Dienstag, Januar 17, 2012

Fans only: Leonard Cohen revisited 2012

Fans only: Leonard Cohen revisited 2012

27. Januar 2012: "Old Ideas" erscheint


Der Rock'n'Roll wird alt. Diese Erkenntnis ist nicht neu, okay. Aber an kaum einem Beispiel lässt es sich aktuell so eindeutig zeigen wie an Leonard Cohen, 77. Gut, ein Rocker war der Kanadier nie, aber er trat zu einer Zeit auf die Bildfläche der Pop- und Rockmusik als ihre große kurze Phase zwischen 1967 und 1972 einsetzte. Seitdem ist er, unterbrochen von langen Pausen, mehr oder weniger in der Rockgemeinde präsent. 



Hymnische Verehrung
Er hat sich all die Jahre die Achtung, den Respekt und die geradezu hymnische Verehrung seiner Fans erworben. Wenn man seine Reputation in Musiker Kreisen an den Namen bemisst, die ihn gecovert haben, dann reicht die Liste von His Bobness Dylan und Johnny Cash über Bono und Joe Cocker bis zu Don Henley und John Bon Jovi. Heute, wenige Tage vor dem Erscheinungstermin seines neuen Soloalbums Old Ideas, dem ersten Originalalbum seit sechs oder acht Jahren, häufen sich die zustimmenden, begeisterten Rezensionen. Cohen ist seit seinem Comeback vor etwa fünf Jahren von einer Welle der Begeisterung und Zuneigung getragen, seine drei Jahre dauernde World Tour war komplett auf drei Kontinenten ausverkauft, seine Live-DVD fand hunderttausendfachen Absatz. Wohin man also heute schaut nur Begeisterung, Zustimmung und Vorfreude auf die Neuerscheinung.

Das war auch schon einmal anders und eigentlich ist es eine der wundersamsten Entwicklungen im Pop und Rockbusiness, beziehungsweise in der Fachpresse, dass ein Künstler vom Alter und Hintergrund eines Leonard Cohen so unisono Lob und Verehrung findet. Vor vielen Jahren, Anfang der 70er Jahre, hatte seine damalige Plattenfirma in einer Presseveroffentlichung getextet, dass diese Musik jene sei, die man höre, bevor man sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern aufschnitte. Von diesem wohl gemeinten sprachlichen Missgriff erholte Cohen sich lange zeit gar nicht zu Zeiten als der Streit zwischen Rock und Pop, später Rock/Punk und Disco, dann Grunge, House, Hip Hop etc. Etc. tobte, gerieten alle Singer / Songwriter der Flower Power Ära ins abseits und galten bald als Ewig-Gestrige der Musikgeschichte der Gegenwart. 



Während aber Donovan, Cat Stevens, Simon and Garfunkel, Gordon Lightfoot und all die anderen ihren Erfolg weitgehend einbüßten und in Vergessenheit gerieten, blieb Cohen ständig aktiv, ohne allerdings eine Liefergeschwindigkeit wie etwa die Rolling Stones zu erreichen. Cohen machte ebenfalls schwere Krisen durch und verlor Mitte der 80er Jahre gar seinen Plattenvertrag. Als Künstler blieb er dennoch, zumindest in Deutschland, präsent. Er geriet nicht in Vergessenheit, auch wenn er sich lange Pausen gönnte, in denen man außerhalb der USA nichts mehr von ihm hörte. Er behielt seinen Status als Sänger der anderen Art von Songs, der intellektuellen Texte, des Pops mit künstlerischem Tiefgang. Und als er sich schließlich in Deutschland und der Welt mit seinem Album Various Positions und darauf mit Hallelujah wieder zurück meldete, wurde er mit offenen Armen empfangen, wenn auch noch nicht so uneingeschränkt positiv wie zwanzig Jahre später, als er seine Zeit als buddhistischer Mönch beendete, nicht zuletzt um sein verlorenes Vermögen wieder aufzubauen, um das ihn eine untreue Managerin gebracht hatte. Resultat dieses Comebacks: siehe oben. 

