Die Leere danach....
Es
ist geschehen, was viele Experten schon lange als unausweichlich
bezeichnet hatten, der Bundespräsident Wulff müsse zurücktreten. Es ist geschehen und es zeigt sich, dass der
Rücktritt keineswegs eine befreiende Wirkung hat, sondern nur
wiederum offenlegt, wie wenig souverän die verantwortlichen Damen
und Herren mit der Situation umzugehen verstehen. Wulff, kaum 48
Stunden aus dem Amt, schrumpft innerhalb von Nanosekunden zu einer
publizistischen Fußnote. Allenfalls das Ergebnis der
staatsanwaltlichen Ermittlungen wird noch einmal für Aufsehen, für
ein geringes öffentliches Aufsehen, sorgen. Schon als die Meldung
vom Antrag der Hannoveraner Staatsanwälte auf Aufhebung der
Immunität über die Bildschirme geisterte, wies man eifrig darauf
hin, dass 80 bis 90 Prozent - so genau wollte man es dann doch nicht
wissen - der aufgenommenen Ermittlungen ergebnislos eingestellt
wurden. Wulff hat diese Erkenntnis nicht mehr geholfen, er wird nun
die Ermittlungen über sich ergehen lassen und feststellen, dass
Vorwürfe, die eben noch, während seiner Amtszeit inkriminiert
wurden, als belanglose Petitessen abgetan werden und auf den hinteren
Plätzen der Meldungsspalten landen.
Und
nun, nachdem er gegangen ist, wird man auch zugeben können, dass die
Fehler des Niedersachsen nicht das Zeug für eine veritable
Staatsaffäre hatten und haben. Statt dessen gilt es nunmehr, die
Strecke der Verlierer zu sichten, Gewinner und Profiteure auszumachen
und sich nach neuen Highlights umzusehen. Wulff ist weg und es
scheint, als habe sein Abgang schlussendlich mehr Bedeutung für die
politische und gesellschaftlich führende Kaste als für den
Durchschnittsbundesbürger. Es muss in den letzten Wochen einer Menge
von Angehörigen der Parteien und Parlamente zigfach eiskalt über
den Rücken gelaufen sein, als ihnen klar wurde, wie dünn das Eis
ist, auf dem sie über die öffentliche Bühne schliddern. Kleinere
und kleinste Verfehlungen werden unter dem Brennglas der öffentlichen
Aufmerksamkeit plötzlich wichtig und von angeblich öffentlichem
Interesse. Manch einer mag sich gefragt haben, ob ein unbezahltes
Knöllchen, ein großzügiges Geschenk oder die Ex-Freundin ihm noch
gefährlich werden könnten. In vielen Gesprächsrunden, in denen die
Causa Wulff diskutiert wurde, hallte der schiere Schrecken nach, der
sich verbreitet hatte, nachdem es wieder einen aus der höchsten
Riege der politischen Verantwortungsträger herauskatapultiert hatte.
Offenbar wurde schlagartig, dass keine Deckung wasserdicht, kein
Versteck unauffindbar und kein Gerücht wirksam zu stoppen ist. Die
Illusion, angesichts der eigenen Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit
vor solchen Anwürfen geschützt zu sein, zerstob knallartig und
verbreitete kurzfristig Angst und Schrecken. Welche Kontakte zu den
Medien sind noch was wert? Was ist von dem Bonmot des Springer-Chefs
Döpfner zu halten, der gesagt hatte, wer mit der Bild-Zeitung nach
oben komme, der gehe mit ihr auch wieder (r)unter? Eine Drohung, eine
Klarstellung?
Wie
kann denn in Zukunft noch ein vertrauensvoller Kontakt aufgebaut und
gepflegt werden, wenn die Regeln, nach denen das Spiel gespielt wird,
so volatil und leicht zu verändern sind? Wer sich die Mühe
oder den Spaß gemacht hat, möglichst viel über die Angelegenheit
zu lesen und dabei auch diejenigen Stimmen zur Kenntnis zu nehmen,
die nicht zu den meinungsführenden Publikationen gehören, der
konnte feststellen, dass außerhalb der Festung Berlin-Mitte schon
mal eher der gesunde Menschenverstand die Oberhand behielt und dass
oftmals eine eigenartige Haltung des staunenden Beobachters
wahrzunehmen war, der nicht glauben mochte, was sich da vor seinen
Augen abspielte. Journalisten, die oft und gerne mit ihrem
Nicht-Wissen kokettieren und gerade daraus die Selbstverpflichtung
zum unerbittlichen Nachbohren und -suchen ableiten, stellten
plötzlich fest, dass Politiker Menschen sind, Menschen, die
möglicherweise verführbar sind und möglicherweise auch unüberlegt
handeln. Journalisten, die extrem darauf aus sind, sich bestens zu
vernetzen und Kontakte in Alle Himmelsrichtungen zu haben, diese
Journalisten ließen zu, dass auf diese Beziehungen und ihre Pflege
der Schatten des pauschalen Verdachts fiel. Und eben diese
Journalisten lassen gerade indessen Moment ihre Beziehungen spielen,
um möglichst nahe an den Entscheidungsprozess hinter verschlossenen
Türen zu kommen, wenn es darum geht, den Nachfolger zu küren. Und
es funktioniert, wie man allenthalben lesen kann. Die Quellen
sprudeln, die Informationen werden ausgetauscht, bald schon werden
Dossiers in Redaktionen vorliegen, die dort nicht hingehören, werden
Detailinformationen aus vertraulichen Gesprächen veröffentlicht,
die so nie an die Öffentlichkeit sollten. Dass auf der Methode
dieser Informationsbeschaffung der Hauch der moralischen
Fragwürdigkeit liegen könnte, ist als Argument in der
(ver-)öffentlichen Diskussion nicht zugelassen. Durchstechereien und
Indiskretionen sind Scoops, sind Erfolge, die man sich wie Skalps an
den Gürtel hängt und die das Ansehen in der Meute sichern.
