Sonntag, April 15, 2012

Gottfried Benn - Ein Exposé


100 Jahre "Morgue und andere Gedichte", März 1912

Gottfried Benn 2.5.1886 – 7.7.1956

Es ist eines der meist gebrauchten Klischees über einen der wohl wichtigsten deutschen Dichter, Gottfried Benn, dass er ganz wie einem seiner Gedichte vorhergesagt, im Hochsommer starb, als der Boden von der Sonne durchglüht leicht war für den Spaten.

So und ähnlich verfolgen den Dichter Benn eine Vielzahl von Klischees, die die dichterische Leistung des Mannes herabzusetzen geeignet und manchmal auch gemacht sind. Benn hat dazu jede Menge Anlass gegeben. Er war ein Sonderling, ein Egozentriker mit ungeheurem Geltungsdrang und einem gewaltigen Ego. Dabei war er unleidlich, launisch und oft genug sozial unverträglich. Er war ein Dandy und Womanizer, ein Meister der Wortakrobatik und dabei ein unvollkommener Denker, ein begabter Assoziierer, ein Eklektiker, der in einem ekstatisch Wortschwall versuchte, ein wenig Ordnung in seine Sicht der Dinge zu bringen. Immer wieder gelangen ihm Wendungen von einer so schlichten, eindringlichen Schönheit, dass man nur mehr stumm werden mag, so wie es große Leistungen immer wieder erfordern.


Aristokratische Form der Emigration
Ein sehr sehr widersprüchlicher Mann, der sich hinter seinem Dichtertum versteckte, ein Arzt, der eigentlich lieber Offizier geworden wäre, ein schroffer Misanthrop, der seinen Platz in der ersten Reihe der deutschen Literatur einforderte. Und er war der deutsche Dichter, der die Nazis 1933 emphatisch begrüßte, von ihnen alsbald verfolgt wurde, so dass er sich mit Hilfe seiner Nazi-Kontakte nur retten konnte. Retten konnte er sich in die Reichswehr, die er als aristokratische Form der Emigration bezeichnete. Diese Formulierung war nicht nur heroisierend-schön, sie war auch gleichzeitig die kleinste mögliche Münze gegen seine literarischen Rivalen, die Groß-Schriftsteller Mann zum Beispiel, die mit ihrer Weltläufigkeit und ihrem wirtschaftlichen Erfolg dem Hautarzt aus Kreuzberg und Pfarrerssohn aus Ost-Elbien weit voraus waren. Er zerschlug fast alles politische Porzellan, das ihm in die Quere kam, so dass es bis heute Schwierigkeiten macht, ihn als einen der beiden wichtigsten Dichter Deutschlands ohne wenn und aber zu nennen. Und doch wurde er vor ein paar Jahren genau dazu in einer Leserbefragung gewählt.

Benn der Charmebolzen, der auf Fotos so gut wie nie lacht. Also wie sich diesem Widerspruch auf zwei Beinen nähern? Wie ihn zu fassen bekommen? Vielleicht am ehesten, wenn man versucht, ihn von der Patina der Literaturgeschichte einerseits und von der Respekt heischenden Dichter-Figur zu befreien. Benn als Mensch aus Fleisch und Blut, dessen literarischen Hervorbringungen immer eine Antwort auf die Zeitumstände waren, eine Reflexion auf sein mühsames sich in seiner Zeit und seiner Gesellschaft-zurecht-Finden. Sein literarisches Schaffen war immer die ästhetische Ausgestaltung seines Überlebens-Willens durch alle harten Zeiten hindurch. Dabei hatte der kleine Gottfried, als er Ende des 19. Jahrhunderts an der polnischen Grenze aufwuchs, eine sehr bodenständige, erdnahe Erziehung von einem sehr strengen, pietistisch-harten Pfarrer-Vater genossen.

Die Freiheit des Landlebens mit weniger Konvention als in der Stadt plus die religiös motivierte Härte des Vaters hat den ältesten Sohn widerstandsfähig und hart werden lassen. Genau die Härte, die er brauchte, um sich mit den Jugendfreunden aus der örtlichen Junkerfamilie derer von Finckenstein auf eine Freundschaft einlassen zu können, über alle sozialen Grenzen hinweg. Seine aus der Schweiz stammende Mutter, klein und rundlich, muss ihm dabei eine empfindsame einfühlende Seite mitgegeben haben, die er Zeit seines Lebens bei seinen zahllosen Amouren und Affären in ihrer sexuellen Variante gesucht hat. Macht man sich einen Begriff davon, was es um 1900 bedeutet haben muss, in der ländlichen Abgeschiedenheit der Oder aufzuwachsen, fern von allem Großstädtischen, inmitten einer archaischen Sozialstruktur, die der Leibeigenschaft näher stand, denn der demokratischen Selbstbestimmung der Menschen?!

