Donnerstag, Juni 07, 2012

Der Weltgeist auf der Main Street


Von der edlen Kunst der Selbstverteidigung

Es war nur ein kurzer Schlagabtausch, nur von wenigen bemerkt und zur Kenntnis genommen. Vermutlich noch von viel weniger Lesern goutiert. Aber der kurze Austausch von Meinungen zum Thema Piraten, deren Gegenwart und Zukunft zwischen Mathias Matussek und Sascha Lobo hatte es in sich. So geschrieben und zu lesen im Spiegel vom 4. Juni 2012 und auf Spiegel online am Mittwoch, dem 5. Juni. 










Polemiker und Widergänger

Matussek ist bekanntermaßen ein geübter und begabter Polemiker und ewiger Provokateur, der sich für keine kleine intellektuelle Rauferei zu schade ist. Das ein oder andere mal liegt die Frage nahe, ob er seine öffentlichen Auftritte möglicherweise von Rainald Götz oder dem Vetter von Klaus Kinski choreographieren lässt. Dann aber wieder tritt er mit einem Bündel von Thesen und Argumenten auf die Main Street, die jeden anderen intellektuellen Gun slinger erst mal beeindrucken und in die Defensive drängen. Diesmal hatte er sich in seinem Debattenbeitrag unter der Überschrift „Der neue Mensch“ "über die alberne Hoffnung auf ene Jugendleiter im Netz" ausgelassen und sich dabei unter anderem den weitläufig freiberuflich beschäftigten Kollegen und Spiegel online-Kolumnisten Sascha Lobo ausgeguckt und dem gleich mal dessen "Cybernautentraum von Erlösung und ewigem Leben im Netz" kräftig um die Ohren gehauen. Eine kindische theologische Travestie sei dies, konstatierte der Berufsempörer und zählte mit Sascha Lobo gleich eine ganze Partei und Teile der hoffnungsvollen Jugend bis 8 an.


Sascha Lobo, seinerseits so etwas wie der journalistische Widergänger Matusseks mit anderer Frisur und anderem Selbst-Vermarktungskonzept konnte dies nur als willkommene Steilvorlage auffassen, die er gewillt war konsequent zu nutzen und wie einen Elfmeter hart und direkt zu verwandeln. Heraus kam eine mit spitzer Feder und aufgeräumtem Bibliotheksschatz produzierter Text, in dem er seinem auf der Main Street ausharrenden Widersacher dessen eigentümliche Rolle als "Offensivkatholik" unter die gerümpfte Nase hielt und ihm nachzuweisen versucht, dass er seine Kritik an den Piraten und allen anderen Netzaktivisten ebenso gut gegen die katholische Amtskirche richten könne. Ganz nebenbei wird auch noch gleich der Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung, Adrian Kreye, mit geschafft, der es sich gegönnt hatte, ebenfalls auf den verglühenden Stern des Internet- und Piratenhypes zu verweisen. 

Wohltuende Direktheit

Der Schlagabtausch ist im Einerlei der vor sich hin bloggenden und kommentierenden Schreiberwelt oder -szene von wohltuender Direktheit. Und das vor allem, weil sich der teils online, teils gedruckt ausgetragene Diskurs so ganz und gar an die alten Spielregeln des Streites und Diskurses hält. These - Antithese, Beleg und Gegenbeleg, Fundstelle gegen Fundstelle, Argumentationshilfe gegen Argumentationshilfe, Leumundszeuge gegen Leumundszeuge. Nach all den Mismatches in Sachen Wulf, Grass, Rösler, Guttenberg etc ist dies endlich wieder ein Streit, der offen ausgetragen wird, wie nach den akademischen Regeln des Marquis' von Queensberry. Ein offener Schlagabtausch, bei dem der kindische Entzug von Argumenten, der Verzicht auf das Recht, selbst einmal anzugreifen und die Deckung zu verlassen, und die verächtlich-hochmütige Verweigerungshaltung nicht zum Tragen kommen. Und dadurch entsteht ein nachvollziehbarer Austausch, dessen Sieger letztlich der Leser festsetzt.


Erleichtert nimmt der zur Kenntnis, dass die nassforsche forcierte Regressionstendenz der nachdrängenden Piraten und ihnen näherstehenden Gruppierungen offenbar noch nicht die alleinige Norm ist. Besteht also noch Hoffnung? Natürlich, denn letztlich bestreitet Lobo in seiner Entgegnung im Kern gar nicht die Unterstellung Matusseks, dass sich der Hype um die Methoden und das Auftreten der Piraten durch ein gewisses Maß an Albernheit und Lächerlichkeit auszeichnet. Matusseks Behauptung, dass man viel zu sehr auf die Möglichkeiten der globalen technischen Vernetzung setze, als seien diese moderne Heilsversprechen, widerspricht Lobo nicht wirklich konsequent, wenn er eingesteht, dass der Mensch der entscheidende Mastermind hinter der Maschine, vor dem PC ist. 


Redaktionelle Hinterstube?

Dieser Austausch von verbalen Nettigkeiten, möglicherweise in einer redaktionellen Hinterstube ausgeheckt und eingefädelt, um der eigenen journalistischen Veranstaltung ein wenig intellektuell abgefederten Krakeel mitzugeben, zeigt tatsächlich, dass es die Köpfe vor den Bildschirmen oder über den Tastaturen sind, die über die Qualität unserer Diskussionen über Zukunft, Entwicklung, Fortschritt, Freiheit undsoweiterundsofort entscheiden. Hier ist offensichtlich nicht die viel beschworene Schwarmintelligenz am Werk, sondern der kluge Kopf gefragt worden. Andererseits berufen sich alle dabei auf diejenige Schwarmintelligenz, die früher unter dem Rubrum Bildungskanon firmierte und funktionierte. 


Auf diese Art bewegen sich die beiden Gruppen wieder auf einander zu. Die Netzaktivisten machen gerade die Erfahrung, dass ihre bedingungslose Offenheit schnell in Unschlüssigkeit und Perspektivlosigkei umschlägt, dass ihre Basisorientierung zusehends an Bodenhaftung verliert. Möge das Duell auf der Main Street, der mannhafte Kampf Wort gegen Wort, Argument gegen Argument nie aussterben und die Youngster wieder in den Diskurs zurückholen. Und mögen Sascha Lobo die Ideen, sich publizistisch über Wasser zu halten, nie ausgehen.

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