Sonntag, Dezember 16, 2012

2012 - Blick zurück nach vorn

Alle Welt blickt mehr oder weniger versöhnlich und versöhnt auf 2012 zurück. Alle Welt? Nein...
Es passt gut zum Jahresende 2012, dass das Trost spendende Luther-Zitat vom Weltenende und dem Apfelbäumchen, das er zuvor noch pflanzen wolle, beim Reformator nicht nachweisbar ist.
Vielmehr verorten Experten die Quelle bei einem unbekannten Kirchenmitglied, das während des Zweiten Weltkrieges den hoffnungsvollen Spruch in die Welt entlassen habe. 67 Jahre nach Kriegsende glauben viele Menschen weltweit, es könnte an der Vorhersage der Maya, dass am 21.12.2012 die Welt untergehe, etwas dran sein. Unschön nur, dass die Mayas selbst von einer solchen Vorhersage nichts wussten. Sie hatten einfach ihren Kalender noch nicht fortgeführt , als sie ein für allemal aus der Weltgeschichte verschwanden.

Also entbehrt offenbar beides, Vorhersage der Apokalypse und trotziges Wort der Hoffnung, seiner Grundlage. Kein Grund aber, wie gesagt, für viele von uns, weiter an beidem festzuhalten. Nennen wir es einfach mal skurril oder grotesk, dass der alltägliche Trott im beginnenden 21. Jahrhundert durch eine Aufregung aufgescheucht wird, der auf einer unvollständigen Überlieferung und beliebiger Interpretation beruht. Dennoch aber hat es seine Wirksamkeit und seine Wirklichkeit. Überzeugung ohne Substanz, Wissen ohne Inhalte, Glaube statt Wissen. Zufall? Unfall? Einfall eines cleveren Katastrophenvermarkters? Am Ende droht uns das schlimmste aller denkbaren Szenarien: Es geht alles weiter wie bisher, der 22. Dezember 2012 bricht an und wir finden uns in der alltäglichen Endlosschleife gefangen wie Bill Murray im Murmeltier-Film. 

Nur dass dann das Zitat vom Apfelbaum neu erfunden werden muss, gibt unserem post-apokalyptischen Dasein dann noch Ziel und Richtung. Nur die Fähigkeit, uns wie Münchhausen auf trickreiche Art am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, diese Fähigkeit sollten wir weiter trainieren und nach Möglichkeit perfektionieren. Dem aufmerksamen Zeitgenossen dürfte eigentlich ein Phänomen dieser Tage nicht entgangen sein, dass nämlich die Dramatik und Größe unserer politischen Probleme irgendwie nicht mehr mit dem Zuschnitt der politischen Lösungen und Antworten zusammenpassen wollen, die angeboten und ausprobiert werden. Immer mehr ähneln die Politiker und ihre Kommentatoren den ratlosen Artisten in der Zirkuskuppel: Wir haben es in all unserer Problemarbeit so sehr weit gebracht und finden uns dermaßen herrlich verstrickt in allerlei Fallstricken, Unwägbarkeiten und neuen Situationen, dass es nicht gelingen will, einen Weg aus der Krise, einen Weg aus den fruchtlosen Debatten zu finden. 

Jahreslosung 2011
Vom "Weg weisen" wollen wir mal gar nicht reden, weit und breit bietet sich keine Persönlichkeit an, die den Eindruck erweckt, eine Vorstellung von der richtigen Richtung zu haben. Nach dem Kater, den viele nach den Erfahrungen mit dem letzten noch amtierenden Heilsbringer in den USA gemacht haben, ist eine gewisse Ernüchterung eingekehrt. Also bleiben wir beim Prinzip Versuch und Irrtum, wenn wir die Euro-Krise bekämpfen, wir folgen behutsamen Schrittes den Windungen der Finanzwelt und passen unsere Antworten der Negativ-Entwicklung der Daten an. Wir verfolgen mit Erschrecken die politischen Entwicklungen im Nahen Osten und Nordafrika und das politische Roll back, politische Kommentatoren reden sich schon öffentlich damit heraus, dass sie keine Hellseher seien, sondern Berichterstatter. Umweltpolitik? Energiewende? Erderwärmung? Bevölkerungsexplosion dort, demographischer Wandel hier? Preisexplosion bei landwirtschaftlichen Produkten und Hunger in der Welt? Bildungsbedarf und fehlende finanzielle Mittel für Bildungspolitik? Marode Infrastruktur und leere öffentliche Kassen? Globalisierungsglaube auf der einen Seite, Proteste gegen Wirtschaftsimperialismus auf der anderen Seite? 

