Von der edlen Kunst der Selbstverteidigung
Es
war nur ein kurzer Schlagabtausch, nur von wenigen bemerkt und zur
Kenntnis genommen. Vermutlich noch von viel weniger Lesern goutiert.
Aber der kurze Austausch von Meinungen zum Thema Piraten, deren
Gegenwart und Zukunft zwischen Mathias Matussek und Sascha Lobo hatte
es in sich. So geschrieben und zu lesen im Spiegel vom 4. Juni 2012
und auf Spiegel online am Mittwoch, dem 5. Juni.
Polemiker
und Widergänger
Matussek
ist bekanntermaßen ein geübter und begabter Polemiker und ewiger
Provokateur, der sich für keine kleine intellektuelle Rauferei zu
schade ist. Das ein oder andere mal liegt die Frage nahe, ob er seine
öffentlichen Auftritte möglicherweise von Rainald Götz oder dem
Vetter von Klaus Kinski choreographieren lässt. Dann aber wieder
tritt er mit einem Bündel von Thesen und Argumenten auf die Main
Street, die jeden anderen intellektuellen Gun slinger erst mal
beeindrucken und in die Defensive drängen. Diesmal hatte er sich in
seinem Debattenbeitrag unter der Überschrift „Der neue Mensch“
"über die alberne Hoffnung auf ene Jugendleiter im Netz"
ausgelassen und sich dabei unter anderem den weitläufig
freiberuflich beschäftigten Kollegen und Spiegel online-Kolumnisten
Sascha Lobo ausgeguckt und dem gleich mal dessen "Cybernautentraum
von Erlösung und ewigem Leben im Netz" kräftig um die Ohren
gehauen. Eine kindische theologische Travestie sei dies, konstatierte
der Berufsempörer und zählte mit Sascha Lobo gleich eine ganze
Partei und Teile der hoffnungsvollen Jugend bis 8 an.
Sascha
Lobo, seinerseits so etwas wie der journalistische Widergänger
Matusseks mit anderer Frisur und anderem Selbst-Vermarktungskonzept
konnte dies nur als willkommene Steilvorlage auffassen, die er
gewillt war konsequent zu nutzen und wie einen Elfmeter hart und
direkt zu verwandeln. Heraus kam eine mit spitzer Feder und
aufgeräumtem Bibliotheksschatz produzierter Text, in dem er seinem
auf der Main Street ausharrenden Widersacher dessen eigentümliche
Rolle als "Offensivkatholik" unter die gerümpfte Nase
hielt und ihm nachzuweisen versucht, dass er seine Kritik an den
Piraten und allen anderen Netzaktivisten ebenso gut gegen die
katholische Amtskirche richten könne. Ganz nebenbei wird auch noch
gleich der Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung, Adrian Kreye,
mit geschafft, der es sich gegönnt hatte, ebenfalls auf den
verglühenden Stern des Internet- und Piratenhypes zu verweisen.
Wohltuende
Direktheit
Der
Schlagabtausch ist im Einerlei der vor sich hin bloggenden und
kommentierenden Schreiberwelt oder -szene von wohltuender Direktheit.
Und das vor allem, weil sich der teils online, teils gedruckt
ausgetragene Diskurs so ganz und gar an die alten Spielregeln des
Streites und Diskurses hält. These - Antithese, Beleg und
Gegenbeleg, Fundstelle gegen Fundstelle, Argumentationshilfe gegen
Argumentationshilfe, Leumundszeuge gegen Leumundszeuge. Nach all den
Mismatches in Sachen Wulf, Grass, Rösler, Guttenberg etc ist dies
endlich wieder ein Streit, der offen ausgetragen wird, wie nach den
akademischen Regeln des Marquis' von Queensberry. Ein offener
Schlagabtausch, bei dem der kindische Entzug von Argumenten, der
Verzicht auf das Recht, selbst einmal anzugreifen und die Deckung zu
verlassen, und die verächtlich-hochmütige Verweigerungshaltung
nicht zum Tragen kommen. Und dadurch entsteht ein nachvollziehbarer
Austausch, dessen Sieger letztlich der Leser festsetzt.
Erleichtert
nimmt der zur Kenntnis, dass die nassforsche forcierte
Regressionstendenz der nachdrängenden Piraten und ihnen
näherstehenden Gruppierungen offenbar noch nicht die alleinige Norm
ist. Besteht also noch Hoffnung? Natürlich, denn letztlich
bestreitet Lobo in seiner Entgegnung im Kern gar nicht die
Unterstellung Matusseks, dass sich der Hype um die Methoden und das
Auftreten der Piraten durch ein gewisses Maß an Albernheit und
Lächerlichkeit auszeichnet. Matusseks Behauptung, dass man viel zu
sehr auf die Möglichkeiten der globalen technischen Vernetzung
setze, als seien diese moderne Heilsversprechen, widerspricht Lobo
nicht wirklich konsequent, wenn er eingesteht, dass der Mensch der
entscheidende Mastermind hinter der Maschine, vor dem PC ist.
Redaktionelle
Hinterstube?
Dieser
Austausch von verbalen Nettigkeiten, möglicherweise in einer
redaktionellen Hinterstube ausgeheckt und eingefädelt, um der
eigenen journalistischen Veranstaltung ein wenig intellektuell
abgefederten Krakeel mitzugeben, zeigt tatsächlich, dass es die
Köpfe vor den Bildschirmen oder über den Tastaturen sind, die über
die Qualität unserer Diskussionen über Zukunft, Entwicklung,
Fortschritt, Freiheit undsoweiterundsofort entscheiden. Hier ist
offensichtlich nicht die viel beschworene Schwarmintelligenz am Werk,
sondern der kluge Kopf gefragt worden. Andererseits berufen sich alle
dabei auf diejenige Schwarmintelligenz, die früher unter dem Rubrum
Bildungskanon firmierte und funktionierte.
Auf
diese Art bewegen sich die beiden Gruppen wieder auf einander zu. Die
Netzaktivisten machen gerade die Erfahrung, dass ihre bedingungslose
Offenheit schnell in Unschlüssigkeit und Perspektivlosigkei
umschlägt, dass ihre Basisorientierung zusehends an Bodenhaftung
verliert. Möge das Duell auf der Main Street, der mannhafte Kampf
Wort gegen Wort, Argument gegen Argument nie aussterben und die
Youngster wieder in den Diskurs zurückholen. Und mögen Sascha Lobo
die Ideen, sich publizistisch über Wasser zu halten, nie ausgehen.
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