Sonntag, April 15, 2012

Avanti Dilettanti!


Die Zukunft des Kampfes gegen die Dummheit und andere Theorien

Wie sich das anfühlt, dieser Tage Mitglied oder Sympathisant der Piraten-Partei zu sein und sich trotz unfassbarer Umfragewerte als Dilettanten und ahnungslose beschimpfen oder zu begutachten lassen müssen? Sicher sehr unangenehm und irgendwie ungerecht, nach all dem Engagement und der vielen Zustimmung. Woran mag das liegen? An den Inhalten ja wohl nicht, über die verfügen die Piraten ja bekanntlich nur rudimentär oder in abgeschriebenen Versionen ihrer Partner Piraten anderer Bundesländer. 


www.dilettanten-gala.de
Also liegt es eben daran, am Mut zur Lücke? An der tapferen Entschlossenheit, aus dem dumpfen "eigentlich müsste man sich für Politik interessieren und engagieren und mal irgendwas machen" eine veritable Parteimitgliedschaft zu machen? Oder etwa schlicht daran, dass man nichts verkehrt machen kann, wenn man die Partei der selbstbewussten Studienabbrecher und charmanten Halbwisser gut findet? Haben sich da zwei gefunden? Der ahnungslose Wähler findet endlich eine Partei, die zugibt, genauso wenig Sachverstand zu haben? Schöne Theorie, für die vieles zu sprechen scheint und wofür man sicher keinerlei empirische Belege braucht, um sie zu belegen. 



Tatsächlich drängt sich der Eindruck auf, dass mit der wachsenden Hoffähigkeit der Piraten eine Entwicklung zu ihrem vorläufigen Ende oder wenigstens Höhepunkt kommt, die seit Jahren und wenigen Jahrzehnten immer weiter um sich greift: Die Zulassung des dilettantischen als produktive kraft, kreativen Befreiungsschlag und pädagogische Motivationsformel. kreatives, Selbstbestimmtes lernen zum Beispiel soll Kinder und Jugendliche dazu führen, sich ihrer Leistungspotenziale zielgerichtet zu vergewissern und bedienen zu lehren. Nicht die Orientierung an einer Lernnorm ist Daniel, sondern die kreative Annäherung daran, das suchen nach wegen der Problemlösung, die auch und gerade auch unkonventionelle Methoden zulässt, soll verdeckte Lernpotenziale befreien und vielleicht sogar zu Lösungsansätzen kommen, die ansonsten nicht erreichbar gewesen waren. 

www.der-dilettant.de
In diesem Zusammenhang war die Zusammenführung von normierten Lerninhalten und selbst organisierten Lernprozessen am Ende immer das Problem. Wer die Lernwege quasi freigibt, der gibt am Ende auch die Lernziele frei und relativiert Lerninhalte. Hier schlägt dann die Stunde des Dilettanten, der stark ist in der Improvisation, schnell im erfassen einer Situation und entschieden im aussortieren gefundener Lösungswege. Damit wird er zum Gegenspieler des Lerners und Wiederholers, der dem Stoff nicht seinen eigenen Stempel aufdruckt, sondern sich von ihm prägen lässt. Mit der Trennung vom normierten lernen zum selbstbestimmten ändert man die Erfolgsaussichten für viele junge Menschen, ersetzt eine Norm allerdings nur durch eine andere. Und am Ende ist wieder alles normiert und auf eine Möglichkeit festgelegt. Geprüft wird gar nicht oder wenig, ob denn der Schüler der richtige Lerntyp für diese Methode ist oder vielleicht doch eher der Typ, der vormachen-nachmachen liebt. 

In der Gesellschaft werden uns seit langem schon die Grenzgänger als Idealtypen innovativer, unkonventioneller Lebensgestaltung vor Augen gestellt. Erfolgreiche Schauspieler benötigen keine Schauspielausbildung mehr, Politiker machen aus ihren Interessen hauptberufliche Arbeitsschwerpunkte, im politischen Diskurs werden Laien immer häufiger als Volkes stimme hinzu gebeten und damit der Dilettantismus endgültig geadelt. Vor diesem Hintergrund gilt dann der Berufswechsler, der angehende Lehrer, der sich als Moderator versucht etwa, als besonders interessant, weil er mit einem gesunden Mittelmaß an Wissen und Können zwei Bereiche bedienen und den jeweiligen Branchenjargon imitieren kann.

