Donnerstag, November 08, 2012

Kitsch, Sprüche und Facebook


Keinen Geschmack zu haben, ist auch eine Kunst. oder: Was beim Lesen von Social Media so auffällt.

Früher, in den alten Tagen, nannte man sie Bürosprüche. Nachdem durch das Vorbild des Fernsehens coole Sprüche und neue Redewendungen am Fließband entstanden waren, lösten witzige, pointierte Allerweltseinsichten die überkommenen Dichterzitate und Sinnsprüche ab. Um diese Zeit starben die Poesiealben, jahrzehntelang die Hüter deutschen Vers- und Trostspruchgutes das erste Mal aus. Erst dreißig Jahre später erlebten diese ihr Comeback. An ihrer Stelle also Kalender, Bücher, Kolumnen und Poster und Plakate zu hauf. In den späten 70ern und frühen 80ern machten die sogenannten Spontisprüche, „Nieder mit den Alpen. Freie Sicht zum Mittelmeer!“, Karriere bis sie wieder den Bürosprüchen vom Kaliber "Wir sind hier bei der Arbeit und nicht auf der Flucht" oder "Bei mir herrscht Ordnung. Ein Griff und die Sucherei geht los" das Feld überlassen mussten. Im eigentlichen Sinn ihrer Existenz waren diese Sprüche dazu da, den Büroalltag erträglicher zu gestalten und die vielen Ausprägungsformen des Bürolebens zu kommentieren. 

Dabei spielte der Kalender oder das Schild oder das Poster immer mit der drastischen Übertreibung, mit dem es die Aussage zuspitzte und dem gnadenlos ausgereizten Hang zum Kalauer, wie ihn Heinz Erhardt und Werner Fink den deutschen als humoristisches Erbe hinterlassen hatte. im Fernsehen und Radio begann dann Ende der 90er Jahre eine beispiellose humoroffensive, wie Deutschland sie noch nie zuvor erlebt hatte. Beginnend mit dem legendären RTL-Samstag Nacht-Format breitete sich die Deutsche Fähigkeit zum ersinnen und vortragen lustiger und komischer Geschichten und Sprüche zu einem Multimillionen-Business aus. Und auf der hohe der Entwicklung wurde sogar eigens ein Preis, der Comedy-Preis ersonnen, um den besten der jährlich besten ein Forum bieten zu können, auf dem sie zeigen konnten, dass auch gut gemeinte Ehrungen furchtbar komisch sein können. Manchmal auch nur furchtbar.

In jüngster Zeit hat sich der gemeine deutsche Humorist, vor allem in seiner amateurhaften Ausprägung, also der ohne Aussichten auf den deutschen Comedy-Preis, auf die Veröffentlichung humoristischen Gedankens- und Textgutes in Tateinheit mit tiefsinnigen Reflexionen über das Leben spezialisiert. Vorzugsweise auf Facebook bilden sich kommunikative Klumpen, in denen unzählige Fotostrecken einzig mit dem Ziel zusammen getragen werden, den Mühen des Alltags in Beruf und Familie noch ironisch-sarkastisch formulierten Widerstand entgegenzusetzen. Wahlweise aber auch das Auge des Betrachters auf die Schönheiten der Welt zu lenken. Alternativ darf aber auch des Tiefsinns gepflegt werden, um den Widernissen des Lebens in der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft des 21. Jahrhunderts ein wenig Sinn abzuringen. 

In dem Masse wie das allgemeine Sprachgefühl seit Eike Christian Hirschs Ausflügen in die Welt des Kalauers und der Doppeldeutigkeit der Worte seinen Niedergang erlebt hat, in dem Maße hat die Fähigkeit, Bilder und/oder Filme zu betrachten an Bedeutung exponentiell gewonnen. Das heißt, dem interessierten Nutzer der Seiten werden verschiedenste Mittel der Rezeption lustigen und tiefsinnigen Materials angeboten. Und das, so sagt es die Wissenschaft, ist ja schon eine der wesentlichen Voraussetzungen, um am Markt Erfolg zu haben. (Inwieweit es sich bei dem hier untersuchten Phänomen schon um so etwas wie regelrechtes Marktgeschehen handelt, vermag ich ohne eingehendere Prüfung nicht wirklich zu sagen, aber es reicht mir festzustellen, dass es sich irgendwie um martktähnliche Entwicklungen handeln könnte oder solche wie sie sich bei der Entwicklung martktähnlicher Zustände abspielen würden.)

