Aus dem Zusammenhang gerissen - Titanic
Aus: "Titanic“ als Zeitzeichen - An Bord dieses Schiffs war die ganze Menschheit von Gina Thomas in FAZ 3.3.2012
Jeder
weiß, wie die Geschichte der Titanic ausgeht. Die Passagiere, die
mit dem unsinkbaren Luxusdampfer den Atlantik überqueren wollten,
wussten indes nicht, was ihnen bevorstand. Sie wussten nicht, dass
das Schiff eine Metapher für die anmaßenden Gewissheiten einer
fortschrittsgläubigen Welt werden sollte. Sie ahnten nicht, dass sie
eine Überfahrt antraten, die geradezu sinnbildlich ist für unser
aller Lebensreise ins Ungewisse. ...
Wie
die schier unübersichtliche Literatur zur Titanic bezeugt, liegt die
auch nach hundert Jahren nicht abreißende Faszination des Unglücks
nicht nur darin, dass das Schiff den Glanz und den Hochmut einer Zeit
verkörperte, die glaubte, die Natur durch ihre Schöpfungen besiegen
zu können. Vielmehr war an Bord der Titanic die ganze Menschheit in
ihren zahlreichen Facetten vertreten.
aus: Untergang der Titanic Eine geordnete Katastrophe Von CHRISTIAN SIEDENBIEDEL
In FAZ 1.4.2012
Vor 100 Jahren ist die „Titanic“ gesunken. Heute wissen wir: Auch in Extremsituationen verhalten die Menschen sich anständig. Und gar nicht egoistisch.
Eine Jahrhundertkatastrophe, die seither Dichter, Maler und Filmemacher
wie James Cameron („Titanic“ 1997) nicht losließ. Schließlich
geht es um Grundthemen der Literatur: Eros und Thanatos, Liebe und
Tod. Es geht aber auch um ein Grundthema der Ökonomie: die
Verteilung knapper Güter. Schließlich gab es beim Untergang der
„Titanic“ zu wenige Plätze in den Rettungsbooten. Ein
Forscherteam um den Züricher Professor Bruno Frey hat deshalb die
Passagierliste des Schiffes dahin gehend ausgewertet, wie die Leute
auf der sinkenden „Titanic“ die knappen Plätze in den Booten
verteilten.
Das
tiefere Forschungsinteresse des Ökonomen: Wenn es stimmt, dass sich
eine Regel immer im Extremfall bewähren muss, dann kann man am
Verhalten der Menschen in Katastrophen etwas über ihr Wesen lernen.
In der ökonomischen Theorie geht man schließlich (traditionell) vom
„homo oeconomicus“ aus, einem Menschen, der sich eigennützig
verhält. Im Gegensatz dazu hebt etwa die christliche Lehre seit
ihren Ursprüngen die ureigene Fähigkeit des Menschen zu
uneigennützigem Verhalten hervor.
Die
spannende Frage: Wie verhalten sich nun Menschen wirklich, wenn es um
Leben und Tod geht? Sind sie zu altruistischen Heldentaten fähig
oder kämpfen rücksichtslos um ihr Leben? Werden sie im
Überlebenskampf zum Tier, wie der Philosoph Thomas Hobbes meinte,
der im Menschen des Menschen Wolf sah?
Freys
klarer Befund: Der Untergang der „Titanic“ war - allem
Katastrophenchaos zum Trotz - eine geordnete Angelegenheit. Zumindest
herrschte keinesfalls allein das Prinzip „Survival of the Fittest“,
„die Stärksten setzen sich durch“. Die Forscher errechneten und
verglichen dazu die Überlebenswahrscheinlichkeiten der Männer,
Frauen und Kinder an Bord. Frauen hatten demnach eine um 50 Prozent
höhere Überlebenschance als Männer. Kinder hatten eine um 14,8
Prozent höhere Chance zu überleben als Erwachsene. „Das Prinzip
,Frauen und Kinder zuerst‘ wurde also tatsächlich befolgt“,
schließt Frey aus den Zahlen.
