Wie sich die ZEIT-Redaktion einmal völlig im Sprachdschungel verlief und der Wolf sie auf dem Holzweg heimführte
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Dicht daneben, ist bekanntlich auch
vorbei. So geschehen im Dossier der ZEIT, in der es um die Gegenwart
und Zukunft der gesprochenen und geschriebenen deutschen Sprache
geht. So weit, so gewichtig. Ein spannendes, notwendiges, wichtiges,
umfassendes, nie enden wollendes Thema, keine Frage. Und es wäre
ebenso spannend wie notwendig gewesen, darüber nachzudenken, wie
angesichts der sich wandelnden Sprache und ihrer Ausdrucksmittel, den
neuen Kommunikationskanälen und dem Stand der aktuellen
Bildungsdiskussion dieser Frage näher auf den Grund zu gehen wäre. Was
dann aber geliefert wird, ist die seit über dreißig Jahren bekannte
Stilfibel aus der Hand von Wolf Schneider, selbst ernannter
Sprachexperte und seit Anfang der 80er Jahre als Gründungs-Leiter
der Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg mitverantwortlich für
das Dilemma, über das wir alle gerne geneigt sind, gemeinsam zu
klagen: Der Verfall der deutschen Sprache.
Oder besser: Dem Verfall
der Verwendung der deutschen Sprache. Schneider lebt von dem Zustand,
den er seit 1976 auch als Buchautor eifrig bekämpft, (hoffentlich)
ganz gut, vor allem weil sich de ZEIT-Redaktion tatsächlich traut,
die 25 Seiten Sprachschule mit einer Anzeige des Unternehmers Wolf
Schneider zu ergänzen. Bemisst allerdings den Preis von 1980 Euro
plus 19 % Mehrwertsteuer für ein zweitägiges Seminar am Preis für
eine ZEIT-Ausgabe, dann ist diese Sonderveröffentlichung ein echtes
Schnäppchen.
Der Artikel vom 9.5.2012
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Was mag der Anlass für diese Stilkunde
gewesen sein? Der Tag der deutschen Sprache? 150 Jahre Konrad Duden?
30 Jahre Henri-Nannen-Kaderschmiede? Was auch immer das
ausschlaggebende Motiv gewesen sein mag, der Nachdruck eines
historischen Dokumentes zur Sprach- und Schreibkultur wäre sicher
sehr viel frischer und überzeugender daher gekommen, als diese
altbackene Stilkunde samt Beispielgalerie der Sprachmeister von Heine
bis Kafka. Das zwischen Sprachentwicklung und Sprachverwendung,
zwischen Sprechen und Schreiben einfach nicht unterschieden wird,
dass journalistisches Handwerk im 21. Jahrhundert sich an
literarischen Standards des 19. und 20. Jahrhunderts messen lassen
soll – egal, wird nicht weiter reflektiert. Dass die Klagen über
den Mangel an Sprach- und/oder Schreibkompetenz vor fast 40 Jahren
schon genauso klangen wie heute, kann nicht verwundern, ist doch der
Hauptautor derselbe. 40 Jahre sind vergangen, eine Journalistenschule
gegründet, Preise im Jahresturnus vergeben worden und was ist die
Quintessenz? Alles zurück auf Anfang, es hat sich nichts verändert.
Journalisten - Verächter allen Schulmeistertums
Journalisten, die ewigen Kritikaster
gesellschaftlicher Prozesse, Haarspalter und Spaßverderber, Verächter
allen Schulmeistertums, werden auf faszinierende Art wieder zu
Klippschülern von der ersten Bank, wenn es darum geht, Regeln,
Vorschriften und Standards der Schriftsprache einzuhalten. Das
Ergebnis dieser deformation professionelle ist oft ein verquastes
Durcheinander der Stile und Formen, wenn versucht werden soll, die
Anforderungen an die Kürze eines Nachrichtentextes mit den Wünschen
nach sprachlicher Prägnanz zusammenzubringen. Oder besser gesagt:
das war einmal so. Heute findet sich vielmehr die zunehmende Tendenz,
sich eben dieser Regeln zu entledigen und zu schreiben, wie man
spricht. Das dient zum einen dem Bemühen um Authentizität, zum
anderen der eigenen Bequemlichkeit. Unter Zeitdruck hervorgebrachte
Berichte über Stadtratssitzungen vermischen dann schon mal die
Stile, Fakten und Meinung, Zitat und Wortspiel. Diese
Produktionsbedingungen bleiben in einer Stilfibel natürlich
unberücksichtigt, natürlich. Interessant wäre gewesen zu erfahren,
wie Standards geformt werden können, wie sie eingehalten werden und
weiterentwickelt.
