Sonntag, September 30, 2012

Der Blick in den Spiegel


Einen Toast auf den September 2013. Die Qual vor der Wahl.
Bundeskanzleramt? Berlin? Foto: Pixelio.de/J. Sabel
Nun suchen sie wieder. Und analysieren und psychologisieren und recherchieren in den Redaktionen der Nation. Seit wenigen Tagen hat sich die SPD für einen ihrer ehemaligen drei Kanzlerkandidaten entschieden und am Ende Peer Steinbrück dem mehr oder weniger staunenden Publikum als den Mann ihrer Wahl präsentiert. Peer Steinbrück also wird 2013 als Spitzenkandidat der SPD gegen die Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Wahlkampf ziehen. Bis dahin wird dieser Zweikampf das alles beherrschende Thema sein und der Wähler mehr als ausreichend Gelegenheit erhalten, sich ein Bild von beiden Kandidaten zu machen. Dabei wird beiden Kandidaten ein Spiegel vorgehalten, in dem sich alle gemeinsam, Wähler, Berichterstatter und Politiker, gern wieder erkennen möchten. Es wird spannend sein zu beobachten, in welchem Winkel dieser Spiegel jeweils gehalten werden wird, wie er den Kandidaten oder den Wähler blenden kann und welche Bilder der jeweils andere in ihm von sich selbst erkennt.

All die Elogen und Analysen, Würdigungen und Porträts auf die Kandidaten haben gemeinsam, dass sie, nachdem die Entscheidung offiziell und öffentlich gefallen ist, Menschen vorstellen sollen, die seit langem in der Öffentlichkeit stehen, öffentliche Ämter bekleiden und politische Verantwortung getragen haben. Nun also stehen sich die beiden in einem demokratisch auszutragenden Wettbewerb gegenüber im Streit um das dritthöchste Amt im Staat. Wie werden sie es anfangen? Welche Themen werden sie besetzen? Mit welchen Forderungen werden sie auftrumpfen und mit welchen Angeboten Punkte sammeln? Was haben sie uns überhaupt noch Neues zu sagen, was wir nicht schon wissen, welche Versprechungen wollen sie uns machen, die sie nicht schon mal gebrochen haben?

Konvergenz zwischen SPD und CDU?
Verengt man den politischen Streit auf diese Perspektive erhalten alle Diskussionen und thematischen Zuspitzungen erst ihre richtige Schärfe und Dynamik. Erst so kann man Sieg und Niederlage, Geschick und Ungeschicklichkeit, Sympathie und Antipathie von einander unterscheiden. Das ist vielleicht spannend, eventuell sogar am Ende dramatisch, es könnte sogar historisch werden. Man muss dies jedoch gar noch so ernst nehmen und kann den Zweikampf auch als Wettkampf der Helfer, der Spin Doctors, der Werbeprofis und Berater betrachten, die nicht erst seit gestern dabei sind, sich die Strategien zurecht zu legen, mit Hilfe derer sie das Wahlvolk mobilisieren und auf ihre Seite ziehen wollen. Da die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den beiden großen Parteien CDU und SPD traditionsgemäß festzustehen scheinen und erst in den letzten zehn Jahren eine gewisse Konvergenz zu verzeichnen war, wird es interessanten, festzustellen, was die Strategen für mehrheitsfähig halten und wie sie sich situativ auf die aktuellen Gegebenheiten einstellen werden, um ihr großes Ziel nicht zu gefährden. 

Spätestens seit dem Ende der schwarz-roten großen Koalition 2005 ist klar geworden, dass die gegenseitige Bewegung auf die Mitte zu, die Positionen gefährlich verwechselbar und vergleichbar gemacht hat. Merkel sagt man dabei eine klar erkennbare Sozialdemokratisierung der CDU und eine wetterwendische Orientierung an der Mehrheitsmeinung im Volk nach, während die SPD sich nach der Schröder-Ara schwer tut, dieses schwere, wenngleich erfolgreiche Erbe anzutreten und nicht der Versuchung anheim zu fallen, eine programmatische, vor allem grün gefärbte Rolle rückwärts hinzulegen. Wer erwartet, dass einer der beiden Kandidaten, der sie tragenden Parteien und der für sie arbeitenden Strategen Antworten auf die Euro-Krise, den Energiewandel, die wachsenden Probleme mit dem Fundamentalismus auf allen Seiten, dem Krieg in Afghanistan und der Rentenproblematik der kommenden 50 Jahre geben werden, der ist allzu optimistisch anzunehmen, dass ein Wahlkampf das bringen könnte, was Jahre der Regierungs- und Oppositionsarbeit nicht gebracht haben.

