Sonntag, Februar 12, 2012

We take care of our own


Make love, not war.                                                   Hippie-Weisheit
Oh yeah? Try paying the fucking rent with it.                 Keith Richards 



Die heute über 50jährigen gehören zur Generation, die das Sagen übernommen hat. Die übliche kurzzeitige Regentschaft einer Altersgruppe, die bald schon wieder von der kommenden Generation abgelöst werden wird. Das ist keine neue Erkenntnis, nur eine Einsicht, wenn man feststellt, Teil dieser Altersgruppe zu sein, Erfahrungen und Einsichten zu teilen, Zugehörigkeit und Gewissheiten entwickelt zu haben, die schon wieder nach einem nur kurzen Intermezzo im Lichte der macht von nicht unbedingt neuen, aber wenigstens anderen Erfahrungen und Einsichten abgelöst werden . Man stellt es fest und geht zur Tagesordnung über, denn es ist noch genug an Arbeit zu erledigen, Entscheidungen zu treffen und Dingen zu regeln. 

Bei Tische aber liest sich dies gelegentlich anders, wenn der gesellschaftliche Rahmen, das nette Gespräch, das gute Essen, die entspannte Atmosphäre es zulässt, sich über so etwas wie Werte, Erziehung, Maßstäbe zu unterhalten. Dabei werden oft und gerne Geschichten erzählt, die einander ähneln, Wegmarken werden benannt, die viele teilen, Episoden der jüngeren Geschichte werden dafür verantwortlich gemacht,dass dies Denken und Werden diese oder jene Wendung genommen hat. Die Gesellschaft beginnt dann gelegentlich in diesen gemeinsamen Erinnerungen zu schwelgen, die Frage taucht auf, durften Sie schon 1972 Willy Brandt wählen? Waren sie als Brockdorf gestürmt wurde? Waren sie im Bonner Hofgarten dabei? Waren Sie im RCDS oder in der Juso-HSG? Wackersdorf? U2 in Berlin? Der 9. November 1989? 

Und schon bekommt man ein Gespür dafür, wie sich quasi eine innere Ausdifferenzierung ergeben hat, schon als die Ereignisse stattfanden, als der Sog der Erlebnisse noch seinen ganz speziellen Zauber entfaltete und die von ihm erfassten Menschen in die ihnen je eigenen Richtungen zu ziehen begann. Von diesen Markierungen im kollektiven Gedächtnis ziehen sich dann individuelle Entwicklungen, die belegen, wie völlig inkompatibel die Schlussfolgerungen aus den Erlebnissen miteinander gewesen sein können, obwohl sie auch 30 Jahre später noch beharrlich mit einem einzigen gemeinsamen Ursprung verbunden werden. Dabei scheint dieser gemeinsame Ursprung lediglich so etwas wie ein Durchgangsbeschleuniger gewesen zu sein, ein Initiaionsritus vielleicht, ein Ausdruck gemeinsamer Interessen oder Vorlieben, nicht mehr, nicht weniger. So haltbar sind diese Bande, dass auf ewig der Streit zwischen Beatles- und Rolling Stones-Fans weitergeht und sich an der Struktur der Gesellschaft, ihren Äusserungsformen, ihrem Verteilungs- und ihrem Gerechtigkeitsproblem jedoch nichts geändert hat.

Manche Kommentare in den Medien beginnen immer verzagter und verhaltener zu klingen, dabei aber auch, zumindest gelegentlich, immer deutlicher und klarer. Angesichts der Komplexität der Welt und ihrer Probleme, die sich weder in einem Anti-Kriegs-Slogan noch in einem 3-Minuten-Protestsong lösen lassen, kann man diesseits der 50 schon einmal melancholisch und zornig werden. 

Das Buch zur Diskussion


Dies vor allem, wenn man die Anfänge mit dem zwischenzeitlichen Ergebnis, dem aktuellen Zustand der Welt, vergleicht. Trotz der Warnungen des Club of Rome 1972 waren wir optimistisch, zur rechten Zeit die richtigen Antworten  auf die Fragen der Zeit geben zu können. Und tatsächlich, es fanden sich jede Menge Antworten von jeder Menge unverbrauchter Talente, teils brillant formuliert, allein, es fehlte immer wieder an den notwendigen Mehrheiten oder den günstigen Umständen. 

Der Sturm der Begeisterung um die Obama-Wahl 2008 gab ein letztes Mal noch einen Hauch von der Begeisterung frei, die Jahrzehnte zuvor die Woodstock Generation auf den Weg gebracht hatte. Und keine vier Jahre später steht der Mann, der, sich den realen Gegebenheiten beugend, für eine weitere große Enttäuschung gesorgt hat, wieder zur Wahl an. Und in Ermangelung eines besseren Entwurfs und in Erinnerung an den Kater vom letzten Mal schauen wir teilnahmslos zu, wie die Dinge sich in den USA entwickeln. Auf unserer Seite standen etwa Gerhard Schröder oder Joschka Fischer am Ende ihrer Laufbahn nicht mehr als Umwälzer und Veränderer da, sondern als Verwalter der realen Machtverhältnisse und zuguter letzt Profiteure der eigenen Karriereplanung. Und es gehört mittlerweile zum abgeklärten Ton der Generation 50plus dazu, sich darüber nicht mehr aufzuregen. Dazu hat man selbst nur zu intensiv die Erfahrung gemacht, wie schwer es mitunter sein kann, die fucking rent zu zahlen und seine Träume verwirklichen zu wollen. 

