Samstag, September 22, 2012

Ein bisschen Eintritt geht doch...nicht

 Die katholische Kirche - zurück oder bleiben? Eine persönliche Standortbestimmung nach drei Jahrzehnten
So now as I'm leavin'
I'm weary as Hell
The confusion I'm feelin'
Ain't no tongue can tell
The words fill my head
And fall to the floor
If God's on our side
He'll stop the next war.
Bob Dylan, 1963

Mit acht Jahren wurde ich feierlich in den Schoß der katholischen Kirche aufgenommen. Mit 30 Jahren verließ ich ihn wieder. Weitere knapp dreißig Jahre später erfahre ich, dass ich wie alle anderen aus der Kirche ausgetretenen Katholiken zwar nicht ex-kommuniziert, aber von allen Dienstleistungen der Kirche ausgeschlossen bin. Das ist in Ordnung, weil ich ja ganz offiziell mit meinem Austritt bekunden wollte, dass ich diese Dienstleistungen fürderhin nicht mehr in Anspruch nehmen möchte. Dennoch hat mich geärgert, was die Presse zu diesem Thema berichtet hat, denn der alte Ärger über die bornierten Glaubens-Bürokraten kam wieder hoch.

http://www.katholisch.de/Nachricht.aspx?NId=8667

Der Link zum Thema

Lange Jahre habe ich mit meinem Kirchenaustritt sehr kommod gelebt, weil es kaum Gelegenheiten gab, zu denen ich mich damit noch einmal hätte beschäftigen sollen. Und wenn es einmal solche Gelegenheiten gab, konnte ich von Ferne bereits erkennen, dass es keinen Zweck hatte, an den Diskussionen teilzunehmen, weil meine Erwartungen immer noch völlig anders waren, als das, was geboten wurde. Die Entscheidung der Bischofskonferenz jedoch ist auf eine verquere Art so ärgerlich und bezeichnend, dass ich nicht an mich halten kann, darüber öffentlich zu sprechen. 


Ärgerlich und bezeichnend 
Die Amtskirche hat sich also ihrerseits von den verlorenen Schäfchen getrennt und sich endgültig von ihnen losgesagt. Ich weiß nicht, welchem Leidensdruck sie nachgegeben hat, dass sie nun so entscheiden musste, aber die Entscheidung ist ein neuerlicher Grund für mich, den Weg zurück nicht zu gehen. Dies nämlich hatte sich in den vergangenen Jahren, nicht zuletzt, zugegeben, wegen meines zunehmend reiferen Alters angebahnt. In spirituellen, religiösen Dingen bahnte sich eine Umkehr bei mir an, die zuletzt in der Überlegung gipfelte, mich gegebenfalls wieder bei Mutter Kirche anzumelden. Nun aber hat der katholische Amtsschimmel wieder gewiehert und diese Überlegung hat sich als obsolet herausgestellt. Offensichtlich hat die Kirche es nicht vermocht, ein Menschenbild zu leben, das über den Charakter einer Vereinsangehörigkeit hinaus ginge. Ein Verein jedoch, der von Jesus begründet und von Ärmelschoner tragenden Bürokraten okkupiert wird, kann auf mich bestens verzichten. Und diese Erkenntnis ist ja nun quasi amtlich. 
Nach wie vor, so scheint mir, ist der dogmatische Zug in Glaubensangelegenheiten noch immer oder wieder ungebrochen. Der päpstliche Alleinvertretungsanspruch mag im Regelgefüge der katholischen Dogmatik ja angemessen und gerechtfertigt sein, für mich als lebenden Menschen, der darauf angewiesen ist, sich täglich als Mensch und Bürger, als Partner und Kollege vor Gott und der Welt zu beweisen und zu behaupten, ist dies der reine Gegensatz zu dem, was ein gläubiger Mensch braucht. Und erst recht zu dem, was ein zweifelnder Mensch braucht. Dreihundert Jahre Aufklärung in Europa haben nichts anderes zuwege gebracht, als eine Amtskirche, die autoritär top down organisiert ist und Gefolgschaft einfordert wie eine x-beliebige Sekte? 


