Sonntag, Januar 27, 2013

Ich bin beim STERN, holt mich hier raus!

"Für mich ist nicht immer angenehm, 29 Jahre alt zu sein, eine Frau und Politikjournalistin.
Das liegt an Männern wie Rainer Brüderle." Zitat STERN, Autorin L. Himmelreich

Nun also die Sexismus-Debatte. Ausgelöst von einer Journalistin, die sich von einem Spitzen-politiker belästigt fühlte. Damit hat sie ein all-tägliches Phäno-men ange-sprochen, dessen Existenz von niemandem, der bei klarem Ver-stand ist, geleugnet werden würde. Denn: 
Ein alltägliches Phänomen, dessen Existenz seit Jahren und Jahrzehnten bekannt und beschrieben ist. Ein Phä-nomen, dem auf die unterschied-lichsten Wege versucht wurde und wird Herr zu werden. Der formelle Sexismus, der sich in Benachteiligung, Diskriminierung und Herabsetzung ausdrückt, wird durch Gesetzgebung und Rechtsprechung geahndet und nach Möglichkeit eingedämmt. Der informelle Sexismus an Hotelbars und im Kol-legenkreis bleibt virulent und wirksam. 



Auffällig bei der gegenwärtigen Debatte ist, dass sich die üblichen Verdäch-tigen und bekannten Vertreterinnen kritischer Positionen zu Worte melden. Darunter auch solche Ex-Ikonen, die gelegentlich nichts dabei finden, sich mit einem des Anti-Sexismus garantiert unverdächtigen Boulevardblattes zu bedienen, um ihre Positionen massenwirksam zur Geltung zu bringen. So schnell, wie die Debatte aufgekommen ist, so schnell und so wirkungslos wird sie wieder beendet werden. Die gegenwärtige Aufregung ist ein routine-mäßiger Reflex, der keine nachhaltige Wirkung haben dürfte. 

Das Überraschende an der Diskussion ist ja weniger ihr Auslöser, ein angeblich übergriffiger Bundesminister, sondern die Kurzsichtigkeit und Abgedroschen-heit der Argumente in der Diskussion. Welcher Bürger hätte denn vor laufender Kamera oder dröhnender Druckmaschine nicht das Bedürfnis, seiner Wohlanständigkeit und seines gesunden Rechtsempfindens Ausdruck zu verleihen? Wer hätte nicht genügend Anekdoten beizusteuern, die beweisen, zu welch abscheulichen und absonderlichen Auswüchsen dieser Sexismus Tag für Tag kommt? Und genau da bleibt dann die Debatte stecken, im Anek-dotischen, im Selbsterlebten, das eben nur diese anekdotische Beweiskraft besitzt. Vor diesem Hintergrund wäre es nicht unwichtig zu fragen, unter welchen Umständen der anklagende Artikel im STERN entstanden ist. Die Tatsache, dass die Fallhöhe des Angeklagten die Veröffentlichung der Ge-schichte rechtfertige, verniedlicht jeden anderen Übergriff, jede weitere Be-lästigung. Der Hintergrund verleiht der Sache konkret etwas Überhöhtes und trägt dem viel beklagten allgemeingültigen Stand der der Dinge nicht Rech-nung. Das  macht die Debatte am Ende so zufällig und so willkürlich. Und so wirkungslos. 
Es relativiert das ständige Spiel mit den Attributen persönlicher Attraktivität, wie man sie auch hochrangigen Politikern oder bedeutenden Künstlern zu-gesteht. Klaus Kinski, offenbar ein berüchtigter sexueller Berserker konnte sich kürzlich posthum, noch bevor sein Missbrauch seiner Tochter bekannt wurde, daran erfreuen, dass er von einer bekannten deutschen Schauspielerin als besonders sexuell anziehend bezeichnet wurde. Dies ist genau das Ge-sellschaftsspiel, das die Gemeinde in Bewegung hält: Sexuelle Anziehungs-kraft ist nichts mehr, was sublim und latent wirkt, sondern dasjenige Attribut, das marktschreierisch und plakativ auch über die Massenmedien verbreitet wird. Ist es Sexismus, wenn der James Bond Darsteller auf die sexuellen Kon-notationen seiner Rolle reduziert wird? Wenn die traditionelle Rolle seiner "Gespielin" im Film gemeinhin einen Karriereschub bedeutet? Was ist mit Ma-donnas eiskaltem Kalkül, was ist mit den permanenten Anspielungen und Her-vorhebungen sexueller Qualitäten in der Boulevardpresse? Was ist, wenn Sendeformate hochgejubelt werden, in denen offenkundig junge Frauen lernen und darin bestärkt werden, dass es richtig ist, mit dem Sexismus der Männer zu rechnen und ihn sich zunutze zu machen? Was ist mit der alltäglichen Zur-schaustellung weiblicher sekundärer Geschlechtsmerkmale als Demonstration weiblichen Selbstbewusstseins und Selbstbehauptungswillens angesichts der Dumpfheit und Blödheit männlicher Vorstellungen von Sexualität und Be-ziehung? 

