Bildung, Bildungskanon und Quizsendungen
"Hier steh' ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor."
Nürnberger Trichter |
Als
Dietrich Schwanitz vor mehr als zehn Jahren seinen eigenen
Bildungskanon vorlegte und ihn mit allerhand spöttischen und
melancholischen Kommentaren versah, lag es auf der Hand, dass die
Bildungsgemeinde und ihre Fans leichtes Spiel haben wurden, den
Versuch kritisch abzuwerten und seine Funktionalität in Abrede zu
stellen. Mag die Frage nach den Inhalten des Kanons, seiner Auswahl
und vor allem nach dem, was in ihm nicht berücksichtigt wurde,
völlig berechtigt sein, so bleiben vor dem Hintergrund aktueller
Erfahrungen im Lande seine spöttischen und sarkastischen Bemerkungen
zur Bildung als soziales Renommierinstrument in guter Erinnerung. Und
behalten ihre Gültigkeit.
Wirkung in die Gesellschaft
Mehr
noch: Sie drängen sich wieder hervor, wenn man mit ansehen muss, was
die Bildungseliten im Land mit den akademischen Bildungsweihen
anzustellen verstehen. Ob diese Vorkommnisse - aberkannte
Doktorenwürden, politische Rücktritte, öffentliche Debatten - nun
am Ende verheerende oder weniger schädliche Auswirkungen auf die
akademischen Spitzen, ihre Rituale und Qualitätsstandards haben
werden, sei mal dahingestellt. Interessanter ist meines Erachtens,
wie die Wirkung in die Gesellschaft hinein sein könnte, welche
Beispielwirkung davon ausgeht und welchen Stellenwert Bildung und
Bildungsabschlüsse, vor allem die höheren und höchsten, denn noch
wirklich haben.
Faust - Nacht (Will Quadflieg)
Das Internet und Wikipedia haben schon längst ihre Wirkungen auf Schüler und Studenten gehabt. Die Methode copy and Paste ist keine Erfindung der Netzgeneration, sie hat sie lediglich von den Altvorderen übernommen und digital vervollkommnet. auffällig ist nur die Selbstverständlichkeit und auch Einigkeit, mit der Bildungsinhalte nicht mehr als etwas gesehen werden, das mit großer Energie angeeignet und erarbeitet werden muss, sondern das mit sportlich-lockerer Attitüde das Prinzip von Versuch und Irrtum seiner Perfektion entgegen führt. Und dies geschieht gerade zu einer zeit, in der einmal mehr die Segnungen globaler Bildung als Voraussetzung zur Bewältigung unserer Zukunftsprobleme herausgestrichen wird. Angst und Bange kann einem werden, wenn man den Gedanken an sich heran lässt, dass die wissenschaftlichen Experten der Zukunft nur unzureichend auf ihre Aufgabe vorbereitet sein könnten. Und ebenso furchterregend wirkt es festzustellen, dass der Bildungskanon als einigendes Wissenscodex der Bildungsschichten nicht mehr wirkt. Bildung firmiert heute unter dem Markennamen Allgemeinwissen als Voraussetzung dafür, Quizsendungen zu bestreiten oder Preisausschreiben zu gewinnen. Und damit hat es fast schon den Stellenwert des Lotto-Spielens erreicht, nur dass dazu mehr Disziplin und Zuverlässigkeit aufgebracht werden muss, um die Gewinnchance zu sichern.
In
manchen Wissensgebieten, vor allem den
naturwissenschaftlich-technischen, kann der Nachwuchs sich hinter
seinem Spezialistentum verstecken und sich dem überkommenen
Bildungsanspruch entziehen, in den Geistes- und Sozialwissenschaften
gehört der Mut zur Lücke zum moralischen Rüstzeug hinzu. Klagen
von Hochschullehrern darüber sind immer leiser geworden. Zu der
Zeit, als Schwanitz seinen Kanon vorlegte, kurz vor der
Jahrtausendwende, hörte man solche Klagen häufiger. Inzwischen
scheint man sich arrangiert zu haben. Die alte Formel der Lernfaulen,
man müsse doch vor allem wissen, wo etwas stehe, nicht was da stehe,
bevor man aufgefordert würde, es sich anzueignen, ist heute sicheres
Allgemeingut. Der Hinweis auf Wikipedia ist völlig ausreichend und
jedem plausibel zu machen.
Wikipedia schafft das Denken ab
Wikipedia
schafft nicht das Wissen ab, sondern das Denken. Eigenartigerweise
genau dadurch, dass in klassischer Manier Informationsgebirge
aufgetürmt werden, ohne dass eine Vermittlung der Handhabung
geleistet wurde. Genauso standen früher einmal der Brockhaus oder
Meyers Enzyklopädie in Opas Bücherschrank. Imposant, aber
ungelesen. Die verbesserte Zugänglichkeit von Informationen haben
nicht zu einer verbesserten Informationsverarbeitung geführt. Und
ein Plagiat wird hier eindeutig als angemessene Verarbeitungsform
ausgeschlossen. Interessanterweise hat sich im vor-politischen Raum
die Diskussion um geistige Urheberschaft und ihre Bedeutung von der
Frage der Bildung und Wissensproduktion entkoppelt. Auch das zu einer
Zeit, in der Wissen als Exzellenzdisziplin und geistige Führerschaft
immer wieder herausgestrichen wird.
Es scheint so zu sein, als verlöre der Bildungsgedanke um so mehr an Substanz, je mehr er gesellschaftlich gefordert und erforderlich wird. Das mag auch daran liegen, dass Bildung und Studium nicht mehr auf die intellektuelle Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung abgestellt werden, sondern mehr und mehr auf den Zugang zu ökonomisch-sozialen Gruppen. Wo der Besitz eines Zeugnisses wichtiger wird, als das, was es bezeugen soll, kann das Ergebnis im Durchschnitt nur weniger als befriedigend ausfallen. Seltsam, dass in all den Bildungsdiskussionen mehr und mehr der quantitative Aspekt der Bildungspolitik betont wird, nicht der qualitative. Es scheint, als säge sich die Gesellschaft den dünnen Bildungsast noch selbst ab, auf dem sie sitzt. Was ist das, das die Gesellschaft daran hindert, sich die Bildung als mehr vorzustellen als ein Gesellschaftsspiel, als eine Sammlung beliebiger Versatzstücke, die am besten noch per App auf's Smartphone zu laden sein könnten.
"Wie war noch 'mal die Frage?"
Erschiene
Dietrich Schwanitz Buch von 1999 erst heute wäre es womöglich eine
willkommene Erinnerung an alte Zeiten, in denen das Wissen noch etwas
geholfen hat. Heute würde die Diskussion wohl weit vor der Auswahl
von kanonischen Inhalten einsetzen und vielleicht schon weit vor
ihnen enden. Was ist Bildung heute tatsächlich noch? Was ist Bildung
im digitalen Zeitalter? Welche Rolle kann Bildung noch als kulturelle
Sinnstiftung für die Gesellschaft, nicht für die Society spielen?
Waren wir gestern noch weit von der Antwort entfernt, suchen wir
inzwischen noch intensiver nach der Erinnerung an die Frage.
Die Bildung ist tot. Es lebe die Bildung. Dietrich Schwanitz
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