Dienstag, Juli 17, 2012

Zwischenruf: Und Friede auf Erden


In Syrien & überall: Was uns der Frieden wert ist

Frieden. Ja, Frieden, wie schön das Wort klingt, wie beschaulich, wie besinnlich. Für den Frieden müssen wir alles tun, was in unserer Macht steht. Ja. Aber müssen wir auch für den Frieden kämpfen? Müssen wir oder andere in unserem Auftrag dafür sterben? Fast vierzig Jahre nach meinem Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer stellen sich nach wie vor dieselben Fragen wie damals, dieselben Probleme. Und es klingt mehr als zynisch, es klingt obszön, den Frieden zu hinterfragen und Vermutungen über unsere Kriegsfertigkeit zu stellen, die ja auch Friedensfertigkeit heißen könnte. Hinter den Friedensbeteuerungen, die tagtäglich auf der ganzen Welt geäußert werden, hinter den zahllosen Verhandlungen, die statt finden, um einen mühsam erlangten Frieden am Ort zu erhalten oder per Vertrag zu festigen, steht das ungezügelt Kriegstreiberische, das einfache Böse, das sich in Kriegsvorbereitungen und Kriegshandlungen vollzieht und auf keinen Fall den guten Absichten der Friedensfreunde weichen will. 
Zäsur Zweiter Weltkrieg?
Der zweite Weltkrieg schien mit seinen fürchterlichen Grausamkeiten, der zuvor unvorstellbaren Unmenschlichkeit, die ihn hervor brachte und die er hervorbrachte, eine historische Zäsur zu bilden, die mit der Gründung der größten Völkergemeinschaft der Geschichte, der UNO, ihre äußere, friedensstiftende Entsprechung fand. Zeitgleich rüsteten die Weltmächte gegeneinander weiter auf, führten Stellvertreterkriege in Korea, Israel, Kongo, Algerien, Kuba und Vietnam und führten zumindest eine der beiden Mächte in den Ruin. Aber selbst diese Zäsur brachte 1989 nur eine sehr sehr kurze Atempause, in der die Menschheit einen sehr sehr kurzen Traum vom Weltfrieden träumte. Und zeitgleich endete ein Krieg in Afghanistan, ging der Konflikt in Nahost weiter, verwüsteten Bürgerkriege den Libanon, Angola, den Balkan und Sri Lanka. Und immer noch starben die Menschen. 

Die Hoffnung endete nie, bis heute nicht, und immer wieder flackerten an allen Ecken und Enden der Welt alte und neue Konflikte auf, die von der UNO nicht oder nur unzureichend befriedet werden konnten. Heute, wo der Terror inzwischen eine Kraft erreicht hat, die stark genug ist, ganze Staaten und Staatengemeinschaften herauszufordern, ist der Feind einer, der mit den Mitteln der herkömmlichen Kriegsführung nicht zu besiegen ist. Ein Feind, der darauf bauen kann, dass die Voraussetzungen, die ihn erst ermöglicht, wenn nicht gar hervorgerufen haben, bestehen bleiben. Bestehen bleiben, weil sie nur um den Preis eines weiteren bewaffneten Konfliktes zu ändern wären. Und immer noch sterben die Menschen

Interessen und der Preis des Friedens
Bestehen bleiben, weil die Interessen, die hinter den Verhältnissen stehen, nachhaltig sind, nachhaltiger als der Wunsch der Mehrheit nach Frieden. Bestehen bleiben, weil es manchmal sinnvoller erscheint, den Zustand der Ungerechtigkeit zugunsten der Erhaltung des Friedens zu ertragen. Und denjenigen, die unter der Ungerechtigkeit, der Verfolgung, der Folter, dem Mord leiden, übertragen wir die Aufgabe, stellvertretend mit ihrem Opfer an Unversehrtheit, Leben und Sicherheit uns den Weltfrieden zu ermöglichen. Auf Dauer funktioniert die Friedenspolitik der Neuzeit immer wieder auf diese Weise. Einige wenige zahlen den Preis, indem sie einen Zustand ertragen, der überall anders auf der Welt als schreiendes Unrecht gelten würde. Und so zwingen die Unwägbarkeiten des Krieges, die unheilvolle, mehr und mehr allgemeingültige Abschreckungslogik diejenigen Staaten und ihre Bürger, die noch über friedliche Verhältnisse verfügen, dazu, ihr Glück, ihren Frieden, ihr Überleben zu erhalten und auszubauen, indem sie andere Menschen verraten, verstoßen, vergessen. Man kann dies die Dialektik des Friedens und des Krieges nennen, man kann das die Notwendigkeit des Kompromisses nennen oder man kann es ganz einfach schändlich und unmenschlich nennen. Denn immer noch sterben die Menschen 

