Freitag, Februar 01, 2013

Briefe aus der Provinz - Rainer Brüderle

Lieber Rainer,
Da hast Du uns ja richtig einen einge-schenkt. Uns? Ja, uns allen, die uns an der friedlichen Koexistenz mit den Frauen gelegen ist. Und damit dürfte etwa 98,5 % der männlichen Weltbevölkerung gemeint sein.
Alle Welt spricht davon, inzwischen sogar die New York Times (man fasst es nicht!), dass Du nächtens an der Hotelbar einer jungen STERN-Journalistin zu nahe getreten bist. Sei es wie es sei, die eine sagt so, die andere relativiert so - nur Du schweigst dazu beharrlich, lädst die Dame weiterhin zu Deinem Pressefrühstück ein und tust so, als ginge Dich das Ganze nichts an. Ich kenne Deine Beweggründe dafür nicht, am Ende müssen sie mich vielleicht auch gar nicht interessieren, weil sie im Ergebnis definitiv falsch sind und nur falsch sein können.

Auch wenn man die gesamten unappetitlichen und dubiosen Hintergründe weglässt und sich nicht mit der Frage der berufsethischen Verantwortung von Journalisten und Redaktionen befassen will, bleibt am Ende immer noch die Frage, warum Du Dich nicht in der Sache öffentlich erklärst. Deine Freunde haben ja offensichtlich einen riesigen Spaß daran, ihre Witze und Sprüche auf Deine Kosten zu klopfen und Dich dabei immer älter aussehen zu lassen, als Du dich vermutlich tatsächlich fühlst. Natürlich, keiner von denen und keiner von uns allen (98,5%) sollte den ersten Stein werfen, keine Frage. Aber warum leistet Du dem durch ein Schweigen Vorschub, das letztlich auch nach den allgemeingültigen Maßstäben des gesellschaftlichen Anstands nicht in Ordnung ist? 

Wenn es denn tatsächlich so etwas wie den Old Boy Kodex unter Männern gibt, dann, glaube ich, hast Du gegen wesentliche Vorschriften darin verstoßen. Im ungeschrieben Old Boy Kodex heißt es nämlich wörtlich, dass ein Mann für seine Taten und Worte einsteht und die Verantwortung übernimmt. Außerdem behandelt er andere Menschen, gleich welchen Alters, Geschlechts, Herkunft oder Stellung mit Respekt und größtmöglicher Wertschätzung. Damit sind wir noch lange nicht bei der Sexismus-Debatte, die Du uns eingebrockt hast und die auf peinliche Art und Weise, alle Männer in die Verlegenheit bringt, ihre eigenen kleineren oder größeren Verfehlungen einzugestehen und öffentlich zu kommentieren. Das, mein lieber Rainer, verstößt ebenfalls gegen den Kodex, der verlangt, dass kein Mann etwas tut, was anderen Old Boys schaden oder ihre Integrität beschädigen könnte. All das aber, mein Lieber, ist nun mal geschehen. Zum einen, weil Du Dich an der Bar offenbar .... missverständlich verhalten hast und - most of all - weil Du Dich nicht erklärst, geschweige denn entschuldigst. Vielleicht erreicht uns ja bald die Nachricht, dass Du es unter vier Augen doch getan hast, weil Du der Wirkung der öffentlichen Geste zurecht nicht traust. Dann wäre es besser, aber noch lange nicht gut.

Die gegenwärtige Debatte lebt in großen Teilen davon, dass so viele von ihr und von ihrer inhaltlichen Verkürzung profitieren. Ein Chefredakteur des STERN hat es selbst öffentlich bekannt, dass der übergriffige Handwerksmeister aus Hannover-Langenhagen kein publizistisches Thema gewesen wäre. Das mag aus der verkürzten Sicht eines marktorientierten, kommerziellen Journalisten so sein, hat aber mit dem Tatbestand und dem Problem, das angeblich diskutiert wird, nichts zu tun. Der alltägliche Sexismus, darüber hast Du ja sicher auch schon oft nachgedacht, lieber Rainer, immerhin bist Du ja als Berufspolitiker ein Vorbild für unsere Jugend und Dir dieser Rolle stets und in allen Lebenslagen voll bewusst, der alltägliche Sexismus ist banal, ist mies, ist so verschlagen-verschwitzt, wie ihn die betroffenen Frauen in ihren 60.000 Tweets aufschreiend schildern. Noch ärgerlicher aber ist, dass er nicht zum Repertoire des Old Boy Kodex gehört, wie er uns von unseren Vätern vermittelt wurde. 

