Sonntag, Oktober 07, 2012

Wiedervorlage Europa


Ein Plädoyer gegen die europäische Apokalypse.
Europa im Brennpunkt. 

Noch vor etwa einem Jahr war es ein Spaß unter Feuilletonisten, Kommentatoren und Themenredaktionen, das für Dezember 2012 von den Mayas angeblich prophezeite Ende der Welt durch zu deklinieren. Seitdem aber Wissenschaftler Belege dafür gefunden haben wollen, dass das Ende des Maya-Kalenders keineswegs auch das Weltenende bezeichnen soll, ist das Thema vorläufig wieder aus der Redaktionsaufmerksamkeit gefallen. Wiedervorlage Mitte Dezember 2012. Ein weiterer Grund dafür, mit dem Gedanken an den Untergang der Welt zu spielen, konnte aber auch gewesen sein, dass in jüngster Zeit einmal mehr deutlich wurde, dass es Probleme gibt, mit denen per Dekret, Volksabstimmung oder Mehrheitsbeschluss nicht ohne Weiteres fertig zu werden ist. 
In Europa hat die Krise des Euro allenthalben Ernüchterung einkehren lassen nach vielen Jahrzehnten der wachsenden Europa-Begeisterung. Die jüngst erfolgten Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag seines Amtsantritts des Bundeskanzlers und die Jubelstürme um den Kanzler der Einheit, Helmut Kohl, haben noch einmal die wohltuende Erinnerung an jene Zeiten aufscheinen lassen, als es ein Zeichen politischer und historischer Weisheit galt, seine Zukunftshoffnung auf Europa und die Einigung Europas zu setzen. Damals galt der Grundsatz, dass nur ein geeintes und einiges Europa mit den Problemen und Aufgaben der Zukunft fertig werden würde. Dabei dachte man an die Stressfaktoren der Globalisierung, dem Szenario der ökonomischen Mega-Regionen, in denen Europa künftig konkurrenzfähig sein würde. dabei dachte man aber auch an die Fortsetzung der Friedenspolitik der Nachkriegszeit, die ohne Zweifel auf der Grundlage des europäischen Gedankens alternativlos und erfolgreich war. 

Krise von innen
Niemand aber hatte daran glauben wollen, dass Europa sich durch Fehlentwicklungen im Einigungsprozess und politische Fehler ihrer Mitglieder quasi von innen heraus in Frage stellen würde. Denn das ist unbestreitbar geschehen, Europa ist sich selbst zum Problem geworden. Die Euro-Krise ist, da widerspricht niemand, eine hausgemachte, auf die man politisch nicht eingestellt war. Alle Szenarien drehten sich um die Gewinnung der Augenhöhe mit den existierenden und sich entwickelnden Wirtschaftsmächten der Welt, den USA, China, Südamerika, Russland. Die Gefahr, dass die Bekämpfung der Krise mit den ehernen Zielen der europäischen Einigung kollidieren könnten, lassen die Regierungen zögern, sich rasch und entschlossen auf eine gemeinsame Strategie zu einigen, die vor dem Eintritt des nächsten Krisenmoments wirksam wäre, nicht immer erst als Reaktion hinterher. 

Fotos: Pixelio.de/G. Altmann
Es besteht die Gefahr, man möchte fast sagen, die feste Aussicht, dass das Europa nach der Krise auf keinen Fall mehr das Europa vor der Krise sein wird. So oder so werden noch weitere Prinzipien daran glauben müssen, nicht nur das non-bailout-Prinzip oder die veränderten Geschäftspraktiken der EZB. Warum also nicht konsequent sein und das Problem der Krise isolieren und mit geeigneten Mitteln lösen, bevor man zu Lösungen getrieben wird, deren Perspektiven nicht wirklich absehbar sind? Wenn die europäische Idee kraftvoll und überzeugend weiterleben soll, darf sie nicht dauerhaft unter den Ergebnissen der gegenwärtigen Krise leiden.
Dazu aber bedürfte es einer runderneuerten europäischen Idee, die sich in ihrer Ausformulierung nicht von den tagespolitischen Ereignissen beeinflussen ließe. Die mangelnde Kraft der europäischen Union, in ihren Mitgliedsstaaten für eine Haushalts- und Finanzdisziplin zu sorgen, wäre ein Punkt, über den sich diskutieren lassen muss. Die unendlich ausfasernden Einigungsprozesse in all den politischen Einzelfeldern müssen beschleunigt und gekappt werden, sonst scheitert Europa am Ende eher an seinen uneinheitlichen Hygienevorscnriften oder Ähnlichem als am ruinierten Euro. Dass man nunmehr daran gehen will, die politische Einheit Europas zu schaffen, ist keine große Erkenntnis, sondern schlicht überfällig. Es muss wieder eine zeitliche Vorstellung her, bis wann das einige Europa endgültig vereinigt sein soll, 25 Jahre, 50 Jahre, zwei Generationen? Drei Generationen? Es muss schließlich auch wieder eine politische Leitidee her, die Europa deutlich profiliert in seinem Verhalten angesichts der weiteren sicherheitspolitischen Krisenherde auf der Welt.