Nicht nur ein Gespräch über Bäume schließt heute das Schweigen über soviel Unmenschlichkeit ein, auch das Gespräch über den Frieden schließt das heute mit ein. Deshalb wird heute nicht mehr über Frieden Oder Krieg verhandelt, wenn es zu Verhandlungen kommt, sondern es wird über den Preis des Friedens oder den Preis des Krieges verhandelt. Das hat nichts Zivilisatorisches mehr, das ist vorgeschichtlich-barbarisch in seiner grausamen Rationalität und es ist unmenschlich in seiner hilflosen Kompromittierung seines eigenen Wertesystems. Es scheint fast, als wolle die Geschichte (oder seine Protagonisten, wir alle) die passende Inszenierung für Adornos apokalyptisch-tragische Weltsicht liefern. Wir hatten angenommen, dass Adorno auf die Erfahrungen des zweiten Weltkrieges reagiert hätte. In Wahrheit hat er eine Utopie der Hoffnungslosigkeit und der Unwahrheit entworfen, deren Ursachen, deren analytischer Schnittmusterbogen der Weltkrieg gewesen war. So gesehen erscheint der Weltkrieg nur als ein grausamer Höhepunkt der Kriegsgeschichte, nicht als sein Ende. Die Kontinuität des Schreckens blieb bestehen.  Denn immer noch sterben die Menschen

Man muss es verstanden haben
Man muss das verstehen, man muss das eingestehen, wenn man heute über Interventionen nachdenkt wie aktuell in Syrien. Man muss das durchdacht haben, wenn man sich gegen Interventionen ausspricht. Man muss es verstanden haben, wenn man sich für Interventionen entscheidet. Keiner, der entscheidet, keiner der beiden Seiten oder der vielen involvierten Seiten bleibt unschuldig, keiner wäscht seine Hände in Unschuld, niemand bleibt verschont. Weder der Politiker am Verhandlungstisch oder im Parlament, noch der Journalist oder der Vater, der seinen Sohn vom Dienst an der Waffe abhalten will. Der allgegenwärtige Krieg, die allgegenwärtige Terrordrohung zwingt selbst den Friedfertigen noch dazu, sich wie ein Krieger, wie ein Soldat zu verhalten. Die Friedensbereitschaft unserer Gesellschaft hat schon erste Risse bekommen, das schleichende Gift der Kriegsfertigkeit tröpfelt leise und langsam in ihre lebenswichtigen Systeme ein und verändert die Perspektiven, die Diskussionen und die Bewertungen. Vor wenigen Jahren wäre ein Essay wie dieser an dieser Stelle nicht vorstellbar gewesen. Und das ist etwas, was man beklagen muss. Es trifft die meisten von uns unvorbereitet, weil wir alle darum kämpfen, bei unserer einmal erworbenen Friedfertigkeit und Friedensfähigkeit zu bleiben. Es beraubt uns der Sicherheit im Diskurs, es untergräbt die Autorität unserer Argumente und es stellt die Integrität unseres Denkens grundsätzlich in frage. Denn immer noch sterben die Menschen. 

Selig sind die Friedfertigen 
Let's agree to differ? Nein, wohl nicht. Indifferenz ist keine Antwort auf die Fragen, vielmehr zwingt uns die Ausweglosigkeit des Spiels um Krieg und Frieden, um Leben und Tod zu Klarheit und Eindeutigkeit. Der Hinweis auf ein moralisches Dilemma rettet uns nicht. Deshalb bekommt meine Stimme derjenige, der für den Frieden ist, der sich gegen die Gewalt und gegen den Krieg ausspricht, und der bereit ist, die Schwachen vor der Willkür und Grausamkeit der Starken zu schützen. "Selig," sagte einst ein uns nahestehender Prophet, "selig sind die Friedfertigen." Und, ja, dafür lohnt es sich sogar zu kämpfen.

Keine Kommentare: