100 Jahre "Morgue und andere Gedichte", März 1912
Gottfried Benn 2.5.1886 – 7.7.1956
Es ist eines der meist gebrauchten
Klischees über einen der wohl wichtigsten deutschen Dichter,
Gottfried Benn, dass er ganz wie einem seiner Gedichte vorhergesagt,
im Hochsommer starb, als der Boden von der Sonne durchglüht leicht
war für den Spaten.
So und ähnlich verfolgen den Dichter
Benn eine Vielzahl von Klischees, die die dichterische Leistung des
Mannes herabzusetzen geeignet und manchmal auch gemacht sind. Benn
hat dazu jede Menge Anlass gegeben. Er war ein Sonderling, ein
Egozentriker mit ungeheurem Geltungsdrang und einem gewaltigen Ego.
Dabei war er unleidlich, launisch und oft genug sozial unverträglich.
Er war ein Dandy und Womanizer, ein Meister der Wortakrobatik und
dabei ein unvollkommener Denker, ein begabter Assoziierer, ein
Eklektiker, der in einem ekstatisch Wortschwall versuchte, ein wenig
Ordnung in seine Sicht der Dinge zu bringen. Immer wieder gelangen
ihm Wendungen von einer so schlichten, eindringlichen Schönheit,
dass man nur mehr stumm werden mag, so wie es große Leistungen immer
wieder erfordern.
Aristokratische Form der Emigration
Ein sehr sehr widersprüchlicher Mann,
der sich hinter seinem Dichtertum versteckte, ein Arzt, der
eigentlich lieber Offizier geworden wäre, ein schroffer Misanthrop,
der seinen Platz in der ersten Reihe der deutschen Literatur
einforderte. Und er war der deutsche Dichter, der die Nazis 1933
emphatisch begrüßte, von ihnen alsbald verfolgt wurde, so dass er
sich mit Hilfe seiner Nazi-Kontakte nur retten konnte. Retten konnte er sich in die Reichswehr, die er als aristokratische Form der Emigration
bezeichnete. Diese Formulierung war nicht nur heroisierend-schön,
sie war auch gleichzeitig die kleinste mögliche Münze gegen seine
literarischen Rivalen, die Groß-Schriftsteller Mann zum Beispiel,
die mit ihrer Weltläufigkeit und ihrem wirtschaftlichen Erfolg dem
Hautarzt aus Kreuzberg und Pfarrerssohn aus Ost-Elbien weit voraus
waren. Er zerschlug fast alles politische Porzellan, das ihm in die
Quere kam, so dass es bis heute Schwierigkeiten macht, ihn als einen
der beiden wichtigsten Dichter Deutschlands ohne wenn und aber zu
nennen. Und doch wurde er vor ein paar Jahren genau dazu in einer
Leserbefragung gewählt.
Benn der Charmebolzen, der auf Fotos so
gut wie nie lacht. Also wie sich diesem Widerspruch auf zwei Beinen
nähern? Wie ihn zu fassen bekommen? Vielleicht am ehesten, wenn man
versucht, ihn von der Patina der Literaturgeschichte einerseits und
von der Respekt heischenden Dichter-Figur zu befreien. Benn als
Mensch aus Fleisch und Blut, dessen literarischen Hervorbringungen
immer eine Antwort auf die Zeitumstände waren, eine Reflexion auf
sein mühsames sich in seiner Zeit und seiner
Gesellschaft-zurecht-Finden. Sein literarisches Schaffen war immer
die ästhetische Ausgestaltung seines Überlebens-Willens durch alle
harten Zeiten hindurch. Dabei hatte der kleine Gottfried, als er Ende
des 19. Jahrhunderts an der polnischen Grenze aufwuchs, eine sehr
bodenständige, erdnahe Erziehung von einem sehr strengen,
pietistisch-harten Pfarrer-Vater genossen.
Die Freiheit des Landlebens mit weniger
Konvention als in der Stadt plus die religiös motivierte Härte des
Vaters hat den ältesten Sohn widerstandsfähig und hart werden
lassen. Genau die Härte, die er brauchte, um sich mit den
Jugendfreunden aus der örtlichen Junkerfamilie derer von
Finckenstein auf eine Freundschaft einlassen zu können, über alle
sozialen Grenzen hinweg. Seine aus der Schweiz stammende Mutter,
klein und rundlich, muss ihm dabei eine empfindsame einfühlende
Seite mitgegeben haben, die er Zeit seines Lebens bei seinen
zahllosen Amouren und Affären in ihrer sexuellen Variante gesucht
hat. Macht man sich einen Begriff davon, was es um 1900 bedeutet
haben muss, in der ländlichen Abgeschiedenheit der Oder
aufzuwachsen, fern von allem Großstädtischen, inmitten einer
archaischen Sozialstruktur, die der Leibeigenschaft näher stand,
denn der demokratischen Selbstbestimmung der Menschen?!