Autoritär top down 
Eine Weile erklärte ich mir diese autoritäre Regression der katholischen Kirche als eine Reaktion auf die stärker werdenden religiös-fundamentalistisch aufgeladenen globalen Konflikte. Da dämmerte mir, dass die Kirche vielleicht ein verbindendes Band unter uns Menschen sein könnte, die weit mehr wäre, als eine durchorganisierte Glaubensgemeinschaft. Wenn wir Vielen hadern, wenn uns die Kraft zum Glauben zunehmend abhanden kommt, gleichzeitig aber die Fundamentalisten anderer Religionen uns vor sehr einfache und sehr grundlegende Fragen unseres möglicherweise religiösen Lebens stellen, dann, so dachte ich, wäre es an der Zeit, wieder ein Bekenntnis abzulegen und sich in die Gemeinschaft der Gläubigen einzugliedern. Dies hätte zumindest für mich ein Zeichen sein können, dass es in diesen unübersichtlichen Zeiten eine Gemeinschaft gibt, in der wir Zweifler und Sucher einen Platz finden könnten. Lange Jahre des Einzelgängertums in diesen Fragen haben mir gezeigt, wie richtig die Aussage ist, dass es nicht gut sei, dass der Mensch allein sei. Die Macht der Vernunft hat in ihrer verabsolutierten Form ebenso so viel Unheil heraufbeschworen und Fürchterliches angerichtet, wie alle Glaubensfanatiker, religiös oder politisch, es auch gekonnt haben. Der Glaube an die Vernunft ist am Ende eben auch nur ein Glaube. Gewissheiten gibt es keine, nur das Streben danach. 
Genau an diesem Punkt aber erweist sich die Kirche als schwach, als desinteressiert. Mit Interesse habe ich die Bewegung der Kirche von unten beobachtet, wie sie sich formierte, sich positionierte und - sich majorisieren ließ. Diese unmündige, naive Frömmigkeit, die einem menschlichen Unschuldsgedanken und einer Reinheitsvorstellung huldigt, die sich von der schwerfälligen, kirchenrechtlich selbst-blockierten Amtskirche abgrenzen wollten, geht in die völlig falsche Richtung und negiert schließlich alle Weltlichkeit zu sehr in ihrem Streben nach Ankommen im Kirchenstaat und sich selbst erlösender Gottesliebe. Wenn das die Alternative zur Amtskirche ist, dann ist die Rückkehr nur unter allergrößten Opfern und Mühen, vor allem mit der Aufgabe der eigenen Mündigkeit, zu bewerkstelligen. Und am Ende eben doch gar nicht.


Völlig falsche Richtung 
Die Konfrontation mit der Kirchenmacht im Amt und in der Theologie lohnt nicht, weil diese ganz und gar darauf aus ist, den eigenen Status quo zu behaupten und nicht eine neue, eine zeitgemäße Gläubigkeit zu erzeugen und zu pflegen. Die Asymmetrie dieser Diskussion macht einen Austausch so schwierig und so sinnlos. Die vielen Diskussionen mit der Amtskirche und die kaum erreichten Fortschritte seit der Aufbruchsstimmung der sechziger Jahre, der revolutionären Kirche Lateinamerikas und der Kirchen- und Papstkritiker im eigenen Land haben nur die Unfähigkeit der Kirche zur Reform unter Beweis gestellt und jedem, der auf die Wandelbarkeit der Gemeinschaft gesetzt hatte, eben diesen Glauben geraubt. Ein kritischer Diskurs mit der katholischen Kirche scheint nicht möglich. Alle, die sich um die Ökumene bemüht haben, mussten ja schnell feststellen, wie die kirchliche Rabulistik ein ums andere mal neue alte dogmatische Hürden aufbaute, ohne sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Die beiden letzten Päpste haben mit ihrer Betonung der Durchsetzbarkeit der katholischen Sicht der Dinge alles verhindert, was gezeigt hätte, dass die Kirche im 21. Jahrhundert angekommen ist. Angesichts des fundamentalistischen Aufruhrs in der Welt ist die Kirche des Nazareners enttäuschend unbestimmt und untätig. Dabei ist der Papst noch nicht einmal ein katholischer Fundamentalist. Denn damit würde er wieder zu den Anfängen zurückkehren, die die Bibelverliebtheit der Kleriker suggeriert.