Aus: Angst vor Plünderungen - Unesco stellt Wrack der Titanic unter Schutz
In SPON 6.4.2012
Ab dem 15. April fällt das Schiffswrack unter die Unesco-Konvention zum Schutz des kulturellen Erbes unter Wasser, wie die Organisation am Donnerstag mitteilte. Das ist erst möglich, wenn ein Wrack 100 Jahre unter Wasser liegt - für die "Titanic" gilt das ab dem 15. April.
"Der Untergang der Titanic ist im Gedächtnis der Menschheit verankert", erklärte die Chefin der Uno-Kulturorganisation, Generalsekretärin Irina Bokova, … in Paris. Er dürfe deshalb nicht zum Ziel von als "unwissenschaftlich oder unmoralisch" eingestuften Erkundungsfahrten werden.
Die Schiffslegende liegt in internationalen Gewässern und kann damit nicht von einzelnen Staaten exklusiv beansprucht werden. Die 41 Vertragsstaaten des Unesco-Abkommens können den Verkauf von erbeuteten Gegenständen verbieten sowie Plünderern die Einfahrt in ihre Häfen versagen.
Titanic:
Untergang einer Versteigerung. Für
5500 Überbleibsel des Schiffes wird ein Käufer gesucht.
Vergeblich. von Hannes Stein
in Die Welt kompakt 13.4.2012
Mehr
als 5000 Objekte aus dem Wrack der "Titanic", die vor 100
Jahren gesunken ist, sollten beim Auktionshaus Guernseys in New York
unter den Hammer kommen - darunter ein Ticket für jene berühmte
Reise über den Atlantik, die kein gutes Ende nahm, ferner eine
Porzellantasse aus der ersten Klasse, aber auch eine silberne
Westentaschenuhr und eine Wollstrickjacke aus dem Koffer eines
Passagiers, die ihm jetzt nichts mehr nützt.
Wer
auch immer den Krempel ersteigern wird - laut Beschluss eines
amerikanischen Gerichts darf er nur im Ganzen, nicht en detail
erworben werden -, der erwirbt gleichzeitig den (eher theoretischen)
Titel eines Steward der "Titanic": Er hat die heilige
Pflicht, für das Wrack dort unten am Meeresgrund zu sorgen. Die
Versteigerung - obwohl verschoben - ist im Grunde längst gelaufen.
Anfragen waren schriftlich an das Auktionshaus zu richten, stand auf
der Web-Seite. Was das denn heiße, wollten wir wissen. "Bedaure",
sagte die freundliche Dame am anderen Ende der Leitung. "Unser
Haus kann sich nicht dazu äußern. Bitte rufen Sie unsere
Pressesprecherin an." "Ja, es wird eine Pressekonferenz
geben", sagte die Sprecherin. "Vielleicht. Wir wissen es
selber noch nicht." "Wollen Sie mir eine E-Mail-Adresse da
lassen?"
Während
wir auf die E-Mail warteten, hatten wir Muße, ein bisschen zu
grübeln, warum das Schicksal der "Titanic" die Nachwelt
immer noch beschäftigt. "Ich muss gestehen, dass nichts in dem
gesamten Krieg mich so sehr bewegt hat, wie es der Verlust der
,Titanic' ein paar Jahre vorher tat", schrieb George Orwell
1939. Er sprach vom Ersten Weltkrieg und schrieb weiter: "Ich
erinnere mich an die entsetzlichen detaillierten Berichte, die laut
am Frühstückstisch vorgelesen wurden, und ich erinnere mich, was
mich in der langen Liste der Schrecklichkeiten am meisten
beeindruckte: dass die ,Titanic' schließlich mit dem Bug voraus
sank, sodass die Leute, die sich am Kiel festhielten, nicht weniger
als 300 Fuß in die Luft gehoben wurden, bevor sie in den Abgrund
stürzten. Dies verschaffte mir ein Gefühl des Versinkens im Bauch,
das ich immer noch spüre. Nichts, was dann im Krieg geschah,
verschaffte mir das gleiche Gefühl."