Diskussion zum Thema der nächsten Wochen....


Stoff für Songs, Filme oder Feuilletons bietet es dennoch allemal.
Die Ernüchterung der Woodstock-Generation geht einher mit der Einsicht, dass die Geschichte keine Versuchsanordnung für Erstsemester und keine Selbsterfahrungsgruppe für ambitionierte Aufsteiger ist. Rudi Dutschke hatte in einem Fernsehinterview die Behauptung aufgestellt, wir seien nicht die nützlichen Idioten der Geschichte. Am Ende sind wir uns da allerdings nicht mehr ganz so sicher: 
Die Atomkraft-nein-danke-Idee hat Fukushima nicht verhindern können, 
alle Europa-Sonntagsrhetorik hat den Eurocrash nicht vermeiden helfen können. 
Die Friedensbewegung sieht sich heute mit verlorenen und vergeblichen Kriegen in Afghanistan und Irak gegenüber. 
Die liberalen Bürgerrechtsideen der 70er Jahre flankieren heute Mehr oder minder hilflos die Oligopolisierung des Internets. 
Das wiedervereinigte Deutschland kämpft mit Rechtsradikalismus und Verteilungsstreitigkeiten. 

Die Zeit für die nun herrschende Alterskohorte, die Probleme innerhalb ihrer Amtszeit zu lösen, wird knapp. Und die Hoffnung, dass dies überhaupt ein realistisches Projekt sein könnte, schwindet immer mehr. Es sei denn, man gehört der nächsten oder übernächsten Generation an, die an die Schaltzentralen drängt, um ihre Vorstellungen zu realisieren und die altersweisen Vorgänger aufs Altenteil zu schicken.

Es wird höchste Zeit, dass man sich mit dem Zustand der Zeit näher befasst und die Ursachen unserer Probleme einmal unabhängig vom bisher Wünschbaren untersucht. Wenn wir nicht wie Faust in unserer Studierstube an unserem Wissensreichtum einerseits und dessen Effektlosigkeit andererseits verzweifeln wollen, müssen wir vorbehaltlos auf die Suche nach den Fehlern im System gehen, ohne dabei die Verhältnisse wieder einmal vom Kopf auf die Füße stellen zu wollen. Allein der Streit darüber, was Kopf und was Füße denn sind, würde diesen Prozess unendlich aufhalten und am Ende stoppen. 

Dieser Prozess, gemeint als Abrechnung einerseits und als Bewegung andererseits, konnte seinen Anfang mit der Erkenntnis nehmen, dass wir keine endgültigen Lösungen finden müssen, sondern optimale, dass wir den Blick nach vorn mit einem Blick zurück und um uns herum verbinden müssen, kurz: Dass wir nicht das Ende der Geschichte sind, sondern nur ihre Fortsetzung als Zwischenstation in eine ungewisse Richtung. In weiten Teilen der Welt ist der materielle Fortschritt dem ethisch-moralischen weit voraus, in anderen Teilen der Welt stellt sich diese Frage noch überhaupt nicht. Noch immer nicht.

Diese Generation könnte anders als die vorhergehende über solche Fragen nachdenken und entscheiden ohne die Hypothek eines weltumspannenden Vernichtungskrieges, wenngleich mit der weiter bestehenden Sorge wegen der weltumspannenden Konfliktfelder. Kann man aus der Geschichte lernen? Sicher, vor allem wie grandios große Ideen scheitern können und wie niederträchtig der Mensch seinen Mitmenschen behandeln kann. Die Geschichte endet nicht, sie wechselt ihre Richtung, Geschichte springt nicht, sie führt unterschiedliche Phänomene zusammen und konfrontiert uns mit ihren Konsequenzen. Die Geschichte bietet aber die großzügige Gelegenheit, aus ihr zu lernen, wenn man bereit ist, nicht den Fehler zu machen, sie wiederholen oder nachträglich ändern zu wollen.

Was dürfen wir also hoffen? Dürfen wir hoffen? Wäre es nicht völlig unhistorisch und eher tragisch gedacht, wenn wir alle Hoffnung fahren lassen würden? Hoffnung allein auf das Fortbestehen des Status quo und das Vermeiden der ultimativen Katastrophe, woraus auch immer die bestehen mag, wäre ein bescheidener Ansatz, um Utopien, in deren Namen wieder Zwang und Konflikt gesellschaftsfähig würden, zu meiden. Halten wir doch einfach die Widersprüche der Wirklichkeit aus, schaffen die utopielose Utopie, richten uns in der hoffnungslosen Hoffnung ein - vielleicht ist das eine Art von Vermächtnis unserer Generation an die nachfolgenden. 

Lenken wir also bei Tisch das Gespräch künftig auf dieses Thema, stiften wir die neue Gemeinsamkeit und nehmen den alten Spruch, dass wir die Welt nur von unseren Kindern geliehen hätten, ernster als noch zuletzt....

Bruce Springsteen We take care of our own, 2012