Frank Schirrmacher spricht aus, was zur Ursachenforschung beiträgt
Manch
einem mag jedoch der Gedanke durch den Kopf gegangen sein, wie
unsicher und gefährdet die eigene Stellung im politischen und
gesellschaftlichen Gefüge tatsächlich ist, wenn man diese Stellung
als Wahlamt oder per Ernennung erhalten hat. Die eben schon einmal
angesprochenen Gesprächsrunden im TV vereinen regelmäßig
Angehörige dieser privilegierten Stände, die über ein Mitglied
urteilen sollten oder wollten, das offensichtlich gegen den Kodex
verstoßen hatte, der da lautet "übertrieb' es niemals!"
in diesem Licht nämlich wurde über normale Abläufe gesprochen,
wurde erklärt, wer welche Quellen besitzt, um an Güter des
täglichen Bedarfs zu kommen, wer welche Kontakte hat, um in den
Genuss bestimmter Erholungs- und Reisevorzüge zu kommen. Und am
Rande wurden sogar die Journalistenrabatte thematisiert.
Man
hat dabei sogar erstmals zugelassen, dass über die sozialen und
gesellschaftlichen Implikationen der Vorwürfe gegen Wulff gesprochen
wurde. Wulff, der Aufsteiger, der angepasste Underdog, der
beifallssüchtige Loner, der aus Furcht vor dem Abstieg Fehler über
Fehler machte. Wer auch immer diese Diskussionsführung begonnen hat,
der hat in der Sache zutreffend, aber in der Zielrichtung obskur,
zugelassen, dass die gesellschaftliche Errungenschaft der sozialen
Durchlässigkeit, der Chancengleichheit und der Förderung nach
Leistung, nicht nach Geburt und Abstammung, in Zweifel gezogen wurde.
Dabei hat ein anderes Beispiel uns trefflich vor Augen geführt, dass
der Abkömmling weiland höherer Stände keineswegs moralisch
gefestigter handeln muss.
Stattdessen
hat die deutsche Aufsteigergesellschaft einen der ihren dafür
bestraft, gegen die Regeln der Diskretion und Obacht verstoßen zu
haben, die an die Stelle der vormals gültigen Gottgewolltheit
bestimmter Zustände getreten ist. Kevin Costner hat in seiner
Trauerrede für Whitney Houston darauf angespielt, dass es zum Fluch
des Ruhms werden kann, sich ständig der Frage stellen zu müssen, ob
man denn noch immer gut genug sei, um den Ruhm zu verdienen. In
Deutschland hat man die Frage anders gestellt: Ist man verschwiegen
und clever genug, um noch zum Club dazu gehören zu dürfen? In den
Talkshows wurde dieses Dilemma offenbar, als man sich nicht auf
gültige moralische Standards einigen konnte, die anzulegen seien. Es
war offenbar nicht möglich, Bezug auf einen allgemeingültigen Kodex
zu nehmen, der unbestritten wäre. Statt dessen wurden
formalrechtliche Argumente ebenso benutzt und missbraucht wie
nassforsche Unbekümmertheit. Grundgesetz und Strafgesetzbuch plus
Richtlinien und Handlungsvorschriften sind offenbar weder sakrosankt
noch bekannt, so dass sich ein jeder erst einmal ausprobieren kann,
bis er gesagt bekommt, dass er die Grenze des Erlaubten überschritten
hat. Klar, dass in diesem Zwielicht gut über Verfehlungen und Schuld
zu streiten ist.
Eben.....
Insofern
kann man die Causa Wulff und ihre mediale Behandlung als
Selbstgespräch der meinungsführenden Gruppen verstehen, ein
interner Klärungsprozess, bei dem man über die Klubmitgliedschaft
eines einzelnen stritt und sich dabei von Millionen zuschauen ließ,
die nicht dazu gehören. Die Frage, ob für die Zugehörigkeit zu
diesem Klub tatsächlich ein objektiv belegbarer Leistungsnachweis
notwendig ist, stellte sich dabei nicht.
Und
so besteht die Gefahr, dass die Regelung der Wulff-Nachfolge nur dazu
dient, die Mechanismen der Gesellschaft, so wie wir sie um uns herum
haben, nur zu bestätigen und zu stärken.
Ob Wulff bis heute gescheitert ist, weil er Fehler gemacht hat, weil
er sich etwas zuschulden hat kommen lassen, oder weil er unsere
gültigen moralischen Standards verletzt und zu lange gezögert hat,
sich dazu zu bekennen, bleibt völlig offen und wird auch nicht bei
der Staatsanwaltschaft Hannover oder den zuständigen Gerichten
geklärt werden. Es würde einer öffentlichen Debatte bedürfen, um
diese Frage zu klären. Einer Debatte mit Beteiligung aller
gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen. Das Amt des Bundespräsidenten
könnte, wenn es denn tatsächlich Schaden genommen hat, ein weiteres
mal beschädigt werden. Dann nämlich, wenn der Nachfolger einfach
zur Tagesordnung übergeht. Der König ist tot, lebt der König?