Donnerstag, Februar 23, 2012

Unser Internet, unser Zuhause

Es sind die Inhalte...
Die Schwarmintelligenz und die analoge Denke

Illu: Julien Christ/pixelio.de

Es ist eine seltsame Sache mit dem Internet, der Schwarmintelligenz, der Weisheit der vielen. Vieles soll sie ja ausrichten können, die Globalisierung von Ideen im Nanosekundentakt, die subversive Unterminierung staatlicher Gewalt, die Verbindung kreativer Leistungszentren rund um den Globus - das Land der klugen und weisen, die virtuelle Gelehrtenrepublik, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag, durchgängig geöffnet. Eine Welt jedoch, in der Transparenz und Teilhabe zwar immer wieder als unabdingbar gefordert werden, jedoch in der Praxis hinter dem Wunsch zurück stehen,geschützt in der Anonymität des Netzes zu existieren.

 Der Streit zwischen analogem und digitalem denken hat erst begonnen und bis heute hat die digitale Zukunft noch keine wirklich neuen Diskursformen oder demokratische Teilhabemoglichkeiten entwickelt. Statt dessen aber Prozesse beschleunigt und mehr Menschen als je zuvor in diese eingebunden. Aber nach wie vor ist es die Botschaft, nicht das Papier, die Veränderungen bewirkt.

Virtuelles Nimmerland 
Wikileaks zum Beispiel war für eine kurze Zeit der scheinbare Beleg für die Kraft der Offenheit und demokratischen Teilhabe aller an allem. Bis die Unzulänglichkeit der Betreiber die Idee scheitern ließen. Vroniplag wies einem selbstverliebten Minister seine Fälschungen nach, Twitter und Facebook halfen, den arabischen Frühling zu organisieren, der sich inzwischen eher als neuer Winter entpuppt hat. All überalll sprießen Blogs und Blogger aus dem virtuellen Nimmerland und versorgen uns mit einem unüberblickbaren Berg von Meinungen, Einschätzungen und Erkenntnissen. Dabei wird gerne so getan, als hatte es eben dies, nämlich Meinungen, Einschätzungen und Erkenntnisse nicht schon vorher in den entsprechenden Eliten der Republik gegeben, nur dass die auf die klassischen Wege der akademischen Produktion oder feuilletonistischen Publikation angewiesen waren. 

Analoge Diskussionstradition 
Was die quasi analoge Diskussionstradition noch hatte, war ein klar erkennbares Ende, eine finale Phase, in der These und Antithese in der Synthese zunächst ein Ende fanden, bis sich in der nächsten Diskussion neue Aspekte ergaben. Die digitale Debatte zeichnet sich dagegen vor allem durch ihre Endlosigkeit aus, ihre schlichte Weigerung, zu einer conclusio zu finden. Lagermentalität entsteht auf diesem Wege, aber kein demokratischer Diskurs. Jedes Lager findet in seiner Datencloud ausreichend Speicherkapazität, um bis zum St. Nimmerleinstag die eigenen Einsichten zu wiederholen, ohne dass deshalb die Erde sich aufhören würde zu drehen. 

Illus (2): Gerd Altmann/pixelio.de
Wenn es denn einen Vorzug der Bloggerkultur gibt, dann ist es wohl die scheinbare Beteiligung der vielen am gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess. Allerdings wird der keinesfalls transparenter, sondern nur lauter und vielstimmiger. Das Rätsel, wo dieser Prozess jeweils seinen Ausgang nimmt und wie er beeinflusst wird, bleibt ungelöst. In der Tat gibt es kein neues, spezifisch Web-basiertes Phänomen in der Massenkommunikation, nichts, was es nicht schon analog gegeben hätte, nichts, was die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung Revolutionär und von Grund auf verändert hätte. Der arabische Frühling wurde völlig analog mit den üblichen Machtmitteln der herrschenden beendet und teilweise in sein Gegenteil verkehrt. Gerade dort drohen die reaktionärsten Kräfte Besitz von den Errungenschaften der Revolution zu ergreifen. Die Hilferufe der notleidenden Menschen in Syrien bleiben andererseits von der Weltgemeinschaft ungehört, weil die politischen Entscheidungen immer noch denselben regeln gehorchen, wie im 17. Oder 18. Jahrhundert. Oder bei Dschingis Khan und Pol Pot. Die Freiheit der Kommunikation, so weit vorhanden, ist eben nicht gleichbedeutend mit dem Besitz der Menschenrechte, der Freiheitsrechte. Und die Durchsetzung dieser rechte ist keine frage der Versorgung mit Glasfaserkabel und w-LAN, sondern eine der Kraft des demokratischen Bewusstseins und Willens in einem Land. Die deutsche Revolution von 1989 kam ganz ohne das Internet, aber nicht ohne die Bürgerrechtler aus. 