Es ist ja nicht so, dass wir alle (98,5%) nicht wissen, was Recht und was Unrecht ist, wie man Frauen respektvoll und wertschätzend behandelt. Der übelste Macho und Chauvinist wird es nicht zulassen wollen, dass seine Frau, seine Tochter, seine Mutter beleidigt und belästigt würde. In dem Falle, so schreibt es der Kodex vor und Du weißt es, lieber Rainer, in diesem Falle muss der Mann "sich gerade machen", er muss persönlich für die Unversehrtheit der Frau einstehen. Und er muss es auch für jede andere Frau tun, die offensichtlich gegen ihren Willen belästigt wird und sich nicht zu helfen weiß. In der Vergangenheit ist man ja allen Ernstes so weit gegangen, die Regeln der Ritterlichkeit und des Gentlemans als Inkarnation des Machismo und der Unterdrückung der Frau zu bewerten. Natürlich sind die Grenzen fließend und jeder Junge muss früh lernen, wo sie verlaufen, wo die Ritterlichkeit endet und die Unterdrückung beginnt. Aber es ist unbestreitbar, dass kein Mann in unseren Breiten nicht wüsste, was er nach den Regeln der Ritterlichkeit oder auch nur des guten Benehmens darf und was er nicht darf. Niemand kann sich also mit Nicht-Wissen herausreden. Und was Dein Kumpel Wolfgang da mit seinen Sprüchen veranstaltet, ist die ironische Übertreibung einerseits und eine arrogante Ihr-könnt-mich-mal-Haltung andererseits. Das eine lässt der Kodex zu, das andere verbietet er. 

Falls Du, lieber Rainer, Dir in Deiner Dankbarkeit für Wolfgangs Aktion mit ihm darin einig bist, dass es einen gewissen sozialen Status gibt, von dem aus man/Mann auf die Regeln des Anstands nichts mehr geben muss, dann hast Du Dich getäuscht. Insofern trifft das Argument zu, dass die Aktion an der Hotelbar eine Machtdemonstration gewesen sei. Ihr bestätigt es ja nachträglich noch dadurch, dass Ihr Euch komplett einer ernst zu nehmenden Stellungnahme verweigert. Vielleicht wisst Ihr ja nicht, dass Ihr Euch vor den Old Boys auch zu rechtfertigen habt. Vielleicht fällt es Euch ja besonders schwer diesen Weg zu gehen, weil Ihr bis dato bewiesen habt, dass Ihr den Anforderungen des Kodex nicht genügt. Der besagt nämlich auch - und nun hör' gut zu, lieber Rainer, - diese Regeln gelten nur für Männer, wer sie nicht beachtet.... Klingt sehr persönlich, ist es auch. Dagegen kannst Du Dich nicht wehren, mein Lieber, immerhin hast Du ja offensichtlich akzeptiert, dass es Situationen geben kann, in denen persönliche, auch solche des Anstands, überschritten werden. Und in dieser Falle hast Du Dich nun selbst gefangen, nicht nur durch den blöden Spruch an der Hotelbar, sondern auch durch das bräsige Schweigen danach. 

Si tacuisses, lieber Rainer, aber nicht immer ist Schweigen Gold. Soviel ist klar. Geh noch mal in Dich und wechsel Deine PR-Berater aus, auch die weiblichen. Das war nix und wird auch nix mehr. Das kurze Gedächtnis der Öffentlichkeit, das unausgesprochene schweigende Wohlwollen der Mehrheit der männlichen Wähler, das augenzwinkernde Einverständnis Deiner Kumpel... All das nutzt Dir wenig. Politisch bleibst Du, auch nach dem verdorbenen Putsch gegen Euren Chef Rösler, bestenfalls eine Marginalie. Im Old Boys Club bleibst Du weiter auf den hinteren Plätzen. Unser Ärger ist noch lange nicht verraucht. 

Im Grunde ist es schon egal, wie Du Dich entscheidest, weil der Zug längst abgefahren ist. Der Kodex hätte Dir die Chance geboten, Größe zu zeigen und wieder Statur zu gewinnen. Darauf verzichtest Du und weißt sicher warum. Dann unterlass' bitte aber das Verschwörungsgerede und geh' wieder an die Arbeit.

Bis dahin mit freundlichen Grüßen

Foto: Reiner Sturm / pixelio.de

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