Zu den Anfängen, die das junge Christentum dazu brachte, im Angesicht einer politisch und religiös brutal-machtpolitisch agierenden Weltmacht, Rom, eine Lehre der Friedfertigkeit und Liebe zu verkünden. Die Rückbesinnung darauf wäre heute eine echte Reform, eine Revolution, ein grundlegender Wandel, der den Menschen wieder eine neue alte Orientierung geben würde. Tatsächlich aber scheidet die Kirche als Maßstab aus. Sie spielt keine wirkliche Rolle, weil sie ihre moralische und ethische Autorität längst verloren hat. Die aktuellen Skandale des Vatikan sind dabei nur der offenkundige Beweis für das Versagen der Kirche. Das Problem selbst war schon lange vorher da.
Für jemanden, der vor langen Jahren schon die Konsequenz aus seiner Erfahrung mit der Kirche gezogen hat und nun gehofft hatte, dass es Gründe geben könnte, quasi heimzukehren, für solch jemand ist die Bestandsaufnahme mehr als enttäuschend. Zeigt sie doch, dass ein jeder, dem es so geht, auch weiterhin wie Kain dazu verdammt ist, sich allein im kalten Raum um Welt und Ich zurecht zu finden. Die Botschaft der Bergpredigt schien mir eine Zeit lang etwas anderes anzubieten, was ich nun aber dort nicht vorfinde, wo ich es gesucht habe. 
Was ich suche, ist eine Form der spirituellen und geistigen Heimat, ein Zusammenschluss gleicher Überzeugungen, die in gegenseitiger Toleranz und Sicherheit erlebt werden können. Es sind die einfachen Dinge, die ein Leben und die Lebensführung betreffen, die den Umgang mit anderen Menschen betreffen und die grundsätzliche Orientierung in der Welt in allen Fragen. Letztlich sind dies exakt dieselben Dinge nach denen alle Sinnsucher von jeher gesucht und geforscht haben. Das ist nicht neu. Ein wenig neuer ist der Überdruss am Überangebot an säkularisierten Heilsversprechen in der profanisierten Lebenswelt. Sinnstiftung per Vereinsbeitritt, Orientierungshilfe per Trikottausch, Diskurs per Bestsellermarketing, Selbstverwirklichung per Folgsamkeit, Wissen per Glauben, Überzeugung per Überredung, Individualität per Konformität - in einer perfekt durchgestylten und marketingtechnisch hyper-durchgeplanten Lebenswelt könnte die Kirche sich an den Kontrapunkt machen und sich ganz schlicht um die Menschen kümmern.
Wir sollten uns an den geringsten unserer Brüder orientieren, wir sollten die Botschaften einfach halten und die Orientierung leicht, die Kirche muss die kraft aufbringen ihre eigene Geschichte Geschichte werden zu lassen und endlich in der Gegenwart ankommen. Die Kirchentage jubeln davon, bewegen aber nicht wirklich etwas.

Fotos: Pixelio.de/P. Bork
Je unübersichtlicher die Welt bei aller digitalen Kommunikationspotenz wird, um so schlichter und gegenwärtiger muss die Kirche sein. Die Antworten auf die scheinbar so komplizierten Fragen müssen und werden einfach sein. Die notwendigen Fragen werden die komplizierten Sachverhalte und die wachsende Unübersichtlichkeit mit ihrer Direktheit und Einfachheit konterkarieren, wie sollte auch jemand, der die Übersicht verloren hat, in diesem Wust eine Frage stellen, die die Unübersichtlichkeit auf den Punkt bringt? Also braucht es keinen erhöhten Intellektuellen oder rhetorischen Aufwand, um hier Abhilfe zu schaffen. Im Gegenteil, die Kirche muss von der simplen Rhetorik der Bibelauslegung wegkommen und die Sprache der Menschen sprechen. 

Mit acht Jahren wurde ich feierlich in den Schoß der katholischen Kirche aufgenommen. Mit 30 Jahren verließ ich ihn wieder. Mit fast 60 Jahren entscheide ich mich wohl, es dabei zu belassen. Ich bedaure das, aber es gibt da keine Alternative. Aber auch kein Hindernis diese beschriebenen Ideale als Mitmensch und Zeitgenosse in die Tat umzusetzen. Man muss wohl noch nicht mal „Katholik im Herzen“ sein, wie die Bischofskonferenz spottete, um ein guter Mensch zu sein und ein gottgefälliges Leben zu führen. Imagine.

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