Im Angebot: Frieden und Demokratie
Die naive Begeisterung, mit der der arabische Frühling begrüßt wurde, zeugt noch von der Vorstellung von der Demokratie als ein erfolgreiches Exportprodukt für den despotischen Weltmarkt. Es hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein interventionischer Friedens- und Demokratiegedanke etabliert, der in Deutschland erstmals bei der Entscheidung über den Kosovo-Einsatz deutlich wurde. Heute stehen europäische Soldaten in Afghanistan, am Balkan, standen im Irak. Bessere Ergebnisse als die Amerikaner haben sie nicht erreicht, man teilt sich die Unsicherheit der Welt und der Politik einträglich und glaubt, dies sei die logische Folge der eigenen weltpolitischen Dominanz. Die Wiedereingliederung Deutschlands in den Westen nach dem zweiten Weltkrieg und die Erweiterung der EU in den ehemaligen Ostblock hinein sind rein europäische Entwicklungen gewesen, die kaum oder keine Nachfolgebespiele anderswo gezeitigt haben. Unter der Glasglocke Europa standen andere Handlungsoptionen zur Verfügung als anderswo.
Gleichzeitig ist man sich eigentlich einig, dass alles Hegemoniestreben einzelner Staaten vorgestrig sei. Eben das aber geschieht gerade in der Weltpolitik. Einig ist man sich darin zum Teil mit den USA, die am Ende eines historischen Zyklus angekommen sein könnten und die es schon lange mit Konkurrenten zu tun haben, die nicht in Europa beheimatet sind. Diese Entwicklung ist mindestens so alt wie die deutsche Wiedervereinigung und die europäische Erweiterung. Dass der pazifische Raum künftig wichtiger für die USA werden würde als Europa, stand schon in den 80er Jahren fest. Nun, da es sich bewahrheitet, kämpft Europa um seine Bedeutung und seinen Einfluss. Und mit sich selbst in der Eurokrise. Dabei wäre ein starkes, selbstbewusstes Europa im Wirbel der geopolitischen Entwicklungen sehr sehr wichtig gewesen. Aber ausgerechnet in dieser Phase der Geschichte machen die Europäer ihre Hausaufgaben und sitzen miteinander streitend bei der Schuldnerberatung. Ob sie sich nach der Krise, wenn es das denn gibt, wieder als gleichwertiger Partner oder Kontrahent in den globalen Wettbewerb werden einreihen können, bleibt zunächst dahin gestellt. Auf jeden Fall muss eben dies auch ein Ziel der Krisenbewältigung im alten Europa sein, wenn es das nicht mehr sein will: Das alte Europa, das sich am Ende doch wieder nur selbst klein macht und zu Fall bringt.

Doch kann man mit dem Thema neues Europa Wahlen gewinnen? Ist das neue Europa möglicherweise ein Big Point im Wahlkampf? Als Amtsinhaber ist zumindest das alte Europa und die flexible Krisenarbeit ein Thema, mit dem beim Wähler zu punkten ist. Ob ein Herausforderer Chancen hätte, das Thema beim Wähler zu platzieren muss mit Fug und Recht bezweifelt werden. Das Thema Europa oder gar Neues Europa ist beim Wähler noch nicht wirklich angekommen. Der möchte eher ein entschiedenes Weiter-so in Europa als irgendwelche Kurswechsel oder Visionen. Und verpasst womöglich den richtigen Zeitpunkt, von seiner Regierung ein Europa-Konzept mit Zukunft und Vision zu verlangen. Das friedfertige, friedliche Europa könnte dann irgendwann an seiner eigenen Friedfertigkeit und mangelnden Wettkampfhärte scheitern. 

Das aber wäre ein fataler Prozess. Nie zuvor in der geschriebenen Geschichte hat es eine Staatengemeinschaft gegeben, die so eindeutig und unmissverständlich von ihren Gründungsvätern auf Frieden, Völkerverständigung und gemeinsamen Wohlstand verpflichtet worden ist. Mit einer entscheidenden Schwächung Europas wäre eben weit mehr zu verlieren als Vertragswerke, Industriestandards und Förderungsfonds. Dafür würde es sich schon lohnen zu arbeiten und zu kämpfen. Und diese Forderung gilt nicht allein für die Politik.

Die restliche Lebensdauer des Kalenders der Maya ist überschaubar. Die des jungen Staatenbundes zwischen den Blöcken und Staatenriesen nicht. Lasst uns also demnächst die Wiedervorlage abarbeiten und dann Europa auf Kurs bringen.

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