Sonntag, Juni 10, 2012

Von der Nicht-Kommunikation


Institut für angewandte konsensorientierte Rhetorik
Sprechtal-Hintermberg

Seminar „ Konsensorientierte Rhetorik – Angewandte Aporien“
Impulsreferat Prof. Dr. H. O. Ax, Langweiler v. d. H. (unautorisierte Mitschrift)

Liebe Gäste, liebe Freunde der deutlichen Aussprache,

es freut mich, Sie hier so zahlreich versammelt zu finden. So zahlreich versammelt zu finden, um einem Vortrag über „Konsensorientierte Rhetorik“ zu lauschen. Gestatten Sie mir gleich zu Beginn festzustellen, dass meine Freude, Sie zu sehen, echt ist. Es könnte vielleicht sein, dass Sie sich am Ende des Vortrags die Frage stellen, ob der Anfang und vielleicht die eine oder andere Aussage meines Vortrages den Regeln der schwarzen Rhetorik geschuldet seien. Es ihr also an Wahrhaftigkeit und innerer Überzeugung mangeln könnte. Bitte glauben Sie mir, das wird nicht so sein. Von allem, was ich Ihnen sagen werde, bin ich zutiefst überzeugt und glaube daran, dass es Ihnen nutzen kann, ein besserer Redner und Diskutierer zu werden. 


Auf dem schmalen Grat zwischen Zustimmung und Ablehnung
Und damit bin ich schon bei der grundlegenden These meines Vortrages angelangt. Sie sehen, ich vergeude keine Zeit, auf den Punkt zu kommen und Ihnen genau das auch zu vermitteln. Immerhin sind Sie hier her gekommen, um Neues zu hören, etwas Nie-gehörtes, etwas Provokantes vielleicht, etwas Nützliches auf jeden Fall. Ich ahne also, welche Erwartungshaltung Sie hergeführt hat, ich glaube zu wissen, wo bei Ihnen die Grenze zwischen Langeweile und Aufmerksamkeit verläuft, und ich habe die feste Absicht, an dieser Grenze entlang zu gehen, auf diesem schmalen Grat zwischen Zustimmung und Ablehnung. 

Wie also lautet nun meine erste grundlegende These? Sie lautet ganz einfach „Holen Sie Ihren Zuhörer dort ab, wo er steht.„ Das haben Sie schon einmal gehört? Mag sein, aber hören Sie zunächst meinen Zusatz: „Bestätigen Sie Ihren Zuhörer in seinen Erwartungen, überfordern Sie ihn nicht mit allzu vielen Neuigkeiten, verschonen Sie ihn mit weitschweifigen Begriffserklärungen.„ Ich sehe ihnen an, was Sie nun denken: Keine Neuigkeiten? Keine Begriffsklärungen? Was redet der Kerl da? Das haben wir einmal anders gelernt.„ Genau, das haben sie einmal anders gelernt und es wird in Ratgebern, Vorträgen und Büchern gern und immer wieder wiederholt und wiederholt, bis, ja, bis durch die einfache Wiederholung der Eindruck entstanden ist, dass die ursprüngliche Aussage zuträfe, dass ihr Wahrheitsgehalt bei 100 Prozent läge. Aber einmal anders gefragt: Hat es nicht eben gerade, hier in diesem Raum, bei Ihnen als Zuhörer funktioniert? Hatte ich nicht recht schnell Ihre Aufmerksamkeit geweckt? Warten Sie nun nicht mehr oder minder gespannt darauf, wie ich meine gewagte These begründe und weiter ausführe? Ich denke ja. 

Je größer der Widerspruch, um so stärker das Echo
Erstes Zwischenergebnis: Bisher war neu an meinem Vortrag, dass ich Ihnen sagte, es sei opportun, auf allzu viele Neuigkeiten zu verzichten. Das stimmt natürlich so nicht. Zumindest nicht 100prozentig. Neu muss ja nicht unbedingt die Aussage sein, das Faktum, das hinter dem gesprochenen Satz steht. Neu kann ja der Zusammenhang sein, in den sie gestellt wird, der Anlass, weshalb sie ausgesprochen wird, die Zielgruppe, der sie mitgeteilt wird. Das heißt, neu bedeutet nicht immer, dass eine Aussage so noch nie gehört wurde, dass sie eben erst entwickelt wurde, eben erst entstanden ist, dass die Erkenntnis gewissermaßen noch ganz frisch ist, dass der Baum der Erkenntnis, von dem sie gepflückt wurde, noch blüht. Das aber ist mitnichten der Fall. Wichtig ist doch nur, dass eine Aussage dem Zuhörer so, wie sie ihm angeboten wird, neu erscheint, dass er damit zu tun hat, sie in seinen Wissens- und Erfahrungsschatz einzuordnen. Und: Er muss ihr nicht zustimmen, zumindest nicht sofort und nicht spontan. Lassen Sie Ihren Worten Raum und Zeit, ihre Wirkung zu entfalten, je größer der Widerspruch, um so stärker das Echo. 

