Donnerstag, Januar 12, 2012

Demokratische Melancholie  - Wulff, Presse und wir

Nun, da aus der Götterdämmerung des Bundespräsidenten mehr und mehr die Spötterdämmerung seiner Kritiker wird, solange er an seinem Amt festhält und das angekündigte Jahr des Vergessens vergehen lassen will, nun also ist es wohl an der Zeit kurz inne zu halten und sich die Frage zu stellen, was eigentlich in den vergangenen Wochen rund um die Affäre geschehen ist.

Der zähe Kampf einiger Medien um die Aufklärung der wahren Abläufe hinter der Kreditaufnahme des Bundespräsidenten und sein erbitterter Verteidigungskampf mit seinen Anwälten dagegen hat mit all seinen unprofessionellen und dilettantischen Nebeneffekten einen Blick auf die üblichen Routineabläufe auf höchster Ebene werfen lassen. Dem staunenden Volk öffnete sich für einen Moment der Vorhang und es wurden wie in einem Blitzlicht bei Nacht die handelnden Personen sichtbar, wie sie ihren üblichen Geschäften nachgehen wollten und es am Ende nicht recht konnten, weil einer die Regeln verletzt hatte. Wie und wann er das möglicherweise getan hat, bleibt wohl bis auf Weiteres im Dunkel der Zeitgeschichte verborgen. Bekannt ist nur das Resultat. 

Egal, auf welche Seite sich der Beobachter am Ende auch stellen möchte, er wurde selbst in dieser Angelegenheit alllein als Staffage benutzt, der man wesentliche Informationen uber Motive, Beziehungen und Handlungen vorenthielt. Auffällig ist doch im Verlauf der Affäre, dass beide Seiten sich immer wieder mit dem Hinweis auf denselben Wähler wahlweise auch Bürger für ihre Vorgehensweisen und Entscheidungen rechtfertigten. Verwies eine Redaktion auf das Aufklärungsbedürfnis der Bevölkerung plädierten Wulff und seine politischen Freunde für die Rückkehr zum wichtigen Geschäft des Regierens, weil die Menschen doch andere Probleme hätten. Dabei wollte die eine Gruppe eben diesem Bürger lediglich Gründe für die eigene Vortrefflichkeit und Abonnementstauglichkeit bieten und die andere sich im Amt halten. Völlig unterschiedliche Motive im einzelnen, einzig das Argument, das Amt dürfe nicht beschädigt werden, teilte man sich schiedlich. Stattdessen hantierte man mit den Begriffen der Wahrhaftigkeit, des Anstands, der Glaubwürdigkeit und so weiter und so weiter. Ist eigentlich niemandem aufgefallen, dass sich kein einziges Offizialorgan der Rechtsprechung für die Angelegenheit zu interessieren schien? Ganz offensichtlich lag der Kern der Affäre außerhalb ihrer Zuständigkeit, so dass sich selbst berufene Ermittler und Rechercheure auf den Weg machen konnten. 

So liegt also scheinbar die Verantwortung für die Verteidigung der Staatsräson, für die Einhaltung der Versprechen in den Amtseiden, die Oberaufsicht über die moralische Verfassung des Staates und seiner Vertreter bei den Medien, die nun ihrerseits völlig undemokratisch-unlegitimiert Kampagnen fahren, die das Grundgesetz zwar im Kleingedruckten zitieren, aber mehr den Regeln des Berufskodex verpflichtet sind. Deshalb ist die Lektüre der inzwischen fast zahllosen Interviews und Kommentare zum Thema so lehrreich. 
Als Quintessenz kommt dabei heraus, dass die Öffentlichkeit zu akzeptieren habe, dass der Journalist einzig den Maßgaben seines Berufsstandes verpflichtet ist und dass es so etwas wie eine moralisch-ethische Diskutierbarkeit journalistischer Standards gar nicht gibt. Zur Überraschung vieler wird aber dann oft angedeutet, dass es ja zum guten Ton der Deals genannten Abmachungen zwischen Redaktionen und Personen des öffentlichen Lebens gehört, mit Informationen und Geschichten sehr wählerisch umzugehen. Geschichten, die dem Voyeurismus des Publikums entgegen kommen könnten, werden nicht veröffentlicht, auch weil sie erkennbar nur einen begrenzten Wirkungsbereich hätten, so sie erschienen. Erst wenn eine gewisse Grenze überschritten ist, die der Fallhöhe der Person geschuldet ist, erst dann erhält die Geschichte den Vorrang und wird veröffentlicht. Dabei ist immer der Einzelfall entscheidend, allgemeingültige Standards lassen sich daraus nicht ableiten. Schlimm ist daran vor allem, dass dieser Mangel sich auch auf die Lokalebene fortsetzt, in kleinerem Umfang die Regeln journalistischen Handwerks aufweichen und ständig verschieben. Dabei hat die grenzenlose Freiheit des Internets natürlich seine Auswirkungen, ist aber nicht die einzige Ursache. Dieses Problem ist in der Wurzel älter als das Internet.

