihre Anfänge in billigen Übungskellern und vor nicht mehr als dreißig Zuhörern erinnert. Die Ärzte, gestandene ältere Herren über 50, haben freundlicherweise im vorauseilenden Interesse ihre CD mit dem klingenden Namen versehen " "Ist das noch Punkrock?" Die Hosen erinnern sich in einem Song, der schnell hoch in die Charts einstieg, an das "Alte Fieber", von dem Wolf Maahn schon in den 80er Jahren sang. Und schon damals war klar, das die Träume vom ewigen Rock und Punk und Soul und Love & Peace vorbei und vom Ideenreichtum der Verwerter und Vermarkter längst eingesammelt worden waren. Dass man dreißig Jahre braucht, um dies zu verstehen, ist seltsam, irgendwie aus der Zeit gefallen, denn Anfang der 80er Jahre, als der sogenannte Punk schon wieder vorbei war und Gruppen wie die Hosen und die Ärzte ihre Siegeszüge durch die deutschen Jugendzimmer begannen, waren Elvis und der Rock'n'Roll, Woodstock und der Sommer der Liebe und auch die Energien des 70er Jahre Rock um Led Zeppelin oder Deep Purple lange aufgebraucht, vergessen und belächelt.
Rod Stewards Auskunft bei Jay Leno war nur die ehrliche Antwort eines der erfolgreichen Überlebenden der turbulenten Anfangsjahren des Rockbusiness auf die naive Frage eines Rock-Aficionados, der selbst lange nicht mehr in einer Sozialwohnung lebt. Rock'n'Roll war und ist Big Business und wenn heute, 2012, eine Gruppe wie die Toten Hosen sich hinstellen und behaupten, sie hätten mit ihren zweieinhalb Akkorden, kaputten Hosen und bunten Haaren einem irgendwie anti-bürgerlichen Ziel folgen wollen......, dann sollten sie dies mit der gehörigen Portion Humor vortragen, den diese alberne Behauptung nur verdient. Als Frank Zappa einfach sang "We're only in it for the Money" fanden dies die wenigen Hörer, die er fand, vielleicht ganz witzig, nur glauben haben sie es ihm nicht wollen. Die anderen haben es gar nicht erst gehört und deshalb ignoriert. Den ersten Skandal gab es in den 60ern, als die Beatles ihren Orden Member of the British Empire von der Queen entgegen nahmen. John Lennons witzige Moderationsbemerkung, die Herrschaften in den Logen könnten ja statt in die Hände zu klatschen, mit ihren Juwelen klimpern, ist in den Zitatenschatz der Rock- und Pop-Kultur eingegangen und schließlich dort liegen geblieben. 

Wer also dreißig Jahre nach 1982 so tut, als habe er damals Neuland betreten und die Verhältnisse um und um gepflügt, der weiß es entweder aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht besser oder er will jemanden über seine wahren Motive täuschen. Die deutschen Punks waren Nachahmer der Gründungsgeneration der Bewegung in England, wo bestimmte soziale Entwicklungen und Verhältnisse diese neue Ausprägung der immergleichen protestierenden Jugendbewegung bestimmten. Deutschland hatte schon damals völlig andere soziale Verhältnisse, so dass die deutschen Epigonen mit ihrem Klavier- und Wandergitarrenunterricht im Rücken eine sehr bürgerliche Revolution versuchten,die im Wesentlichen eher einem Kostümfest glich, als einer Revolution, die in der Lage gewesen wäre, den Machern die eigene materielle Grundlage unter den Füßen wegzureißen. Sid Vicious war schon seit 1979 tot, hatte für seinen exzessiven Lebensstil den höchsten Preis gezahlt und war dafür wie Buddy Holly, Jimi Hendrix, Brian Jones, Janis Joplin und Kurt Cobain in die Hall of Fame eingegangen, wo er fortan für die angebliche Parole "live fast, die young" den Posterboy spielen sollte. Neil Young hat das früh schon kommentiert, "it's better to burn out, than to fade away", und sich nicht am Weitermachen hindern lassen. 

Es mag sein, dass diese Ikonen des Rock auch daran gescheitert sind, dass ihr kommerzieller Erfolg mit den neuen, ungewöhnlichen Konsequenzen einer Karriere mit den wachsenden Möglichkeiten der Massenkommunikation völlig neue Anforderungen stellte. Sie scheiterten auch an der Tatsache, dass sie plötzlich Geschäftsleute waren, die ungeheure Summen verdienten und für weitere ungeheure Summen verantwortlich waren, die mit Hilfe ihrer Kreativität verdient werden sollten. Bob Dylan ging das Business schon nach wenigen Jahren einer beispiellosen Karriere derart auf die Nerven, dass er sogar kurzzeitig ausstieg, nachdem er sich zu allem Überfluss bei einem Motorradunfall schwer verletzt hatte. Dylan wurde von der ständigen Frage gepeinigt, welche Botschaft er zu verkünden habe. Als er darauf die einfache Auskunft geben wollte, "ich habe keine Botschaft zu verkünden", fand er sich mit einem unversöhnlichen Block von Fans und Fachleuten konfrontiert, der ihn nicht mehr in Ruhe Künstler sein lassen wollte. 