Die Liste der Fragen ist lang, keine einzige von ihnen ist neu. Wir schleppen sie seit Jahren und Jahrzehnten mit uns herum und schaffen es offensichtlich nicht, der Lösung oder Beantwortung wesentlich näher zu kommen. Trotzdem boomt in einigen Teilen der Welt das Geschäft. Deutschland ist angeblich besser aus der Krise herausgekommen, als es 2008 hineingegangen ist. Was sagt uns das? China hat ein unglaubliches Wachstum in wenigen Jahren hingelegt, Jahr für Jahr im zweistelligen Bereich. Wie kriegen die Chinesen die sozialen Folgen in den Griff? Globale militärische Interventionen stellen sich nach Jahren als Schlag ins Leere ohne jegliche positive Wirkung heraus. Was werden die mittelfristigen Folgen für den Weltfrieden sein, wenn die Interventionen endlich beendet werden? 

Jahreslosung 2012
Natürlich, Politik ist das Bohren dicker Bretter. Gut. Eine Politik der ruhigen Hand ist schon einmal vor kürzerer Zeit gescheitert. Eine Politik, die Schritt für Schritt arbeitet und Fragen beantwortet, wenn sie sich stellen, ist perspektivlos und verdeckt nur mühsam und unvollkommen die eigene Hilflosigkeit. Dem Wähler scheint die Ruhe im Angesicht der Krisen und Bedrohungen gut zu gefallen. Vor allem wohl, weil an ihn keinerlei Anforderungen gestellt werden, wenn nicht gerade vom Benzinpreis oder der Mehrwertsteuer die Rede ist. 

All die Jahresrückblicke, die in diesen Tagen gesendet und gedruckt werden, haben den einen entscheidenden Konstruktionsfehler, dass sie so tun, als habe man binnen eines Jahres Aufgaben zu erledigen gehabt, deren Erreichungsgrad man nun feststellen und damit abhaken könnte. Dass jeder Jahresrückblick immer nur ein Zwischenbericht, eine Zwischenbilanz sein kann und ist, der weniger das erreichte Niveau darstellt, als vielmehr die Höhe des Problemberges für das folgende Jahr andeutet, geht dabei gerne unter. Auch dass viele unserer Probleme älteren Datums und ferneren Ursprungs sind, geht gern als Erkenntnis verloren, zeigt aber deutlich, wie wenig effektiv oftmals das Herumgedoktere an Symptomen ist. 

Jahreslosung 2013
Wohin es mittelfristig führen kann, wenn wir uns allesamt mehr und mehr darauf verständigen, keinen wirklichen Plan für die Zukunft haben zu wollen und ihn gar nicht zu brauchen, ist nicht wirklich vorhersagbar. Politisch von der Hand in den Mund zu leben ist verführerisch, weil die Möglichkeit Fehler zu machen, scheinbar minimiert wird. Verhängnisvoll aber kann diese Methode dann werden, wenn wir vor wichtigen Entscheidungen stehen, die weit über unsere Gegenwart und unseren Teil der Welt hinausweisen. Politik braucht den langen Atem und die große Perspektive, wenn sie erfolgreich sein will und den Menschen zwar bedeuten soll. 
Die Furcht vor dem demokratischen Risiko und das innenpolitisch motivierte Kleinklein-Spiel lassen die Menschen das Augenmerk auf alles andere, nicht aber das Gemeinwesen und die Politik richten. Es wird sich zeigen, ob das Denken in den großen Dimensionen der Europäisierung und Globalisierung wirklich zielführend ist und dabei hilft, die regionalen und lokalen Probleme zu lösen. Dies vor allem auch vor dem Hintergrund, dass weltweit gesehen, die Problemlagen der Nationen überhaupt nicht vergleichbar sind. Und somit also auch die Interessen. Und somit auch die entsprechenden Problemlösungsstrategien. 

Kein Weltuntergang, kein Apfelbaum - die Welt dreht sich weiter und wir uns mit ihr. Nur sollten wir dieses Um-Uns-Selbst-Drehen nicht bis zum St. Nimmerleinstag fortsetzen. Die Suche nach Wegen aus der Krise muss an Mut und Ideen gewinnen, sonst sind die Folgen ebenso unabsehbar wie verhängnisvoll. Noch ist die statische Schläue des Systems stark genug, um die Fehler auf der einen wie auf der anderen Seite immer wieder auszugleichen. Es ist an der Zeit, viele Apfelbäume zu pflanzen und in ihrem Schatten nach neuen Wegen zu suchen. Auch dazu, so scheint es, gehört Mut.

Fotos: Gerd Altmann/Carlsberg1988  / pixelio.de (1), Dieter Schütz  / pixelio.de (3)

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