Sonntag, Februar 19, 2012

Der König ist tot - es lebe der König?


Die Leere danach.... 

Es ist geschehen, was viele Experten schon lange als unausweichlich bezeichnet hatten, der Bundespräsident Wulff müsse zurücktreten. Es ist geschehen und es zeigt sich, dass der Rücktritt keineswegs eine befreiende Wirkung hat, sondern nur wiederum offenlegt, wie wenig souverän die verantwortlichen Damen und Herren mit der Situation umzugehen verstehen. Wulff, kaum 48 Stunden aus dem Amt, schrumpft innerhalb von Nanosekunden zu einer publizistischen Fußnote. Allenfalls das Ergebnis der staatsanwaltlichen Ermittlungen wird noch einmal für Aufsehen, für ein geringes öffentliches Aufsehen, sorgen. Schon als die Meldung vom Antrag der Hannoveraner Staatsanwälte auf Aufhebung der Immunität über die Bildschirme geisterte, wies man eifrig darauf hin, dass 80 bis 90 Prozent - so genau wollte man es dann doch nicht wissen - der aufgenommenen Ermittlungen ergebnislos eingestellt wurden. Wulff hat diese Erkenntnis nicht mehr geholfen, er wird nun die Ermittlungen über sich ergehen lassen und feststellen, dass Vorwürfe, die eben noch, während seiner Amtszeit inkriminiert wurden, als belanglose Petitessen abgetan werden und auf den hinteren Plätzen der Meldungsspalten landen.

Und nun, nachdem er gegangen ist, wird man auch zugeben können, dass die Fehler des Niedersachsen nicht das Zeug für eine veritable Staatsaffäre hatten und haben. Statt dessen gilt es nunmehr, die Strecke der Verlierer zu sichten, Gewinner und Profiteure auszumachen und sich nach neuen Highlights umzusehen. Wulff ist weg und es scheint, als habe sein Abgang schlussendlich mehr Bedeutung für die politische und gesellschaftlich führende Kaste als für den Durchschnittsbundesbürger. Es muss in den letzten Wochen einer Menge von Angehörigen der Parteien und Parlamente zigfach eiskalt über den Rücken gelaufen sein, als ihnen klar wurde, wie dünn das Eis ist, auf dem sie über die öffentliche Bühne schliddern. Kleinere und kleinste Verfehlungen werden unter dem Brennglas der öffentlichen Aufmerksamkeit plötzlich wichtig und von angeblich öffentlichem Interesse. Manch einer mag sich gefragt haben, ob ein unbezahltes Knöllchen, ein großzügiges Geschenk oder die Ex-Freundin ihm noch gefährlich werden könnten. In vielen Gesprächsrunden, in denen die Causa Wulff diskutiert wurde, hallte der schiere Schrecken nach, der sich verbreitet hatte, nachdem es wieder einen aus der höchsten Riege der politischen Verantwortungsträger herauskatapultiert hatte. Offenbar wurde schlagartig, dass keine Deckung wasserdicht, kein Versteck unauffindbar und kein Gerücht wirksam zu stoppen ist. Die Illusion, angesichts der eigenen Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit vor solchen Anwürfen geschützt zu sein, zerstob knallartig und verbreitete kurzfristig Angst und Schrecken. Welche Kontakte zu den Medien sind noch was wert? Was ist von dem Bonmot des Springer-Chefs Döpfner zu halten, der gesagt hatte, wer mit der Bild-Zeitung nach oben komme, der gehe mit ihr auch wieder (r)unter? Eine Drohung, eine Klarstellung?

Wie kann denn in Zukunft noch ein vertrauensvoller Kontakt aufgebaut und gepflegt werden, wenn die Regeln, nach denen das Spiel gespielt wird, so volatil und leicht zu verändern sind? Wer sich die Mühe oder den Spaß gemacht hat, möglichst viel über die Angelegenheit zu lesen und dabei auch diejenigen Stimmen zur Kenntnis zu nehmen, die nicht zu den meinungsführenden Publikationen gehören, der konnte feststellen, dass außerhalb der Festung Berlin-Mitte schon mal eher der gesunde Menschenverstand die Oberhand behielt und dass oftmals eine eigenartige Haltung des staunenden Beobachters wahrzunehmen war, der nicht glauben mochte, was sich da vor seinen Augen abspielte. Journalisten, die oft und gerne mit ihrem Nicht-Wissen kokettieren und gerade daraus die Selbstverpflichtung zum unerbittlichen Nachbohren und -suchen ableiten, stellten plötzlich fest, dass Politiker Menschen sind, Menschen, die möglicherweise verführbar sind und möglicherweise auch unüberlegt handeln. Journalisten, die extrem darauf aus sind, sich bestens zu vernetzen und Kontakte in Alle Himmelsrichtungen zu haben, diese Journalisten ließen zu, dass auf diese Beziehungen und ihre Pflege der Schatten des pauschalen Verdachts fiel. Und eben diese Journalisten lassen gerade indessen Moment ihre Beziehungen spielen, um möglichst nahe an den Entscheidungsprozess hinter verschlossenen Türen zu kommen, wenn es darum geht, den Nachfolger zu küren. Und es funktioniert, wie man allenthalben lesen kann. Die Quellen sprudeln, die Informationen werden ausgetauscht, bald schon werden Dossiers in Redaktionen vorliegen, die dort nicht hingehören, werden Detailinformationen aus vertraulichen Gesprächen veröffentlicht, die so nie an die Öffentlichkeit sollten. Dass auf der Methode dieser Informationsbeschaffung der Hauch der moralischen Fragwürdigkeit liegen könnte, ist als Argument in der (ver-)öffentlichen Diskussion nicht zugelassen. Durchstechereien und Indiskretionen sind Scoops, sind Erfolge, die man sich wie Skalps an den Gürtel hängt und die das Ansehen in der Meute sichern.