Abhängig von den paar klugen Köpfen 
Und die Schwarmintelligenz? Ist abhängig von den paar klugen Köpfen, die sich im Schwarm tummeln und am Ende die Veranstaltung mit ihrer Kompetenz und ihrer Begabung retten. Dieser Gedanke ist im demokratischen Nirwana natürlich verboten, doppelminusungut, und darf deshalb nicht ausgesprochen werden, weil es die Illusion vom basisdemokratisch Herrschaftsfreien Raum (zer)stört. Eben solche rigorosen Gesetze für die Kommunikation der Peer Group hat es noch in allen politischen, religiösen oder sonstigen weltanschaulich gebundenen Gruppen gegeben. Ganz ohne Internet, ganz ohne Chatroom und Blogs. 

Wikipedia, das Hirn der weltumspannenden Wissenssammlungen, verlässt sich schon lange nicht mehr auf die schiere Brillanz der Schwarmintelligenz, Spiel- und Nutzungsregeln, wie sie auch dem ausgestorbenen Brockhaus oder Meyers Enzyklopädie gut zu Gesicht gestanden haben, sorgen dafür, dass nach analogen Maßstäben der Wissenschaft und der Wissensbestandspflege halbwegs wahre Dinge verbreitet werden. Interessant dabei ist nur der leichte Zugang zu Informationen und die erweiterte Basis von wissenswerten Informationen. Dies ist jedoch das Ergebnis erweiterter technischer Möglichkeiten, nicht die Antwort auf die Frage, wie wir uns das Superhirn bauen können, das in Per Anhalter durch die Galaxis die letztgültige Frage beantworten half. 


Und gerade an diesen Regularien fehlt es im World wide Web, das jedem World wide Depp offen steht, sich irgendwie an der Debatte zu beteiligen. Dabei ist Teilhabe an einer gesellschaftlichen Debatte auf ewig und immer an die Kompetenz dazu gebunden. Das recht auf Teilhabe ist nicht gleichbedeutend mit seiner Durchsetzung und seiner Sinnfälligkeit in der Praxis. Das wird allzu gerne vergessen, respektive verwechselt, weil wir immer noch in analoger Tradition davon ausgehen, dass der Zugang zu meinungsverbreitenden Kommunikationskanälen umkämpft und von bösen Besitzern eingeschränkt wurde. Damit ist allerdings Schluss, zum Glück, allerdings ohne die Regeln der sinnhaften Rede und der nutzbringenden Kompetenz außer Kraft zu setzen. 
Diese Regel gilt in voller Schärfe auch und gerade für jene, die ihren Ansprüchen genügen. Dieser Zugang ist und bleibt ein Privileg, das immer wieder verteidigt und erobert werden muss. Bis dahin bleibt das Netz, die Community, das Web.2 bis 3.0 ein bloßer Kommunikationskanal wie so viele andere. Und die Arbeit an den Inhalten wird dieselbe sein, wie schon zu allen Zeiten. Es sind die Inhalte, die entscheiden, nicht die Form. Und es sind die mit den Inhalten, die die Meinungsführerschaft übernehmen. 
Alles wie immer. 
Noch. 

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