Vermisst: Stimmen der Kritik
Angesichts der vielen zugetanen Stimmen, der begeisterten Kritiken und der grenzenlosen Verehrung, die er heute also genießt, vermisst man fast schon kritische Stimmen, eine ausgewogene Diskussion der künstlerischen Leistungen und Hervorbringungen, eine voranbringende, erhellende Debatte pro und contra. Selbst einem eingefleischten Fan und Verehrer wie dem Schreiber dieser Zeilen fällt die Lektüre der immer gleichen Lebensbeschreibungen und Inhaltsangaben, der ausführlichen Setlists und Auftrittsdaten extrem schwer und erzeugt ein gerüttelt Maß an Überdruss und Langeweile. Cohen war einer der ersten Künstler, die ihre Fans dabei unterstützten, im Internet zum Beispiel umfangreiche Informationsplattformen anzulegen. Heute ist Cohen, mehr noch als Bob Dylan scheint mir, einer der meist dokumentierten und begleiteten Künstler der modernen Musikgeschichte. Alan Showalter, der sich als DrHGuy seine Verdienste erworben hat, und Jarkko Arjatsalo, Schöpfer der ersten Cohen-Website The Leonard Cohen Files, sind die treibenden Kräfte hinter dieser Arbeit. Es gibt vollständige Listen der im Netz erhältlichen Videos und Texte, es gibt Listen der Coverversionen und Bootlegs, sogar eine Konkordanz ist online. Für Cohen -Interessierte und -Forscher ein schier unendlich reichhaltige Fundgrube an Quellen und Informationen.

http://www.leonardcohenfiles.com/ Jarkko Arjatsalos Homepage



http://1heckofaguy.com/ Dr. Alan Showalters Homepage


http://www.leonardcohen.com Leonard Cohens offizielle Homepage

Und doch bleibt bei all dem der Eindruck zurück, dass Cohen es auf diese Weise meisterhaft verstanden haben könnte, sich selbst hinter all dem unsichtbar werden zu lassen. Was all dem zu fehlen scheint, das ist gewissermaßen seine Gegenwart auf den Seiten im Internet. Man könnte vermuten, dass Cohen dem Problem seines Freundes Dylan entgehen wollte und entgangen ist, als Prophet, Messias und Seher verehrt und missverstanden zu werden. Dylan ist in dieser Rolle eine der tragischen Figuren der zeitgenössischen Musikgeschichte und eine der am häufigsten missverstandenen obendrein. Cohen, ein völlig anderer Typ von Herkunft und Bildung her, war zeitweise sicher auch in Gefahr, das Schicksal Dylans zu teilen. Mag sein, dass er in der Kooperation ein geeignetes Mittel fand, der liebevollen totalen Vereinnahmung durch seine Verehrer zu entgehen. 

Was es also bräuchte, wäre eine kritische Auseinandersetzung mit Cohens Werk, immerhin eines bemerkenswerten Teils der Popkultur und eines bedeutenden Phänomens der Massenkultur des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Cohen ist ohne Frage, neben Dylan, der literarische Musiker, der seine Herkunft aus der Literatur nicht verleugnen kann, und will, der die Maßstäbe an Gehalt, Technik und Komplexität nicht aufgeben will, die er aus der Literatur mitgebracht hat. Hier gälte es den Quellen und Ursprüngen nachzugehen, der Art und Weise, wie er es geschafft hat, diese Einflüsse der klassischen englischen und amerikanischen Lyrik etwa in die Popkultur hinüber zu führen, ohne damit eine Sperre aufzubauen. Wie reagierte er denn auch auf die Zeitgeschichte? Als er mit seiner musikalischen Karriere begann, war er 1967 schon 33 Jahre und in Kanada ein arrivierter Literat. Als Elvis die Bühne betrat, studierte der Unternehmersohn aus Montreal gerade und veröffentlichte seine erste Gedichtsammlung 1956, als die Beatles übernahmen lebte er auf einer griechischen Insel und führte ein Hippieleben lange bevor es die Hippies gab. Als Bob Dylan the times they are a-changing sang, war er völlig ahnungslos und nahm all das gar nicht zur Kenntnis. Als die Woodstock Nation aufbrach, 1969, kämpfte er schon mit sich, den Drogen und dem Alkohol um seinen verstand, nachdem er 1967 fast über Nacht bekannt geworden war. Es ist den Filmdokumenten jener Zeit anzusehen, wie fremd er sich in der verrückten Welt der Rockmusiker gefühlt haben muss. Eine Welt, die vordergründig gegen den bourgeoisen Herrschaftsanspruch revoltierte. Eine bourgeoise Welt, die bisher seine gewesen war, auch wenn er sie in der Spielart des Bohemiens zu erobern getrachtet hatte. 