Schöne Entwürfe schöner neuer Welten
Stellen wir uns also auf der einen Seite auf einen Fortgang der endlosen Diskussionen und Lösungsversuche ein, auf der anderen Seite auf die schönen Entwürfe schöner neuer Welten nach der Wahl 2013. Was auch immer da geboten werden wird, ist allenfalls am Rande interessant. Interessanter wird sein, mit welchen Befunden die Wahlforscher und Demoskopen die Wahlkampfleiter der Parteien versorgen werden. Welche Erwartungen hat der Wähler angesichts der Fülle und der Komplexität der zu losenden Probleme denn tatsächlich? Und hat er in der Vergangenheit nicht zur Genüge bewiesen, dass er entweder an lieb gewordenen Erwartungen und Einschätzungen hängt oder sich gerne auch ganz aus der politischen Verantwortung stiehlt? Was bewirken die Krisen und Probleme? Schüchtern sie den Demokraten im Wähler ein? Motivieren sie den Bürger im Wähler zur Wahl zu gehen? Bringen die Erfahrungen der Wutbürger und die kurzfristigen Erfolge der kleineren Parteien völlig neue Konstellationen und Zahlenspiele auf die Tagesordnung? Bringen die komplizierten politischen Verhältnisse eindeutige Antworten des Wählers oder bleibt er indifferent und das Wahlergebnis diffus und Unentschieden? Will der Wähler den starken Pragmatiker oder die coole Machtpolitikerin? 

Worin wollen die beiden Kandidaten sich schließlich spiegeln? Welche Sorgen und Nöte des Wählers wollen sie aufgreifen und zerstreuen? Wie vor allem wollen beide, die seit langer Zeit in der Verantwortung stehen und nicht zuletzt auch für die gegenwärtige Situation mitverantwortlich zeichnen, wie wollen also diese beiden Persönlichkeiten den Wähler davon überzeugen, dass sie nunmehr im Besitz eben der Antworten seien, die sie bisher schuldig geblieben sind oder nicht umgesetzt haben? Keiner von beiden kann sich aus der Verantwortung stehlen und sich als nicht zuständig herausreden. Worin also soll die Menge der Versprechungen und Erwartungen liegen, als Slogan und Poster Überzeugungskraft entfalten sollen? Möchte man sich die Aufgabe der Spin Doctors wünschen? Nicht wirklich, wenn man noch an das Gute in der Politik glaubt. 

In den Medien dürfte es auf den Wettkampf des selbstbewussten und kenntnisreichen Politprofis und Herausforderers  mit der machtbewussten und fintenreichen Amtsinhaberin hinauslaufen. So bekommen der Zweikampf Kontur und die Aussagen ihre Trennschärfe. So ist er leicht nachzuvollziehen und jedes übertreten der Abwurfmarke einfach nachzuvollziehen, jedes Einknicken und Wegducken leicht zu analysieren. Vor allem aber wird es darauf ankommen, ein Projekt, ein Thema zu finden, das dem Wähler jene Zuversicht zurückgibt, die ihm seit den 2010-Reformen und der Lehmann-Krise von 2008 mit nachfolgender Euro-Krise abhanden gekommen sein dürfte. Dabei muss der Herausforderer darauf hoffen, dass ihm die Permanenz der Krise in die Hände spielt, die Titelverteidigerin ihrerseits muss hoffen, dass sie mit ihrer abwartenden und zögerlichen Taktik weiter gut durch kommt und die Menschen nicht beginnen, mehr von ihr zu erwarten. Anders als bei der letzten Wahl kann man von Amerika auch nur lernen, dass es auch einem mit viel Vorschusslorbeeren ins Amt gehievten Präsidenten schwer fallen kann, die Wiederwahl zu gewinnen. Wie hoch der Anteil seines Widersachers am eigenen Niedergang gewesen sein wird, muss noch abgewartet werden, Ähnliches könnte auch bei der Bundestagswahl geschehen. 

Und was sieht der Wähler, wenn er in den Wahlspiegel schaut? Wenig Zukunftsentwurf, wenig große Würfe, viel Pragmatismus, viel Opportunismus. Noch sieht es nicht so aus, als wolle der Wähler nicht wirklich mit aller Konsequenz eine Änderung der Verantwortlichkeiten. Warum auch, noch laufen die Geschäfte, noch geht es den meisten Deutschen gut, noch scheinen alle darauf zu warten, dass und ob überhaupt irgendeine der Katastrophenszenarios eintritt. Noch ist das Spiegelbild von Kandidat und Wähler nicht deckungsgleich.  


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