Dass etwa Günther Jauch als Bildungsexperte gilt, hat er zum einen seinem Journalismusstudium zu verdanken und zum anderen der Tatsache, dass er eine Quizsendung moderiert. Dass ein ausgebildeter Arzt sich als Wirtschaftsminister versuchen darf, hat mit einer ausgemachten Qualifikation schon gar nichts mehr zu tun. Der Experte, der Mensch mit einer tiefer gehenden Ausbildung in seinem Metier, der Handwerksmeister oder der studierte Fachmann, ist nur noch in sicherheitsrelevanten Bereichen wie der Medizin vor seinen dilettierenden Amateurkollegen sicher. Überall anders möchte man darauf verzichten. Eher verdächtigt man den Experten des Fachidiotentums und der Basisferne.

Das Allgemeine Schema der Sammlung Über den Dilettantismus.
Goethe/Schiller 1799
Das Internet tut sein Übriges, indem es rasch abrufbar Informationen bereit hält, die man kurzfristig nutzen kann. Blogger verbreiten ihre Theorien weltweit in Sekundenschnelle. Die Ratgeberkultur der Medien führt dazu, dass Selbstdiagnosen und Heimwerkerqualitäten an der Tagesordnung sind. Handwerker führen dementsprechend ausführlich Klage darüber, dass Kunden sie erst dann hinzuziehen, wenn die heimische Baustelle ein vollständiges Chaos ist. Ärzte wundern sich über Eigenmedikationen und Selbstbehandlungen. Juristen Staunen über den Einfallsreichtum ihrer Laienkollegen und verbringen viel zeit damit, die streitbaren Laien von der Richtigkeit anderer Positionen zu überzeugen.

Der sogenannte Wutbürger, der aufgeklärte aktive Bürger mit Interesse am wohl und Wehe seiner Gemeinde und seines Umfeldes, ist ein Musterbeispiel, wie dem demokratisch legitimierten Dilettanten die Unterschiede zwischen Wunsch und Realität dank halb verstandener Fachinformationen verrutschen. 

Unter PR-Experten gilt deshalb bereits der Grundsatz, dass eine Aussage nicht richtig sein muss, sondern nur plausibel, um wirksam zu sein. So ist es nach der Theorie, dass eine Ursache auch eine Wirkung haben muss, völlig plausibel, dass ein Sack Reis, der in China umfällt, an der Nordsee eventuell ein Hochwasser auslösen kann.  Diese Theorie gewinnt an Überzeugungskraft, wenn man bedenkt, dass die Wissenschaft ja noch gar nicht alle Fragen hat erforschen können, so dass man im Zweifel zu wenig weiß, um die Theorie vom Reissack und der Nordsee klar zu widerlegen. Aus diesem Stoff sind dann, wenn die Winde sehr ungünstig stehen, Verschwörungstheorien gemacht. Die funktionieren bekanntlich nach dem Motto, je weniger man weiß, um so wahrscheinlicher ist die Zuhilfenahme einer Verschwörungstheorie, um Rätsel zu lösen. Wenn dann noch das Schema groß-gegen-klein, Regierung-gegen-Bürger etwa, zutrifft, kann es auch schon Mal kein Halten mehr geben. Und der Dilettant feiert schöne Erfolge.

Der Dilettant als Verschwörungstheretiker, Freizeitkulturschaffender oder ewiger Besserwisser ist in der Regel noch eine harmlose Erscheinungsform, wenngleich oftmals sehr nervig und anstrengend. Problematisch wird es, wenn sich das Dilettanten organisiert in professionell betriebene Bereiche einschleicht, Wirtschaft, Politik, Medien, egal wo. Dann wundert man sich gerne über seltsame Strategien, eigenartiger Auftritte oder unverständliche Texte, die so den erwarteten Qualitätsstandards gar nicht entsprechen wollen. Da ist schnell mal eine ganze Partei ruiniert oder das ansehen der politischen Kaste geschädigt. Da kann man schnell mal von einem Privatsender oder einem Boulevardmagazin und seinen Redakteuren in der Öffentlichkeit bloßgestellt werden. Oder man wird in eine TV- Talkshow eingeladen und kann zum Thema des Tages nichts sagen. Und an diesem Ende der Leitung trifft Ahnungslosigkeit auf Anspruchslosigkeit und schon geht das prima zusammen. Der Dilettant ist in der Mitte der Gesellschaft schon lange angekommen. Und nun hat er eben sogar eine Partei, die ihn zur eigenen Räson erklären könnte.

Aber schade dennoch, der Kampf gegen die Dummheit wird so nicht zu gewinnen sein.

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