Haltungsstarke Vorgestrigkeit
Als Benn mit 14 nach Frankfurt/Oder in Gesellschaft der Finckenstein-Brüder aufs Gymnasium wechselte, ließ er die Geborgenheit seiner Kindheit hinter sich und betrat völlig andere Welten der Bildung, des sozialen Standes und selbstbewußten Prestiges. Es war die Zeit, als man noch Mensuren ging, als der Karzer noch die Strafe für freche Jungs war, als man ältere Jungen siezte, als die Reichswehr noch das soziale Ideal des Bürgers war und der Kaiser noch als der Herrscher von Gottes Gnaden Politik machte. Deutschland hatte nach der Einigung 1871 einen beispiellosen Aufstieg hingelegt, neue Schichten waren zu Wohlstand und Einfluss gekommen, aber noch war es das alte Kaiserreich, feudal und autoritär, anti-demokratisch mit eingeschränkten Wahlrechten. Der erwachsene Benn trug immer noch Gamaschen, als dies bereits lange aus der Mode war. Er trug als Offizier seinen Offiziersdolch und befleißigte sich des Kasinotons der preußischen Kameraden, schneidend und knapp. Er bewunderte die alten Herren für ihre haltungsstarke Vorgestrigkeit und konnte sich ihrem morbiden Reiz nicht entziehen.

Friederike Reents in der FAZ

1912 jedoch, gerade als er sein Medizinstudium in der Armee beendet hatte, rebellierte der angepasste Pfarrerssohn wie viele andere Generationsgenossen im Expressionismus gegen die starren Konventionen, er schrie seine andere Sicht der Dinge geradezu heraus und überschritt literarische Grenzen, wo er nur konnte. Er wurde ein Star mit seinem neuartigen Stil der brutalen Bilderschau, der grausigen Nahaufnahmen menschlichen Leides.

Inselsucht „Kleine Aster“, 1912/2008

Und doch reihte er sich ohne Murren wieder in die Armee ein, als der Kaiser 1914 zu den Waffen rief. Ohne pazifistische oppositionellen Regungen quartierte er sich in Brüssel ein und versah dort seinen Dienst bis 1917/1918. Später bezeichnete er diese Jahre als seine schönsten... Aus dem Krieg kam er dennoch als ein anderer heraus. Er ging zurück nach Berlin und erlebte dort das Kriegsende und die Revolutionswirren. das alles scheint ihn kalt gelassen zu haben, es finden sich kaum Kommentare dazu oder gar Aufsätze. Benn etablierte sich mehr recht als schlecht als niedergelassener Arzt, schlug sich in den goldenen zwanziger Jahren durchs Leben, verdiente schlecht, Steuerschulden, kein Urlaub.

Inselsucht, „Oh Nacht“, 1924/2008

Die Frau starb, er gab die Kinder nach Dänemark in die Obhut einer seiner Geliebten. Er erlebte die roaring twenties aus nächster Nähe und schaffte es nicht, den Anschluss an die Gesellschaft zu halten, sozial und literarisch. Andere liefen ihm den Rang ab, die Manns, Kästner, Klabund, Brecht und andere. Aus dem Bilderstürmer von 1912 war ein zurückgezogen lebender, hart für seine Existenz sorgender und sich jede freie Minute des Schreibens beschaffen müssender Arzt geworden.Zwar stieg sein literarisches Renommee, doch die Problenme des materiellen Alltags vermochte er nicht zu lösen.


Gottfried Benn, Kunst und Drittes Reich, 1949/1951

Historischer Irrtum
Als dann die Nazis erst in die Nähe der Macht und schließlich tatsächlich an die Macht kamen, sah er seine Stunde gekommen. In den 20ern hatte er sich mit den Naturwissenschaften, der Philosophie befasst, hatte begierig Nietzsche studiert und Oswald Spengler recht gegeben, während um ihn herum die Neue Sachlichkeit mit Brecht, Kisch, Döblin und anderen den Ton angab. Kurz: er war nicht mit der Spitze der geistigen modernen Gesellschaft gegangen. Die Nazis schienen ihm dann die richtigen zu sein, die dem Spuk ein Ende machen würden und von Grund auf für die Erneuerung der Gesellschaft aus dem Völkischen heraus sorgen würden.