aus: Fortschritts-Skepsis
nach dem Untergang der Titanic. Was
bleibt, ist ein mitleidiges Lächeln. Kommentar von Werner Bartens
in SZ 15.4.2012
Symbol
für die Hybris des Menschen: Angetrieben von 60.000 PS und der
Selbstgewissheit der Konstrukteure wurde die Titanic vor 100 Jahren
in den Abgrund gerissen. Mit ihr ging auch der ungebrochene Glaube
der Menschheit an den Fortschritt unter. Die westlichen
Industrieländer haben sich längst aus der
Schneller-Höher-Weiter-Konkurrenz veabschiedet, allenfalls die
phallokratischen Ambitionen einiger Schwellenländer erinnern an den
siegesgewissen Taumel der Titanic-Erbauer.
… Der
Mensch hat nach dem Untergang der Titanic zwar immer wieder
Anstrengungen unternommen, seine Unfehlbarkeit gegenüber der Natur
unter Beweis zu stellen. Der unplattbare Reifen und das bügelfreie
Hemd gehören zu den ebenso bescheidenen wie vergeblichen Versuchen,
den Launen des Alltags ein Schnippchen zu schlagen. Allenfalls die
phallokratischen Ambitionen einiger Schwellenländer, in geologisch
aktiven Gebieten der Erde das höchste Gebäude der Welt zu errichten
(die Antenne zählt aber mit!), erinnern an den siegesgewissen Taumel
der Titanic-Erbauer und ihr Schneller-Höher-Weiter. Die
westlichen Industrieländer haben sich längst aus dieser Konkurrenz
verabschiedet - und betrachten das Treiben wie Erwachsene den
Wettlauf von Kindern um den größten Turm aus Bauklötzen.
Für
das Manhattan-Project zum Bau der Atombombe wie für das
Apollo-Programm mit dem Ziel Mondlandung wurden zwar ungleich größere
Summen und mehr Techniker rekrutiert als für die Titanic. Doch
sogar bei diesen Prestige-Projekten der US-Regierung galt es trotz
aller Anstrengungen als ungewiss, ob die Bombe funktionieren würde -
beziehungsweise ob der Wettlauf um den Weg ins All gewonnen werden
konnte oder die Raketen schon beim Start krepierten.
aus: 100 Jahre nach Untergang Titanic-Gedenkfeiern auf hoher See in FAZ 15.4.2012
Genau 100 Jahre nachdem die „Titanic einen Eisberg rammte,
erklingt im Meer vor Neufundland das Schiffshorn. Passagiere zweier
Kreuzfahrtschiffe gedenken an der Unglücksstelle der Opfer von
damals.
Mit
Schweigeminuten, Gottesdiensten und dem tiefen Klang des Schiffshorns
wurde in Kanada an den Untergang der „Titanic“ erinnert - auf
hoher See: Exakt an der Stelle im Nordatlantik, wo die „Titanic“
vor 100 Jahren sank, wurde in der Nacht zum Sonntag auf den
Kreuzfahrtschiffen „Balmoral“ und „Azamara Journey“ der 1500
Opfer gedacht, die bei dem Unglück ums Leben kamen. Die beiden
Momente - die Kollision mit dem Eisberg und der Untergang - zwischen
denen sich das Schicksal der Menschen im Meer vor Neufundland
entschied, standen im Mittelpunkt der Gedenkfeiern.
Auf
beiden Schiffen hatten sich viele der Reisenden in Kostüme aus der
Zeit des Untergangs gekleidet. Und es gab noch mehr Authentisches:
Laut dem „The Chronicle Herald“ soll die Band auf der „Azamara
Journey“ um 2.22 Uhr „Nearer, My God, to Thee“ gespielt haben,
die Hymne, die auch das Orchester auf der „Titanic“ damals
angestimmt haben soll.
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