Wulff muss sich vorwerfen lassen, diesen Zusammenhang offenbar in keiner Phase seines beruflichen Wirkens verstanden zu haben. Ursache dafür könnte die Verwechslung des erreichten zeitlich begrenzten Amtes und seiner notwendigen Privilegien mit der scheinbaren Unantastbarkeit einer repräsentativen Funktion in der Gesellschaft sein. Wer ein Amt unter anderem anstrebt, um diesen Status der Unangreifbarkeit zu erreichen, der ist nicht nur falsch am Platz, sondern auch einem fundamentalen Missverständnis demokratischer Verhältnisse erlegen. Mag sein, dass vor diesem Hintergrund das dilettantische Verhalten des Bundespräsidenten erklärbar und nachvollziehbar wird. Andere haben es ja vor ihm schon vorgemacht, wie falsch man zum Beispiel mit der Salami-Taktik liegen kann. Verwunderlich, dass diese vielen schlechten Beispiele nichts an Verhaltensänderung gebracht haben. 
Das zweite Missverständnis ist offenbar die mangelnde Einsicht in die Qualität und Grundlage des Deals mit dem Medium oder den Medien. Beim Roulette gilt die Regel "Die Bank gewinnt immer", im Zusammenspiel mit der Presse gilt dies auch, die Presse gewinnt immer, weil sie sich, ohne es auszusprechen, im Stillen eine Ausstiegsklausel offen hält. Und diese Klausel beinhaltet, dass der Partner innerhalb eines begrenzten Rahmens Bewegungsspielraum und Narrenfreiheit besitzt. Erst wenn er dies falsch versteht oder sich nicht mehr an die vorgegebene Regeln hält, wird er über Nacht mit den Konsequenzen konfrontiert. Die Presse ist ein Tiger, von dem man nicht absteigen kann, wenn man versucht hat, ihn zu reiten. Deshalb tut ein jeder gut daran, auf seiner Seite zu bleiben und nicht der Versuchung zu verfallen, sich mit der Presse gemein zu machen. Politiker sollten dies per se beherzigen, Wirtschaftsleute haben in der Regel ohnehin eine gehörige Portion Skepsis, Menschen aus dem Showbusiness können anders verfahren, für sie gelten unter Umständen andere Regeln im Pressekontakt. 

Und nun also, im milden Licht der Götterdämmerung in Berlin betrachten wir Bürger das sich leerende Schlachtfeld und wundern uns darüber, wie schnell die Karawane nach der Schlacht weiterzieht und nun andere Themen bevorzugt. Es kann den erwartungsvoll gestimmten mündigen Bürger schon einmal melancholisch stimmen, wenn er auf die leise im Wind raschelnden Papierstapel, bedruckt mit schrillen Neuigkeiten und krachenden Dementis, mit brillanten Analysen und weit hergeholten Argumenten, sieht und dem Geräusch der abziehenden Karawane nachlauscht. Vorsicht vor den Medienleuten, Skepsis vor den Kandidaten für öffentliche Ämter - das ist die Folgerung aus diesen turbulenten Tagen. 
Es wird wieder solche Tage geben, wieder werden Ungereimtheiten entdeckt im öffentlichen Handeln und wieder werden Informationen über Deals und Absprachen durchsickern, von denen sich die arme Bürgerseele nichts träumen ließ. Er wird zum Zeugen eines Schauspiels gemacht, er wird als Beobachter eines Vorgangs genötigt, ohne dass es einen Anhörungstermin gäbe oder Mitwirkungsmöglichkeiten bereitgestellt würden. Mag sein, dass Wulff zurücktreten muss und zurücktreten wird, mag sein, dass die Bild-Zeitung künftig zum Blatt der Sitten und Moden für die gebildeten Stände wird, mag sein, der Wahlbürger, der brave Demokrat im Schlafrock, hat darauf keinen Einfluss, Straßenumfragen und demoskopische Erhebungen simulieren demokratische Einflussmöglichkeiten, am eigentlichen Schauspiel aber nimmt er nicht wirklich teil. 
Es geht nicht darum, jeden Bürger zum Chefredakteur h.c. zu machen oder täglich repräsentative Abstimmungen durchführen zu lassen, es ginge darum, auf derselben demokratischen Wertebasis zu handeln, die für den Bürger gilt, erkennbar die gleichen Maßstäbe fürs eigene verantwortliche Handeln anzulegen. Dann wäre etwas gewonnen. So aber behält Ferdinand von Schirach recht, wenn er sagt, Wulff vermittle den Eindruck, kein Vorbild, sondern das Abbild des Volkes sein zu wollen. Nur dass dieses Argument auch vice versa für die Presse gilt. Wenn die moralischen Maßstäbe nicht mehr stimmen und diese Ergebnisse zeitigen, dann ist es Zeit für die Götterdämmerung.
12.1.2012


 http://www.stern.de/politik/deutschland/neujahrsempfang-in-schloss-bellevue-das-dreigestirn-des-dauerlaechelns-1772961-420123e97a674c4f.html