Er hatte die Unterschiede zwischen sich und den Nazis selbst nicht gesehen. Als sie ihm vorwarfen, ebenso Feind der Bewegung und wegen seiner Vergangenheit als wichtiger Expressionist ein undeutsches Element zu sein, war es schon zu spät. Sein guter literarischer Ruf war unter seinesgleichen völlig ruiniert und seine bürgerliche Existenz noch schlimmer gefährdet als in den Jahren zuvor. Seine Kontakte zu alten Kameraden retteten ihn und so schaffte er den Wechsel in die Reichswehr als Oberstabsarzt, erst in Hannover, dann wieder in Berlin. Hier lebte er für sich und meistens allein, schrieb und hatte Affären, versah seinen Dienst und schützte sich, so gut es ging, vor Angriffen der Nazis. Er heiratete wieder und blieb doch der untreue Schürzenjäger und misanthropische Einzelgänger.
Der Krieg schließlich überraschte ihn nicht, er war an den Vorbereitungen als hoher Sanitätsoffizier beteiligt gewesen. Das Ende des Krieges kostete ihn wiederum seine Ehefrau, mit der seine Ehe schon längere Zeit nur noch formal bestanden hatte. Als Berlin schließlich in Ruinen lag und der Krieg vorbei war, überlebte Benn dort und arbeitete weiter, nach 12 Jahren Berufsverbot unter den Nazis brannte er daruf, wieder Gehör zu finden, dort weitermachen zu können, wo er 1933 aufgehört hatte. Man machte es ihm nicht leicht, die Hürden lagen hoch für ihn, seine Gegner kamen nach Deutschland zurück und hätten ihn am liebsten auch weiterhin mundtot gemacht. Doch das gelang ihnen nur für kurze Zeit.

Das einzige Film-Dokument von Gottfried Benn, 1956 im Interview mit Thilo Koch


Projektionsfläche für die Deutschen
1948 erlebte Benn sein Comeback und eroberte mit seinen Gedichten die Nachkriegsgesellschaft stärker, als er es je zuvor geschafft hatte. Neben der Kahlschlagprosa der Borchert und Böll war er die stärkste traditionelle Stimme, die mit einem völlig anderen Sound daher kam und die Begleitmusik für den Neuanfang bildete. Benn war Überlebender wie alle anderen auch, Benn brachte die Erinnerung an die Vorkriegszeiten 1914 und 1939 mit, Benn stand auf einem Bildungsfundament, das von den Nazis entweder ignoriert oder pervertiert worden war. Benn war der neue Bildungsbürger mit einem wunderbar proletarisch-direkten Klang, der illusionslose Blick des Überlebenden mischte sich mit dem Klang der hoffnungsvollen Stimme auf die Selbstbehauptung des Einzelnen. Geprägt durch seine ganz eigene Erfahrung mit dem Dritten Reich, bot Benn reichlich Projektionsfläche für die Deutschen, die mit ihrer Schuld und ihrem Versagen ebenso kämpften wie mit den Regeln der neuen Zeit nach dem Untergang.

Wo Brecht auf den Bau einer neuen Gesellschaft setzte, glaubte Benn an den Wiederaufbau der alten bürgerlichen Gesellschaft. Diesmal gelang sie, anders als 1919, aber Benn blieb nicht genug Zeit, um das selbst mitzuerleben. Als er an einem heißen Sommertag 1956 in Berlin-Dahlem zu Grabe getragen wurde, hatte sich sein Traum von dichterischer Bedeutung und Anerkennung schlussendlich erfüllt, wenn auch anders als bei Goethe oder Thomas Mann. Mit Benn wurde auch das Erbe des Kaiserreichs, das Erbe einer lang vergangenen Epoche zu Grabe getragen. Die Erinnerung verblasste und machte einer sehr starken Beachtung von Benns Verhalten in den 30er Jahren Platz.

Damit einher ging auch die Schwierigkeit, Benns ganzen Weg nachvollziehen zu können. Er hatte sich 1933 nicht einfach kaufen lassen, er hatte andere Beweggründe, die von der politischen, weltanschaulichen Motivation her untadelig waren, in der politischen, weltanschaulichen Wirkung allerdings verheerend. Das nicht erkannt zu haben, war eines der größten Versäumnisse des Dichters Gottfried Benn. Heute ist er nach einer Phase des Verschwindens im Gedächtnis vieler Kenner wieder präsent. Auffällig dabei, wie sehr die Jugend mehr zum expressionistischen Teil des Werkes neigt, 100 Jahre nach ihrer Veröffentlichung. Zum Kanon allerdings zählt der Teil des Werkes, das auf den grandiosen, tragischen Fehler des Dichters folgte. Hier funkelt der große Entwurf, die Kontrastierung von Gesellschaft und Einzelnem.


Benn bleibt ein problematischer Charakter, sein Fehler von 1933 bleibt an ihm haften und dennoch ist er ein faszinierender, wortmächtiger Dichter, der in der Lage ist, die Menschen anzusprechen und zu berühren, sie mitzunehmen und zu bannen: Lakonisch und melancholisch am Ende, wild und ungebärdig zu Beginn. Nicht schlecht für einen Misanthropen.

Lutz Görner „Lyrik für alle“ 121/169/170 Gottfried Benn 1- 3

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wenn sonst keiner hier was sagt, dann will wenigstens ich mich mal bedanken für diese lesenswerte Charakterisierung von etwas Aufhebenswertem .

Christian Klotz