Haltungsstarke Vorgestrigkeit
Als Benn mit 14 nach Frankfurt/Oder in
Gesellschaft der Finckenstein-Brüder aufs Gymnasium wechselte, ließ
er die Geborgenheit seiner Kindheit hinter sich und betrat völlig
andere Welten der Bildung, des sozialen Standes und selbstbewußten
Prestiges. Es war die Zeit, als man noch Mensuren ging, als der
Karzer noch die Strafe für freche Jungs war, als man ältere Jungen
siezte, als die Reichswehr noch das soziale Ideal des Bürgers war
und der Kaiser noch als der Herrscher von Gottes Gnaden Politik
machte. Deutschland hatte nach der Einigung 1871 einen beispiellosen
Aufstieg hingelegt, neue Schichten waren zu Wohlstand und Einfluss
gekommen, aber noch war es das alte Kaiserreich, feudal und
autoritär, anti-demokratisch mit eingeschränkten Wahlrechten. Der
erwachsene Benn trug immer noch Gamaschen, als dies bereits lange aus
der Mode war. Er trug als Offizier seinen Offiziersdolch und
befleißigte sich des Kasinotons der preußischen Kameraden,
schneidend und knapp. Er bewunderte die alten Herren für ihre
haltungsstarke Vorgestrigkeit und konnte sich ihrem morbiden Reiz
nicht entziehen.
Friederike Reents in der FAZ
1912 jedoch, gerade als er sein
Medizinstudium in der Armee beendet hatte, rebellierte der angepasste
Pfarrerssohn wie viele andere Generationsgenossen im Expressionismus
gegen die starren Konventionen, er schrie seine andere Sicht der
Dinge geradezu heraus und überschritt literarische Grenzen, wo er
nur konnte. Er wurde ein Star mit seinem neuartigen Stil der brutalen
Bilderschau, der grausigen Nahaufnahmen menschlichen Leides.
Inselsucht „Kleine Aster“,
1912/2008
Und doch reihte er sich ohne Murren
wieder in die Armee ein, als der Kaiser 1914 zu den Waffen rief. Ohne
pazifistische oppositionellen Regungen quartierte er sich in Brüssel
ein und versah dort seinen Dienst bis 1917/1918. Später bezeichnete
er diese Jahre als seine schönsten... Aus dem Krieg kam er dennoch
als ein anderer heraus. Er ging zurück nach Berlin und erlebte dort
das Kriegsende und die Revolutionswirren. das alles scheint ihn kalt
gelassen zu haben, es finden sich kaum Kommentare dazu oder gar
Aufsätze. Benn etablierte sich mehr recht als schlecht als
niedergelassener Arzt, schlug sich in den goldenen zwanziger Jahren
durchs Leben, verdiente schlecht, Steuerschulden, kein Urlaub.
Inselsucht, „Oh Nacht“, 1924/2008
Die Frau starb, er gab die Kinder nach
Dänemark in die Obhut einer seiner Geliebten. Er erlebte die roaring
twenties aus nächster Nähe und schaffte es nicht, den Anschluss an
die Gesellschaft zu halten, sozial und literarisch. Andere liefen ihm
den Rang ab, die Manns, Kästner, Klabund, Brecht und andere. Aus dem
Bilderstürmer von 1912 war ein zurückgezogen lebender, hart für
seine Existenz sorgender und sich jede freie Minute des Schreibens
beschaffen müssender Arzt geworden.Zwar stieg sein literarisches
Renommee, doch die Problenme des materiellen Alltags vermochte er
nicht zu lösen.
Gottfried Benn, Kunst und Drittes
Reich, 1949/1951
Historischer Irrtum
Als dann die Nazis erst in die Nähe
der Macht und schließlich tatsächlich an die Macht kamen, sah er
seine Stunde gekommen. In den 20ern hatte er sich mit den
Naturwissenschaften, der Philosophie befasst, hatte begierig
Nietzsche studiert und Oswald Spengler recht gegeben, während um ihn
herum die Neue Sachlichkeit mit Brecht, Kisch, Döblin und anderen
den Ton angab. Kurz: er war nicht mit der Spitze der geistigen
modernen Gesellschaft gegangen. Die Nazis schienen ihm dann die
richtigen zu sein, die dem Spuk ein Ende machen würden und von Grund
auf für die Erneuerung der Gesellschaft aus dem Völkischen heraus
sorgen würden.
Er hatte die Unterschiede zwischen sich
und den Nazis selbst nicht gesehen. Als sie ihm vorwarfen, ebenso
Feind der Bewegung und wegen seiner Vergangenheit als wichtiger
Expressionist ein undeutsches Element zu sein, war es schon zu spät.
Sein guter literarischer Ruf war unter seinesgleichen völlig
ruiniert und seine bürgerliche Existenz noch schlimmer gefährdet
als in den Jahren zuvor. Seine Kontakte zu alten Kameraden retteten
ihn und so schaffte er den Wechsel in die Reichswehr als
Oberstabsarzt, erst in Hannover, dann wieder in Berlin. Hier lebte er
für sich und meistens allein, schrieb und hatte Affären, versah
seinen Dienst und schützte sich, so gut es ging, vor Angriffen der
Nazis. Er heiratete wieder und blieb doch der untreue Schürzenjäger
und misanthropische Einzelgänger.