In Deutschland hat sich die vereinigte Fangemeinde des Rock und Pop bis heute nicht mit dem Gedanken abfinden können, dass es in diesem Business nicht um Botschaften, sondern zunächst um Konsumprodukte und Dienstleistungen im allerweitesten Sinne ging und geht. Die Castingshows der Gegenwart, egal welche man nimmt, belegen eben dies sehr treffend. Was dort als Traum der Jungen und der Massen angepriesen wird, ist auf der anderen Seite die Notwendigkeit der Musikindustrie, neue Talente für die Vermarktung zu selektieren und zu casten. Seit Jahrzehnten ist dies die Aufgabe der sogenannten A&R-Manager, Artists And Repertoire, die nach den Talenten suchen. Nichts Anderes geschieht hier, daher ist oftmals weniger die Qualität der Performance wichtig, als ihre schlussendliche Vermarktbarkeit. Wer etwas anderes vermutet, der soll sich künftig besser informieren lassen. 

So stellt sich natürlich auch nicht wirklich die rhetorische Frage, ist das noch Punkrock?, wenn sie ein Endfünfziger, Mitglied des Establishments und erfolgreicher Geschäftsmann, stellt. Andererseits ist all das, was musikalisch nach den Gestaltungsregeln des Punk daher kommt, Punkrock, was denn auch sonst? Alles andere mag dann Wandermusik oder Tanzmusik sein, das wird man leicht am Klang und am Feeling erkennen. Ein Geheimnis ist das wirklich nicht. Musik hat es in den letzten fünfzig Jahren vermocht, sich als Welterklärungsformel, als Soundtrack des Lebens, als leicht verfügbare, immer konsumierbare Hilfskonstruktion zur Findung und Bestätigung der eigenen, meist noch noch jugendlichen Identität zu etablieren. Die immer mehr zunehmende Erweiterung der technischen Empfangs- und Präsentationsmöglichkeiten fördern dies nur noch. Inzwischen hat sich die Musik völlig von jedem Anspruch, einer Botschaft zu folgen, losgelöst, nur der arme Bob Dylan wird noch im hinterletzten Auftrittsort seiner Never Ending Tour mit dieser Frage belästigt. Allen anderen, wie etwa Udo Lindenberg, hört man lächelnd zu, wenn er von seinen Anfängen singt und schildert, wie er davon träumte, dermal einst im 5-Sterne-Hotel residieren zu können. In der Tasche dabei die Drumsticks und eine Wodkaflasche, Insignien des künftigen Images. Gleiches gilt für die Berichte des Grafen von Unheilig, der davon erzählt, es habe ihn zehn Jahre harte Arbeit und manche stilistische Kehrtwende gekostet, bis er als Besinnungsrocker Erfolg hatte.

Der Rock'n'Roll ist älter als der Punk und er ist offenbar eine Kraft, die die Fähigkeit besitzt, sich immer wieder selbst neu zu erfinden. So wie die Toten Hosen und die Ärzte, die von den Vorbildern und Sprachrohren einer mehr oder weniger sprachlosen Protestbewegung zur Unterhaltungskapelle des Establishments wurden. Damit sind sie heute allerdings wesentlich ehrlicher und authentischer als zu ihren besten Zeiten ehedem. Dass Musiker ihren Lebensunterhalt verdienen müssen und nicht für nen Gruß und gute Worte arbeiten können, ist völlig klar und selbstverständlich. Aber sie sollen uns keinen Unsinn über ihre Motive erzählen, sie können gerne sagen, sie seien die Wiedergeburt von Elvis oder die Neuerfindung des PunkFunkSoulRock-Genres. Aber sie sind niemand mit einer Botschaft, mit einer Lehre, mit politischen Inhalten. Und man braucht sich wirklich keine Gedanken darüber zu machen, ob der Punk noch lebt, er ist mindestens so tot wie Sid Vicious und mindestens so indifferent wie der HipHop aus South East Central Los Angeles. 

Wenn ein hessischer Radiosender mit dem Slogan "Gib mir das Fieber zurück" für sich wirbt, dann muss man sich nicht ernsthaft darauf einlassen. So wie der Rock'n'Roll sich ständig verändert hat und sich hartnäckig weigert, sich vereinnahmen zu lassen, so muss auch sein Fan dieser Tatsache Tribut zollen. 1982 bis 2012 sind dreißig Jahre Lebenserfahrung für die Silberrücken, die ehemals als Hippie, Indie-Rocker, Punker oder HipHopper die Straßen unsicher machten, sind dreißig Jahre Zeit und Gelegenheit, aus der Pubertät und Adoleszenz ins reife Mannes- oder Frauenalter zu wachsen. Die Musik, die man dabei als Soundtrack mit sich nimmt, wird dadurch nicht schlechter. Der Rock'n'Roll ist noch lange nicht am Ende, das ist die gute Nachricht. Nun müssen nur noch seine Helden in Würde altern, dann passt es wieder. „School's out“ von Alice Cooper war gestern, heute darf es schon mal „I can`t forget but I can't remember what“ von Leonard Cohen sein. 


http://www.youtube.com/watch?v=MhlOoqXVwy4
Rod Stewart und Jay Leno 1993


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