http://www.leonardcohen.com/de/oldideas 

"The Darkness" aus dem neuen Album "Old Ideas"

Von Cohen sind aus dieser Zeit keine Stellungnahmen zum Vietnamkrieg, der Bürgerrechtsbewegung, der Hippiekultur, Israel und so weiter bekannt. Fehlen sie wirklich? Cohen hat sich zu keiner Phase seines öffentlichen Lebens als politischer Kommentator aufgespielt oder angeboten, in seinen Texten gibt es immer wieder Bezüge auf historische oder politische Themen, aber sie taugen nie als politisches Statement oder Bekenntnis. Cohen und die Zeitgeschichte sind kein Miteinander eingegangen. Wie auch, die Popkultur ist in ihrem Kern nicht politisch gewesen, sie war aber immer ein Phänomen für politische Interpretationen. Und vor diesem Hintergrund lässt sich Cohens politische Enthaltsamkeit deuten und nachvollziehen. 

Von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen hat sich die Popkultur auf ihren wesentlichen kreativen Kern konzentriert und sich gern gefallen lassen, als Ausdruck des Protests und des revolutionären Aufbruchs politisch festlegen zu lassen. Es hat beiden Seiten über all die Jahre genutzt und war doch eines Tages, spätestens als der Punk an sein Ende gekommen war, vorbei. Cohen aber behauptete sich als Kontrapunkt zur Rebellion auf der Strasse. Er bot eine Innerlichkeit, die sich selbst genug war, die die Anti-These zum Protest war, die den sozialen Protest um seinen humanen Kern bereicherte. Seine Helden waren keine Siegertypen, die Partisanen, Nancy, Marianne, Isaac, Suzanne und und und. Sie waren Archetypen, die aus den aktuellen Kämpfen hätten kommen können, geschlagene, geläuterte, geschundene Seelen, die gar nicht in den Kategorien eines kämpferischen Aufbruchs dachten. Und diese Spiegelung verlieh dem Protest eine Tiefenschärfe, ohne die er inhuman und sinnlos gewesen wäre. Cohen, der naive Sänger und Songschreiber, hatte einen Nerv getroffen. 

Godfather of Doom, Grand Master of Melancholia 
Es könnte Aufgabe der Wissenschaft sein, sich dieses Verhältnisses Cohens zur Zeitgeschichte anzunehmen und vor diesem Hintergrund seine Wirkung zum Beispiel in Deutschland nachzuvollziehen. Die gängige Musikkritik verdient in der Regel ihren Namen als Kritik nicht, ist lediglich die schreibende Begleitung der Moden und Bewegungen. Dies stört nicht, solange man sich auf den Fanstandpunkt zurückzieht und sich damit zufrieden gibt. Im Falle Leonard Cohens wäre es wichtig zu erfahren, wie sich das schaffen des unpolitischen Poeten in die leben so vieler Menschen eingebrannt hat. Viele Menschen um die 55 oder 60 erinnern sich liebevoll an diese lange Strecke des Wegs, den sie mit Leonard Cohen gegangen sind. Dabei ist sein Werk keineswegs leicht konsumierbar, die üblichen Kurzformeln vom Godfather of Doom, Grand Master of Melancholia oder Poet of the Heart sind die üblichen Verkürzungen und Vereinfachungen, die ein Phänomen in den Griff nehmen sollen, das sich von Anfang an eigentlich dieser Vereinnahmung entziehen wollte. Die akribische Arbeit des Allan Showalter und Jarkko Arjatsalo geben in vielen biografischen Einzelheiten Auskunft über seine Quellen der dichterischen Inspiration und die Ursprünge der Bilder und Menschen in seinen Texten. 