Kennzeichnend für den Humor dieser Seiten, ist, dass eine ganz spezielle Sicht des Alltags in Anwendung kommt. Hier ist das Büro, seltener bis nie die Werkstatt, der Austragungsort bizarrer Revierkämpfe und endloser Diskussionen um Projektziele und Budgets. Gern thematisiert der Facebook-Comedian auch die Auseinandersetzung um Finanzielles oder die Ausbeutung wahlweise durch den Arbeitgeber oder den Staat, sprich den Fiskus.

Auffällig ist, wie sehr sich doch der ein oder andere Ideengeber von den Lebens- und Arbeitsbedingungen hierzulande drangsaliert und ausgepowert fühlen muss. Hat er sich eben noch über den Wohnwagenkult unserer holländischen Nachbarn lustig gemacht, kann er wenige Mausklicks später schon in tiefen Gram ob der Bosheit der Menschen, vorzugsweise der Kollegen, ausbrechen. Vielerorts scheint es so zu sein, als betätigten sich die lieben Mitmenschen regelmäßig und verlässlich als Herzensbrecher und Enttäuscher. Es gibt zwei völlig von einander separierte Ebenen: Die eine wird von den wahren Freunden und der Familie bewohnt, die andere bevölkert der karrieregeile Kollege, der egoistische Bekannte, der undankbare Nachbar. In der Mitte steht derjenige, der den Spruch oder das Foto gepostet hat, eindeutig wissend, auf welche Seite er gehört und auf wessen Seite er sich niemals im leben schlagen wurde. 

Auffällig daran ist sowohl die Renaissance von Freundschaft und Familie als auch das Bild vom Lebensalltag in der Gesellschaft als eine Mischung aus Spießrutenlaufen, Mobbing und Verrat. Dazwischen bewegt sich wenig, Zwischentöne, die versöhnlich stimmen könnten, gibt es wenig. Diese Posts moderieren nicht, sie positionieren, sie führen nicht zusammen, sie trennen, sie erklären nichts, sie beklagen sich. Und dann wieder die Ausflüge in die Natur, die Schönheit der Jahreszeiten, die traute Zweisamkeit, das Glück im Kleinen, reisen, essen, trinken, das Landleben. All das in dem, was man früher Technicolor genannt hätte und heute Photoshop heißt. Oder kurzer und deutlicher: Kitsch. Der Kitsch ist die neue, alte Ausdrucksform der Mittelschichten, gleich welchen Alters. spätestens dann, wenn die Scheidung endgültig vermieden und der Eintritt in den Großeltern-Lebensmodus vollzogen wird, kippt auch die provokanteste und unabhängigste Lebensphilosophie ins Kitschige, ins Gefühlige, ins Heimelige und Kuschelige ab. Da wird der Trennungsstrich zwischen den umkämpften Zonen des Arbeitsalltags besonders dick aufgetragen und die Errungenschaften des bürgerlichen Idylls gegen alle Fährnisse verteidigt. 

Dann wird auch klar, warum das Leben im Büro und bei der Arbeit ein solch Menschen verschlingender Mahlstrom ist. Im Schatten des Familienidylls wird es dort dunkel und kalt. Eigenartig nur, wie die Menschen mit ihrer eigenen Janusköpfigkeit zurecht kommen und leben, als würden sie von zwei Seiten brennen. Der Witz, mit dem sie eben noch ihre Situation im schnöden Berufsalltag beschrieben haben, ist deshalb nicht aufklärend oder erklärend, sondern denunzierend, karikierend. Was sicherlich eine psychische Erleichterung für den unter Druck stehenden Leistungserbringer bedeutet, aber keine Anzeichen dafür bietet, dass die Lage der Dinge geändert werden soll. In den berühmten, sogenannten alten Tagen hätte man diese Art der Selbstdarstellung wohl als eitel und kitschig, selbstbezogen und rückwärts gewandt genannt. 
In den berühmten alten Tagen hätte man vielleicht einen Scherz über dieses Bedürfnis der Vielen gewagt. 

Heute allerdings fällt mir dazu keiner ein.

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