Freitag, März 30, 2012

Wider die digitale Bilderstürmerei

Ein polemischer Einwurf

Hatte es noch eines weiteren Beweises bedurft, wie inhaltsvergessen und egozentriert die Internet-Nerds und -Geeks die Welt sehen, dann wäre die aktuelle Diskussion um die Urheberrechte und deren Verwertung zur rechten zeit vom Zaun gebrochen worden. Gegner und Befürworter stehen sich unversöhnlich gegenüber und Diskussion in Begriffe purzeln munter durcheinander. Im Zentrum der Diskussion steht Sven Regener, Kopf der Indie-Rockband Element of Crime, der die niedrige Stirn hatte, nichts mehr und nicht steiniger als eine angemessene Bezahlung seiner geistigen Hervorbringungen zu verlangen. Dieses Pochen auf die Urheberrechte gilt bei den Gegnern nicht nur als uncool, sondern auch noch als Beweis für das reaktionäre Denken der analogen Generation. 

Es ist inzwischen wiederholt darauf hingewiesen worden, wie ignorant diese Haltung gegenüber allem ist, was bisher Grundlage unseres Rechtsstaates gewesen ist. Die Grenzenlosigkeit des Internets wird zum quasi rechtsfreien Raum erklärt, in dem wie damals am Klondike, jeder, aber auch wirklich jeder seinem Streben nach Glück nachgehen kann. Es gilt das recht des schnelleren, der der Rechtsgebung und -sprechung zuvor kommt und mit riesigen gewinnen davon kommen kann. Wenn es nach den Vertretern des neuen Nutzungsrechts im Netz gehen wurde, waren all jene Staaten vorbildlich, die kein Interesse an rechtsstaatlichen Regelungen jedweder Art haben. Das recht im Netz, auch das Urheberrecht, lässt sich nicht aus unserem Rechtssystem herauslösen und nach anderen regeln entscheiden , als jedes andere recht, Strafrecht, Handelsrecht oder was auch immer. 


Den Verteidigern des Umsonst- und Draußen-Prinzips im Netz mangelt es an jeglichem Sinn für diese kleinen aber feinen Unterschiede. Alternative Vorschläge, wie der Künstler sich trotz Verzichts auf seine Urheberrechte finanzieren könnte, laufen schlicht darauf hinaus, dass andere Vertriebs- und Bezahlsysteme skizziert werden, die alle naturnotwendigerweise auf die Erzielung von Profit abzielen, abzielen müssen, da der Profit von heute die Investition von morgen ist. Diese Diskussion markiert die Übergangslinie vom analogen zum digitalen Wirtschaften, übersieht aber in ihrem weitgehend fakten- und strukturblinden Widerspruch die Tatsache, dass damit nicht die Systemfrage gestellt oder gar beantwortet wird.

Während die Befürworter der Aufhebung des Copyrights eben dies in letzter Konsequenz für sich beanspruchen, ignorieren sie, dass sie einzig und allein über nachgeordnete Funktionsbereiche des Wirtschaftens reden, nicht aber darüber, ob wir demnächst etwa wieder die Tauschwirtschaft einführen. Offensichtlich findet man die ersten Opfer der Bildungsentrückung gerade in den Kreisen, die uns die Vorzüge der Schwarmintelligenz und der allzeit verfügbaren Wissenselemente nicht müde werden anzupreisen. Es zeigt sich jedoch, dass die Verfügung über die Quellen noch lange nicht sicher stellt, dass die Nutzung der Quellen angemessen effektiv geschieht. Wikipedia ist nur ein Haufen toten Wissens, wenn vor dem Notebook kein kluger Kopf sitzt, der es sinnvoll nutzt. Die gegenwärtige Bildungsstürmerei ist völlig Geschichts- und traditionsvergessen, wenn es dabei bleibt, dass Datenbanken und Daten-Clouds das Denken ersetzen. Die restliche Gesellschaft streitet sich in Teilen über den Erwerb von Bildung und die Verbreitung von Berufsqualifikation, da gehen andere gleichzeitig auf Distanz und treten den Schutz der Wissenshervorbringer mit Füßen. 

Was heute wichtig wäre, ist die verantwortungsbewusste Umstellung auf die Nutzung neuer Techniken mitsamt der zugehörigen rechtlichen Absicherung. Google gibt sehr viel Geld aus, um die kulturellen Erzeugnisse der Vergangenheit zu bewahren oder die Welt zu vermessen, muss sich aber völlig zurecht den Vorwurf machen lassen, unangemessen freizügig mit den rechten anderer umzugehen. Dabei ist Googles Vorstellung von der vollständigen Digitalisierung menschlichen Wissens etwas, wovon schon die Herren der Bibliothek in Alexandria geträumt hatten. So zeitgemäß und cool kann ur-analoges Denken sein.

Der Urherrechtsstreit offenbart die Notwendigkeit, die Entwicklung des Netzes nicht völlig unkontrolliert irgendwelchen Marktkräften zu überlassen. Und den Nerds sei empfohlen, sich wieder stärker mit den Ursprüngen des heutigen Wissensstandes zu beschäftigen. Das Internet ist nach wie vor keine Erkenntnismaschine, sondern nur ein gigantisches Archiv, chaotisch, verwinkelt, unvollständig. Es wäre sinnvoll, die Künstler, Denker und Intellektuellen mehr in dieses System einzubeziehen, um ihre Kreativität auch dort wirken lassen zu können. Wenn sie Gefahr laufen, Momente unter die digitalen Räuber zu fallen, wird das Netz bald wie ein ausgeraubtes Museum sein, leer und ohne Erklärung.

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