Frank Schirrmacher spricht aus, was zur Ursachenforschung beiträgt


Manch einem mag jedoch der Gedanke durch den Kopf gegangen sein, wie unsicher und gefährdet die eigene Stellung im politischen und gesellschaftlichen Gefüge tatsächlich ist, wenn man diese Stellung als Wahlamt oder per Ernennung erhalten hat. Die eben schon einmal angesprochenen Gesprächsrunden im TV vereinen regelmäßig Angehörige dieser privilegierten Stände, die über ein Mitglied urteilen sollten oder wollten, das offensichtlich gegen den Kodex verstoßen hatte, der da lautet "übertrieb' es niemals!" in diesem Licht nämlich wurde über normale Abläufe gesprochen, wurde erklärt, wer welche Quellen besitzt, um an Güter des täglichen Bedarfs zu kommen, wer welche Kontakte hat, um in den Genuss bestimmter Erholungs- und Reisevorzüge zu kommen. Und am Rande wurden sogar die Journalistenrabatte thematisiert.

Man hat dabei sogar erstmals zugelassen, dass über die sozialen und gesellschaftlichen Implikationen der Vorwürfe gegen Wulff gesprochen wurde. Wulff, der Aufsteiger, der angepasste Underdog, der beifallssüchtige Loner, der aus Furcht vor dem Abstieg Fehler über Fehler machte. Wer auch immer diese Diskussionsführung begonnen hat, der hat in der Sache zutreffend, aber in der Zielrichtung obskur, zugelassen, dass die gesellschaftliche Errungenschaft der sozialen Durchlässigkeit, der Chancengleichheit und der Förderung nach Leistung, nicht nach Geburt und Abstammung, in Zweifel gezogen wurde. Dabei hat ein anderes Beispiel uns trefflich vor Augen geführt, dass der Abkömmling weiland höherer Stände keineswegs moralisch gefestigter handeln muss.

Stattdessen hat die deutsche Aufsteigergesellschaft einen der ihren dafür bestraft, gegen die Regeln der Diskretion und Obacht verstoßen zu haben, die an die Stelle der vormals gültigen Gottgewolltheit bestimmter Zustände getreten ist. Kevin Costner hat in seiner Trauerrede für Whitney Houston darauf angespielt, dass es zum Fluch des Ruhms werden kann, sich ständig der Frage stellen zu müssen, ob man denn noch immer gut genug sei, um den Ruhm zu verdienen. In Deutschland hat man die Frage anders gestellt: Ist man verschwiegen und clever genug, um noch zum Club dazu gehören zu dürfen? In den Talkshows wurde dieses Dilemma offenbar, als man sich nicht auf gültige moralische Standards einigen konnte, die anzulegen seien. Es war offenbar nicht möglich, Bezug auf einen allgemeingültigen Kodex zu nehmen, der unbestritten wäre. Statt dessen wurden formalrechtliche Argumente ebenso benutzt und missbraucht wie nassforsche Unbekümmertheit. Grundgesetz und Strafgesetzbuch plus Richtlinien und Handlungsvorschriften sind offenbar weder sakrosankt noch bekannt, so dass sich ein jeder erst einmal ausprobieren kann, bis er gesagt bekommt, dass er die Grenze des Erlaubten überschritten hat. Klar, dass in diesem Zwielicht gut über Verfehlungen und Schuld zu streiten ist. 

Eben.....


Insofern kann man die Causa Wulff und ihre mediale Behandlung als Selbstgespräch der meinungsführenden Gruppen verstehen, ein interner Klärungsprozess, bei dem man über die Klubmitgliedschaft eines einzelnen stritt und sich dabei von Millionen zuschauen ließ, die nicht dazu gehören. Die Frage, ob für die Zugehörigkeit zu diesem Klub tatsächlich ein objektiv belegbarer Leistungsnachweis notwendig ist, stellte sich dabei nicht. 

Und so besteht die Gefahr, dass die Regelung der Wulff-Nachfolge nur dazu dient, die Mechanismen der Gesellschaft, so wie wir sie um uns herum haben, nur zu bestätigen und zu stärken. Ob Wulff bis heute gescheitert ist, weil er Fehler gemacht hat, weil er sich etwas zuschulden hat kommen lassen, oder weil er unsere gültigen moralischen Standards verletzt und zu lange gezögert hat, sich dazu zu bekennen, bleibt völlig offen und wird auch nicht bei der Staatsanwaltschaft Hannover oder den zuständigen Gerichten geklärt werden. Es würde einer öffentlichen Debatte bedürfen, um diese Frage zu klären. Einer Debatte mit Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen. Das Amt des Bundespräsidenten könnte, wenn es denn tatsächlich Schaden genommen hat, ein weiteres mal beschädigt werden. Dann nämlich, wenn der Nachfolger einfach zur Tagesordnung übergeht. Der König ist tot, lebt der König?

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