Über die aktuellen Entwicklungen der
Sprache kurz zu räsonieren, ihre Neuentwicklungen zu nennen und dann
zur sprachlichen Tagesordnung von 1905 (oder wann auch immer)
zurückzukehren, als wäre dies alles nicht wichtig, ist ein starkes,
ignorantes Stück. Für den Journalisten, gleich ob Lokaljournalist
oder Edelfeder beim Meinungsführer, ist der Blick wichtig, die
Analyse, die Begabung, sich nicht hinters Licht führen zu lassen und
Widersprüche zu empfinden, bevor man sie auf den Begriff gebracht
hat. Oder kurz gesagt: Aus einem dummen Kopf kommt kein kluger Satz.
Das sollte schon bei der Auswahl des Nachwuchses berücksichtigt
werden. Klar ist, dass ein kluger Kopf gebildet und ausgebildet
werden kann. Ein Kopf, der nur zur mechanischen Wiedergabe von
Informationssplittern taugt, ist nicht bildbar, da hilft auch die
Goethe- oder Nietzsche-Lektüre nichts.
Letztlich dient die Kanonisierung
literarischer Qualitätsstandards möglicherweise auch nur zur
Begründung subjektiver Vorlieben oder dem Kaschieren bestimmter
Wissens- und Fertigkeitslücken. Oder was ist, wenn ein Volontär
sich ein Beispiel an Arno Schmidt oder James Joyce nimmt? Darf er
das? Ist Literatur gleich Literatur? Oder wie bekomme ich den
literarischen Gestaltungsanspruch mit dem journalistischen überein?
Darf ich, kritischer Journalist, der ich bin, die Kriterien, nach
denen die mir empfohlenen Vorbilder ausgesucht wurden, kritisch
hinterfragen? Darf ich fragen, ob modernster Sprachgebrauch, auch
dort, wo er ins Argot oder ins Rottwelsch dreht, anwendbar ist, um
der Darstellung zu dienen? Darf ich darüber nachdenken, welche
positiven sprachlichen Leistungen eventuell im Twitter- oder
SMS-Deutsch stecken könnten, ohne dass ich meine Artikel damit
schreibe? Oder anders gefragt: Wie souverän darf der
Schreibverwender über sein Arbeitsmittel Sprache verfügen und wie
sklavisch muss er sich an das Regelwerk der Schneiderschen
Journalistenschule halten? Dumm, wenn man für die Beantwortung
solcher Fragen 1980 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer ausgegeben hätte
und nichts dabei herausgekommen wäre.
Freier Fall wohl inklusive
So, wie die stets bemühten Kollegen
der ZEIT ihre Stilfibel angelegt haben, müssen sie Antworten
schuldig bleiben. Und sie bleiben wesentliche Impulse für die
Ausbildung ihrer Nachwuchskräfte schuldig. Vereinzelte Könner
verstellen den Blick auf das Heer von Text- und
Informationsarbeitern, die in tausenden von Redaktionen von einem
Thema zum anderen gejagt werden und denen suggeriert wird, es reiche
das Mikro oder die Kamera, ersatzweise auch einen Block, auf die
Wirklichkeit zu richten, um sie verstehen und berichtsfertig machen
zu können. Nicht umsonst bezeichnet man im Jargon das Anfertigen von
Berichten auch als „abwerfen“. Freier Fall wohl inklusive. "Die Sprache ist eine Waffe" haben die Redakteure ihr Werk kühn, aber unzutreffend betitelt. Dumm nur, wenn der Schuß nach hinten losgeht.
1 Kommentar:
Die Sprachseminare, auf die die Anzeige hinweist, werden von der Firma Bringmann Management Entwicklung organisiert, Wolf Schneider ist lediglich der Dozent. Die e-mail-Adressen unterscheiden sich – technischer Fehler – leider nur durch ein "e" am Ende
von ...seminar... Also bitte kein Futterneid!
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