Der Krieg schließlich überraschte ihn
nicht, er war an den Vorbereitungen als hoher Sanitätsoffizier
beteiligt gewesen. Das Ende des Krieges kostete ihn wiederum seine
Ehefrau, mit der seine Ehe schon längere Zeit nur noch formal
bestanden hatte. Als Berlin schließlich in Ruinen lag und der Krieg
vorbei war, überlebte Benn dort und arbeitete weiter, nach 12 Jahren
Berufsverbot unter den Nazis brannte er daruf, wieder Gehör zu
finden, dort weitermachen zu können, wo er 1933 aufgehört hatte.
Man machte es ihm nicht leicht, die Hürden lagen hoch für ihn,
seine Gegner kamen nach Deutschland zurück und hätten ihn am
liebsten auch weiterhin mundtot gemacht. Doch das gelang ihnen nur
für kurze Zeit.
Das einzige Film-Dokument von Gottfried Benn, 1956 im Interview mit Thilo Koch
Projektionsfläche für die Deutschen
1948 erlebte Benn sein Comeback und
eroberte mit seinen Gedichten die Nachkriegsgesellschaft stärker,
als er es je zuvor geschafft hatte. Neben der Kahlschlagprosa der
Borchert und Böll war er die stärkste traditionelle Stimme, die mit
einem völlig anderen Sound daher kam und die Begleitmusik für den
Neuanfang bildete. Benn war Überlebender wie alle anderen auch, Benn
brachte die Erinnerung an die Vorkriegszeiten 1914 und 1939 mit, Benn
stand auf einem Bildungsfundament, das von den Nazis entweder
ignoriert oder pervertiert worden war. Benn war der neue
Bildungsbürger mit einem wunderbar proletarisch-direkten Klang, der
illusionslose Blick des Überlebenden mischte sich mit dem Klang der
hoffnungsvollen Stimme auf die Selbstbehauptung des Einzelnen.
Geprägt durch seine ganz eigene Erfahrung mit dem Dritten Reich, bot
Benn reichlich Projektionsfläche für die Deutschen, die mit ihrer
Schuld und ihrem Versagen ebenso kämpften wie mit den Regeln der
neuen Zeit nach dem Untergang.
Wo Brecht auf den Bau einer neuen
Gesellschaft setzte, glaubte Benn an den Wiederaufbau der alten
bürgerlichen Gesellschaft. Diesmal gelang sie, anders als 1919, aber
Benn blieb nicht genug Zeit, um das selbst mitzuerleben. Als er an
einem heißen Sommertag 1956 in Berlin-Dahlem zu Grabe getragen
wurde, hatte sich sein Traum von dichterischer Bedeutung und
Anerkennung schlussendlich erfüllt, wenn auch anders als bei Goethe
oder Thomas Mann. Mit Benn wurde auch das Erbe des Kaiserreichs, das
Erbe einer lang vergangenen Epoche zu Grabe getragen. Die Erinnerung
verblasste und machte einer sehr starken Beachtung von Benns
Verhalten in den 30er Jahren Platz.
Damit einher ging auch die
Schwierigkeit, Benns ganzen Weg nachvollziehen zu können. Er hatte
sich 1933 nicht einfach kaufen lassen, er hatte andere Beweggründe,
die von der politischen, weltanschaulichen Motivation her untadelig
waren, in der politischen, weltanschaulichen Wirkung allerdings
verheerend. Das nicht erkannt zu haben, war eines der größten
Versäumnisse des Dichters Gottfried Benn. Heute ist er nach einer
Phase des Verschwindens im Gedächtnis vieler Kenner wieder präsent.
Auffällig dabei, wie sehr die Jugend mehr zum expressionistischen
Teil des Werkes neigt, 100 Jahre nach ihrer Veröffentlichung. Zum
Kanon allerdings zählt der Teil des Werkes, das auf den grandiosen,
tragischen Fehler des Dichters folgte. Hier funkelt der große
Entwurf, die Kontrastierung von Gesellschaft und Einzelnem.
Benn bleibt ein problematischer
Charakter, sein Fehler von 1933 bleibt an ihm haften und dennoch ist
er ein faszinierender, wortmächtiger Dichter, der in der Lage ist,
die Menschen anzusprechen und zu berühren, sie mitzunehmen und zu
bannen: Lakonisch und melancholisch am Ende, wild und ungebärdig zu
Beginn. Nicht schlecht für einen Misanthropen.
Lutz Görner „Lyrik für alle“
121/169/170 Gottfried Benn 1- 3
1 Kommentar:
Wenn sonst keiner hier was sagt, dann will wenigstens ich mich mal bedanken für diese lesenswerte Charakterisierung von etwas Aufhebenswertem .
Christian Klotz
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