Alles das füllt Sendezeiten und Seiten, wirkt stilbildend und wird als vorbild-lich gepriesen. Wenn ein älterer Schauspieler die Pobacken seiner 30 Jahre jüngeren Ehefrau vor laufender Kamera lobpreist - kein Sexismus, der vom Sender genommen gehört? Wenn Redaktionen jüngere Journalistinnen ermu-tigen, zur Erreichung ihrer Ziele auf den Einsatz ihrer weiblichen Möglichkeiten nicht zu verzichten - kein Sexismus, der verboten werden sollte? 


  1.   Weil eine Geschichte über das "neue Gesicht" der FDP nun eine andere Relevanz hat.
  2. Vorankündigung der Kollegen Franziska Reich und  zu meinem Text über Rainer  im morgigen Stern.
  3.  Vielen Dank. Wann macht ihr 34er eigentlich mal Brot und Bier?
  4. Im morgigen Stern erscheint ein Text von mir über meine Begegnungen mit Rainer . Bin gespannt auf die Reaktionen.
Auszüge aus dem Tweet von STERN-Autorin Laura Himmelreich...

Was gern verschwiegen wird oder aber wenigstens unerwähnt gelassen wird, ist, dass es längst einen Backlash der Frauenbewegung gibt. Der Stand der gesellschaftlichen Diskussion der 70er und 80er Jahre, der radikal und kon-sequent alte Muster in Frage stellte und nach neuen Antworten auf alte Fragen verlangte, ist heute lange vergessen. Das ist keine neue Erkenntnis, auch da-zu gab es vor einiger Zeit eine kurze, wenn auch heftige Debatte. Viele Frau-en, die sich in der Frauenbewegung  engagiert hatten, erleben in der nächsten Generation einen massiven Rückschlag. Das Frauenbild der 50er feiert wieder fröhliche Urständ', das hehre Bild der Mutter und Hausfrau wird wieder pro-pagiert, es werden Herdprämien gezahlt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf getestet. Mütter diskriminieren kinderlose Frauen, sogenannte "Kar-rierefrauen" diskriminieren Hausfrauen - schlimmer, klischeehafter und reak-tionärer könnten Männer auch nicht mit Frauen umspringen.

Was ist die Antwort auf den Aufschrei der Frauen? Das weichgespülte Mea cul-pa-Getue einiger Männer hilft nichts und tut nichts zur Sache. Das trotzige "Die sollen sich nicht so anstellen"-Gequatsche ebenso wenig. Genauso wenig darf ein Sexismus-Vorwurf in den Ruch geraten, nur dem eigenen beruflichen Fortkommen und publizistischer Effekthascherei zu dienen. Die Chefredaktion des STERN hat einen schlechten Job gemacht und die Autorin weiß es halt nicht besser. Sollten irgendwelche Verbote helfen? Verhüllungen? Sprechver-bote? Getrennte Räume für Männer und Frauen? Geschlechter-Apartheid? Zensur? Gesinnungs-Polizei? 
Die Kirche gehört ins Dorf und die Kerle, die es betrifft, sollen ruhig gesagt bekommen, dass sie auf dem Holzweg sind. Aber ehrlicherweise sollte man das gesamte Spektrum des Sexismus in der Gesellschaft in Augenschein neh-men und daran arbeiten. Das Ewig-Gestrige werden wir eh nicht aus der Geselslchaft hinausbekommen, ebenso wenig das Zynisch-kalkulierende.

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