Ein Beispiel? Verbinden sie zum Beispiel weit entlegene Wissensgebiete, weit entlegene Argumente mit einander. Machen Sie deutlich, was die gegenwärtige Eurokrise mit dem Ausgang des zweiten Weltkriegs zu tun hat. Wie sich ihre Vorläufer bereits in den frühen 50ern bemerkbar gemacht haben. Belege dafür werden sich rückwirkend sicher finden lassen.
Oder ein anderes: Stellen Sie einen Zusammenhang zwischen der psychologischen Verfassung der Deutschen und der Steuergesetzgebung her. Das erscheint Ihnen etwas weit hergeholt und mehr als spekulativ? Zugegeben, das mag auf den ersten Blick bei diesen frei erfundenen Beispielen so erscheinen, aber sie machen Folgendes klar und das ist meine zweite grundlegende These: „Achten Sie auf den Effekt, pflegen Sie den effektvollen Umgang mit Ihren Argumentationsketten und Herleitungen. Und vor allem: Verzichten Sie auf den Anspruch, eine quasi mathematische Beweisführung zu bieten. Arbeiten Sie mit Widersprüchen und logischen Sprüngen.
Widersprüche? Logische Sprünge? Genau. Warum? Ganz einfach: Um die Verblüffung herzustellen, um den Zuhörer zunächst dazu zu zwingen, sich die unvertrauten Argumente anzuhören und durch den Kopf gehen zu lassen, bevor er Ihnen etwas entgegnen kann. Und wenn er dann soweit ist, sind Sie schon wieder ein oder zwei Argumente weiter. Grundgesetz drei lautet nämlich: „Legen Sie sich nicht apodiktisch fest. Bleiben Sie beweglich. Argumentieren Sie immer mit einem rhetorischen Ausweg im Hinterkopf. Und Gang wichtig: Scheuen Sie sich nicht, sich selbst zu widersprechen.“ So. Damit dürfte ich nun vollends ihre Aufmerksamkeit gewonnen haben, entweder als empörte Ablehnung oder als verblüffte Zustimmung. Indifferent dürfte kaum jemand von Ihnen geblieben sein. Oder ich müsste mich sehr täuschen. Und dann müsste ich die rhetorische Schraube noch ein wenig schärfer anziehen, um mit Ihnen dorthin zu kommen, wohin ich mit ihnen wollte.

Rhetorische Mechanik
Eine Frage, die Sie sich selbst und wahrscheinlich gern auch mir, dem Referenten, stellen möchten, dürfte die sein, ob denn in meiner Rede, beziehungsweise den Ratschlägen und Thesen, die ich äußere überhaupt ein wahres Wort, ein Jota Wahrhaftigkeit steckt? Wollen Sie eine ehrliche Antwort? Ich weiß es selbst nicht. Und ich trete dennoch vor sie hin und referiere über Rhetorik? Ja, genau. Heute gewähre ich ihnen einen Einblick in die rhetorische Mechanik, offenbare Ihnen ansatzweise, wie eine rhetorische Strategie aussehen könnte. Klar ist doch, dass ein Vortrag zum Thema Eurokrise, für den Sie mich niemals eingeladen hätten, weil ich dafür kein ausgewiesener Fachmann bin, sich mit den entsprechenden Argumenten und Theorien beschäftigt hätte, die Ihnen, dem wohlmeinenden Publikum zunächst ungewöhnlich, aber möglicherweise plausibel geklungen hätten. 

