Sonntag, Juni 24, 2012

Schönheit und Schrecken – Trennende Gemeinsamkeit


Ein Blick zurück in Furcht, 
ein Blick voraus in Hoffnung

Zu den schrecklichsten Folgen des weltweiten Terrors, gleich in wessen Namen oder unter welcher Flagge, gehören die Bilder, die von seinen schrecklichen Taten und vor allem von seinen Opfern berichten. Jeder von uns, der im September 2011 erwachsen war, kann sich an die Flugzeuge erinnern, die in die Twin Towers stürzten. Die älteren von uns können die Bilder vom Olympia-Attentat 1972 wieder heraufbeschwören, die Attentate des Schwarzen September in den frühen 70ern, die Blutstrecke, die die Baader Meinhof-Desperados durch das Land zogen, die Toten beim Oktoberfest, die ein Rechtsradikaler mit sich in den Tod riss, die zahllosen namenlosen Opfer in Afghanistan, im Irak, Kenia, Tansania, Israel, London, Madrid, Lockerbie.... Mit all diesen Orten und Gegenden sind unlösbar die Bilder in unseren Köpfen verbunden und es ist fast nicht zu erklären, wie man es schafft, mit den Bildern des Schreckens friedlich weiterzuleben.

Zuletzt haben die beiden Killer des NSU solchen Terror im Land verbreitet und als sie endlich nach zehn Jahren enttarnt waren, war die Erschütterung im Land groß. Auf den Privatbildern, die bald nach dem Ende der Täter in den Medien erschienen, erschien der Schrecken so banal und so alltäglich. Und wieder fehlten die sprachlichen und moralischen Mittel, sich seines eigenen Erschreckens und der Furcht zu vergewissern. Immer wieder sind wir solchen Bildern ausgesetzt und immer noch bleiben wir hilflos zurück. Der Schrecken, der von den Bildern ausgeht, macht uns stumm, macht uns schreckensstarr und handlungsunfähig.
Als Adorno nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Völkermord der Nazis das Wort prägte, nach Auschwitz könne man kein Gedicht mehr schreiben, ging das Gemeinte über den Wortsinn weit hinaus. Nicht nur war und ist es unmöglich, ein Gedicht zu schreiben, vielmehr ist unsere Vorstellung von einer Welt, die sich nach ästhetischen Kriterien als schön bezeichnen ließe, ihrer Unschuld beraubt und deshalb auch des Glaubens, man könne den Schrecken, der in der Welt ist, durch seine ästhetische Bearbeitung quasi überwinden. Das ist in der Tat Unsinn, wie uns die Geschichte nach Auschwitz gezeigt hat. Der Schrecken ging nicht, er blieb. Seine Drohung blieb und bleibt bestehen, viele Länder der Erde können davon berichten. Jegliche Friedensbewegung und Friedensbemühung erscheinen vor diesem Hintergrund gleichzeitig so aussichtslos und ohne Alternative. Der Sieg über die Nazis hatte kurzzeitig die Hoffnung geweckt, ein neues Zeitalter könne angebrochen sein, aber in Wahrheit kehrte nicht einmal für 24 Stunden der Frieden auf der Welt ein, nachdem die Kapitulationserklärungen im 1945 unterschrieben waren. 

"Schwarze Milch der Frühe..."
Der Lyriker Paul Celan wird gern als Beweis dafür zitiert, dass es sehr wohl möglich sei, nach Auschwitz Gedichte zu schreiben. In seinen Versen hat er die Schrecken und die Grausamkeit, die grenzenlose Trauer und Hoffnungslosigkeit der Zeitgenossen, der Opfer und Nachgeborenen hineingeschrieben: "Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich nachts, wir trinken dich morgens...." Celan gewinnt aus seinen Sprachbildern, seinen Sprachmalereien, den Andeutungen und metaphorischen Codierungen eine Umarbeitung des Horrors in scheinbar "schöne", weil nach den Regeln des schönen Gleichmaßes des sprachlichen Flusses, der Vieldeutigkeit der Sprachbildern und der Komplexität der Strukturen Gebauten, dem Grauen ein ästhetisch eingängiges, akzeptables Etwas ab. Gewissermaßen die Negation des Grauens, die allerdings ohne das Wissen um das Grauen nicht denkbar wäre. Die Erfahrung des unmenschlichen Terrors bildet das Fundament auf der eine ästhetische Erfahrung fußt. Und das macht das Schreiben eines (schönen) Gedichtes nach Auschwitz eigentlich unmöglich, zumindest aber ist die Schönheit des Verses immer eine gebrochene, eine verletzte, so wie es die Opfer waren und sind. 

Der israelische Fotograf Oded Balilty hat es nun unternommen, sieben palästinensische Kämpfer in ihren Kampfposen zu fotografieren. Vermummt, mit den Insignien ihres Kampfes, Steine, Schleuder, Gasmaske. Die Posen gleichen den Darstellungen in Hollywood-Filmen, sie symbolisieren Entschlossenheit und Furchtlosigkeit, sie schüchtern ein und machen staunen, wie selbstverständlich hier die Gewalt akzeptiert und in ästhetisch durchkomponierte Inszenierungen umgesetzt werden kann. Man wünschte sich geradezu, den Anlass für diese Aktion nicht zu kennen, um allein dem ästhetischen Reiz des Widerstandes, der 

Oded Balilty auf SPIEGEL Online

Aufsässigkeit nachgeben zu können. Diese Bilder sind nicht auf der Straße entstanden, deshalb ist die Gestaltungsabsicht so übermächtig deutlich. Die Bilder dokumentieren die Wirklichkeit nur in ihren eigenen Spiegelungen, sie kündigen Aktion an, sind es aber selbst noch nicht. Die Fotos, die alljährlich zum Wettbewerb um die besten Pressefotos des Jahres eingereicht werden, haben, wenn sie auf der Straße, bei der Beobachtung eines Geschehens entstanden sind, mehr Authentizität, mehr direkte Aussagekraft über das Geschehen. Hier wurde die Komposition gewählt und eine Überhöhung angestrebt, die vom Konflikt weggeht und geeignet sein könnte, über den Mann hinter der Maske zu sprechen.

Wir alle haben die Bilder des Schreckens im Kopf und werden sie nicht los. Wir alle werden von der bizarren Ästhetik des Schreckens fasziniert und leiden unter dem schlechten Gewissen, das daraus entsteht. Der einsame Mann, voll mit dem weißen Staub der eingestürzten Türme vor den Trümmern, die in den Himmel ragenden Trägerreste der Türme.... In unseren Erinnerungen an den Horror mischen sich unsere Erwartungen auf Rettung und unsere Hoffnung auf Erlösung. Symbole wie das Kreuz oder der einsame Mann, der das Überleben in all dem Chaos symbolisiert, sind solche Versuche, sich aus dem Chaos des Erlebten hinüber zu retten in eine Welt und in eine Zeit, in der das Wünschen und Hoffen wieder etwas bewirken könnte. 

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