Auf diese Weise erschließt sich Stück für Stück das Universum des Singer / Songwriters Leonard Cohen, doch wenn man einen Raum dieses Universums betreten hat, ist er leer, der Mann selbst hat ihn langst verlassen und sich neuen Räumen zugewandt. Er hat einmal in einem Interview gesagt, er sei mit der Fähigkeit der Amnesie begabt, er könne sich kaum an die vielen Stationen seines Lebens erinnern. So gelang es ihm, sich elegant und freundlich lächelnd der liebevollen Inquisition der Interviewerin zu entziehen. Cohen hat ein fast hermetisch verschlossenes Werk der Popkultur geschaffen, das von ihm geschickt verteidigt wurde und wird gegen alle Deutungs- und Vereinnahmungsversuche. Wieder vergleichbar mit Dylan, der sich mit derselben Energie der Deutung seiner Fans entzieht, indem er sich ständig neu erfindet. 

Wenn nun also endlich wieder ein neues Album mit neuen Songs erscheint, wird sich der Zug der Bewunderer und Verehrer -hoffentlich, wahrscheinlich - wieder in Bewegung setzen, die alten Lobgesänge hervorholen und aus ihnen zitieren. Am Ende wird das lächelnde Rätsel Cohen zurückbleiben, der Sänger mit den nachsingbaren Melodien, dem unverkennbaren Bariton, dem gewinnenden Lächeln und dem selbstironischen Humor. Vielleicht entdeckt ja auch ein junger Literatur- oder Musikwissenschaftler sein Interesse an dieser bereits 45 Jahre andauernden Karriere und legt eines Tages ein analytisches Werk vor, in dem einige Rätsel gelöst wurden. Es wäre dem Werk zu gönnen und dem Autor zu wünschen. Und der Rock'n'Roll könnte noch einmal beweisen, dass er noch lang nicht zum alten Eisen gehört, auch wenn einer seiner Stars noch älter als die Rolling Stones ist.



http://www.newyorker.com/online/blogs/culture/2012/01/leonard-cohens-going-home-new-song.html
"Going home", ein weiterer Song von "Old Ideas"


Going Home
by Leonard Cohen January 23, 2012  
I love to speak with Leonard
He’s a sportsman and a shepherd
He’s a lazy bastard
Living in a suit

But he does say what I tell him
Even though it isn’t welcome
He will never have the freedom
To refuse

He will speak these words of wisdom
Like a sage, a man of vision
Though he knows he’s really nothing
But the brief elaboration of a tube

Going home
Without my sorrow
Going home
Sometime tomorrow
To where it’s better
Than before

Going home
Without my burden
Going home
Behind the curtain
Going home
Without the costume
That I wore

He wants to write a love song
An anthem of forgiving
A manual for living with defeat

A cry above the suffering
A sacrifice recovering
But that isn’t what I want him to complete

I want to make him certain
That he doesn’t have a burden
That he doesn’t need a vision

That he only has permission
To do my instant bidding
That is to SAY what I have told him
To repeat

Going home
Without my sorrow
Going home
Sometime tomorrow
Going home
To where it’s better
Than before

Going home
Without my burden
Going home
Behind the curtain
Going home
Without the costume
That I wore

I love to speak with Leonard
He’s a sportsman and a shepherd
He’s a lazy bastard
Living in a suit