Ich hätte mich jedoch beim Thema Eurokrise darum bemüht, im Kontext der theoretischen und praktischen Kenntnisse der Branche und meiner Zuhörerschaft zu Aussagen zu kommen, die mit Ihren Erwartungen quer verlaufen wären, niemals hätte ich allerdings gelogen oder Fakten verfälscht. Nein, das wäre zu schlicht, das wäre zu riskant. Bleiben Sie bei Ihren Erläuterungen also bei den Fakten, sortieren Sie sie aber neu, stellen Sie ungewöhnliche Zusammenhänge her, widersprechen Sie plakativ gängigen Theorien. Letzteres können Sie auf jeden Fall sehr effektvoll tun, weil sie ja möglicherweise nach einer ähnlichen Vorgehensweise wie der Ihren entwickelt wurden. 

Also entsteht kein wesentlicher Schaden, der nicht wieder gut zu machen wäre. Trauen Sie sich etwas, wagen Sie etwas, wechseln Sie die Perspektive, gehen Sie auf Distanz zum allgemeinen vertrauten Wortlaut. Weisen Sie auf Begriffsungenauigkeiten hin und gehen Sie in die argumentative Lücken. Schaffen Sie sich diese Lücken, wenn Sie auf den ersten Blick nicht vorhanden sein sollten. Setzen Sie Ihre eigene Definition eines Begriffes oder Sachverhaltes gegen die gängige Meinung und weisen Sie darauf hin, dass diese Minderheitsmeinung entweder zu neu oder zu radikal, zu innovativ, am Ende zu brillant sei, um vom Mainstream akzeptiert zu werden. Nehmen Sie Ihre Zuhörer aber auf diesem Weg mit und machen Sie Ihnen deutlich, dass sie an Einsicht und Erkenntnis zu gewinnen haben, wenn Sie Ihnen Glauben schenken.

Im Einklang mit den Erwartungen
Denn viertens: „Ihr Ziel kann es nicht sein, inhaltlich recht zu behalten oder zu bekommen, sondern ihr Ziel muss es sein, die Zuhörer dazu zu bringen, Ihnen zu glauben, Ihnen zu folgen.“ Bringen Sie also den grundsätzlich opportunistischen Ansatz ihrer Rede in Einklang mit den Erwartungen Ihrer Zuhörer auf Zustimmung und Akzeptanz. Ohnehin müssen Sie sich im Klaren darüber sein, dass Ihr Publikum zunächst einzig und allein auf die Plausibilität Ihrer Argumentation achten wird. Plausibilität ist so etwas wie die Simulation von Folgerichtigkeit, von logischer Abfolge und nachvollziehbarer Sinnhaftigkeit. Und am Ende reicht, zumindest für eine kleine Spanne, die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit einer Aussage, um Ihr Publikum auf Ihre Seite zu ziehen. Das ist die fünfte Regel.

Darf man denn aber, so werden Sie sich vielleicht schon jetzt, spätestens aber morgen, fragen, die Seriosität und Wahrhaftigkeit einer öffentlichen Rede so zynisch und berechnend der schlichten Wirkung und Effekthascherei opfern? Meine Gegenfrage lautet ganz einfach: Warum denn nicht? In keinem Gesetz dieser Welt ist dies verboten, solange niemand betrogen oder übervorteilt wird. Wo, bitte, soll die Grenze zwischen Zynismus und Wahrhaftigkeit denn verlaufen? Ist sie nicht immer das Ergebnis einer völlig subjektiven Entscheidung? Abhängig von persönlichen Erfahrungen und nicht zuletzt der Erziehung entscheidet sich jeder für seine ganz eigene Grenze. Wie wollen Sie vor diesem Hintergrund auf eine verlässliche Norm kommen? Wie wollen Sie sich mit so vielen unterschiedlichen Individuen bei so vielen völlig verschiedenen Erfahrungshintergründen auf eine einzige Norm einigen? Ist es nicht eine rücksichtslose Ignoranz gegenüber den Erfahrungen des einzelnen, ihn in ein Korsett der Übereinkunft zu zwingen, das er sich allein niemals legt hätte? Dieser Gedanke ist doch zwingend und hat einiges für sich.

Lassen Sie mich nun aber in Anbetracht der Zeit zum Ende kommen und auf die sich anschließenden Diskussionsrunden und Workshops verweisen, in denen Sie meine Thesen noch weiter diskutieren können. Vielleicht hören Sie künftig anders hin, wenn öffentlich gesprochen oder auch geschrieben wird? Das wäre nur plausibel. ...

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