Freitag, September 07, 2012

"I wanna talk to Leonard" - Cohen live


Go the distance. Leonard Cohen in concert. Foto: Ruß
In einem Song aus den 70ern schildert Al Stewart die Stimmung am Morgen, nachdem er abends zuvor einen Bogart-Film gesehen hat und nun mit dieser Peter-Lorre-Stimmung durch die Stadt streift. Wie soll es einem da erst nach einem Leonard Cohen-Konzert gehen? Wie streift man da durch die Stadtwüste? Als Partisan? Als Tänzer? Als fauler Bastard im Anzug? Über Cohens Musik und Cohens Liveauftritte scheint fast alles gesagt, jedes Klischee ist zigfach zitiert, jede Pointe ausgedeutet, jede Textzeile auf den Mann aus Montreal / Kanada umgedichtet worden.
http://www.youtube.com/watch?v=K0qJr_l1tLg&list=UUWjmI4DIyjdSzwT9lAWmpLw&index=1&feature=plcp
Leonard Cohen Live in Mönchengladbach, 6.9.2012, "Hallelujah"

Seine persönliche Geschichte ist weidlich bekannt unter seinen Fans, von denen sich die besonders Überzeugten selbst Cohenites nennen und die Reisen zu seinen Konzerten wie Wallfahrten organisieren und begehen. Dass er nach Jahren der öffentlichen und musikalischen Abstinenz wegen eines Betruges wieder auf Tournee ging, den seine Managerin an ihm beging und ihn sein gesamtes Vermögen kostete, - zu oft erzählt, als dass es interessant wäre, zu versuchen, daraus noch einmal interpretatorischen Nektar zu saugen. Wie also anfangen?
Zu Beginn seiner Auftritte in Berlin und Mönchengladbach, die einzigen Termine in Deutschland auf der neuen Welttournee unter dem Titel seines letzten Albums „Old Ideas“, versprach er dem Publikum, alles zu geben, was ihm und seiner Band möglich sei. Zuvor aber machte er scheinbar klar, dass dies aus seiner Sicht durchaus auch das letzte Zusammentreffen unter dem Zeichen des Vereinten Herzens sein konnte, immerhin, auch das ist hinlänglich bekannt, ist der Meister bald 78 Jahre alt.
Am Ende des Konzertes in Mönchengladbach machte er zum Abschied eine kurze, aber interessante Bemerkung zum Abschied. Er wünschte allen Freunden, dem Publikum, eine gute Zeit mit ihren Familien und Freunden und fügte an die Adresse derer, die allein seien an, dass sie seine guten Wünsche in ihrer Einsamkeit erreichen mögen, "and may all my blessings reach you in your solitude." Das war eine ungewöhnliche Abschiedsformel, ist man doch von anderen durchreisenden Sangeskünstlern gewohnt, mit allerlei Liebes- und Dankesschwüren überhäuft zu werden.

http://www.youtube.com/watch?v=UMVj-tSMN70 
Leonard Cohen, Save the last dance for me, 6.9.2012, Hier verabschiedet er sich: "May all my blessings..."
Cohen tut erst gar nicht so, als könne seine Musik dazu beitragen, die Einsamkeit eines jeden aufzuheben oder vergessen zu machen. Das ist bewundernswert ehrlich und beeindruckend hellsichtig. Dass er sich auf seine alten Tage wieder auf Tournee begeben hat und nach seinem Aufenthalt im buddhistischen Kloster Mount Baldy bei Los Angeles wiederum in die Niederungen des Popbusiness herab begeben hat, um den ihm zugefügten Schaden wieder auszugleichen, spricht ja dafür, dass er mit weniger Sendungsbewusstsein unterwegs ist, als seine zahlreichen Jünger an Heilserwartung an ihn richten.
Mit seinem Unified Heart-Konzept bedient er diese Erwartungen natürlich auch ein Stück weit, er suggeriert, dass es da etwas zu vereinen gäbe, was noch nicht vereint ist. Aber insgeheim muss die Frage erlaubt sein, ob denn die beiden Seiten, der Künstler und sein Publikum, miteinander vereinbar sind. Wie Cohen dies selbst sieht, ist natürlich aus der Ferne nicht zu beantworten, in seinen Interviews finden sich dazu kaum Hinweise. Auch deshalb nicht, weil sich die ihn befragenden Journalisten meist verhalten wie Fans, die es in den VIP -Raum geschafft haben. Da sind dann die altbekannten Fragen nach Marianne, Hydra und Mount Baldy wichtiger als ein Gespräch über seine Haltung zum Business und die es prägenden Regeln. Immerhin hat ihn eben dieses Business schon von Beginn seiner Karriere an erhebliche Probleme gemacht, die ihn auch im Rückblick wie einen irrlichternden Novizen erscheinen lassen, der mit Ruhm, Geld, Erfolg und Frauen nicht umzugehen wusste.

Sharon Robinson, Alexandra leaving, live Gent 15.8.2012

In alten Filmen und TV-Features erscheint er seltsam entrückt und distanziert, nicht Star, nicht Musiker. Vergleicht man diese alten Präsentationen mit denen neueren Datums, erscheint er auf wundersame Weise altersmilde, altersweise und abgeklärt. Er strahlt inzwischen eine große Würde und eine starke Haltung aus, die ihm offenbar eine Distanz zu seinem Publikum schafft. Diese Distanz macht dieses ungeheure Maß an hymnischer Verehrung, an euphorischer Zuneigung womöglich erträglich und beherrschbar. Letztlich auch für die Erfordernisse des Business auch nutzbar. Cohen hat seine geschäftlichen Widernisse überwunden. Er hat erfolgreich prozessiert, den Prozess gewonnen. Er hat sein Comeback erfolgreich gestartet und dabei bewiesen, dass er als Künstler ein großer Meister ist, der sein Publikum noch nie um etwas betrogen hat.

Er liefert seit seinem ersten Erscheinen in der Rock- und Pop-Welt vor 45 Jahren ein ums andere mal Werke ab, die völlig integer und stringent mit den Erwartungen des Publikums umgehen und diese Erwartungen immer wieder in neue Richtungen führen. Weder ist er übertrieben modernistisch geworden, noch hat er mit sich und seinem Stil total gebrochen. Bei ihm hat eine kontinuierliche Entwicklung stattgefunden, die ihn offenbar verändert hat, die ihn aber heute immer noch in die Lage versetzt, Songs zu performen, die aus einer Jahrzehnte zurückliegenden Situation heraus geschaffen wurden und die dennoch immer noch so klingen, als wären sie erst gestern entstanden.

Während Bob Dylan seit Jahrzehnten auf seiner Never Ending Tour dabei ist, seine Musik ständig auseinander zu nehmen und irgendwie ohne Zuhilfenahme seiner Gebrauchsanleitung wieder zusammen zu setzen, während Neil Young seinem Ruf als zorniger alter Mann gerecht werden muss, während die Rolling Stones immer noch als stark gealterte Street Fighting Men aus ihren Lear Jets klettern, bleibt Cohen der Künstler, der er schon vor Beginn seiner Musikerlaufbahn sein wollte. Der mit seinen Stoffen hadert, der an seinen Texten jahrelang arbeitet, der seine Anregungen auch aus den Archiven der abendländischen Kultur schöpft, der inzwischen auch das sein kann, was Dylan in den 60ern seinen Kritikern vorgab zu sein, ein "Song-and-Dance-Man." Aber ein Song-and-Dance-Man, der seine Einsamkeit bewahrt und erträgt, ohne seinen Hörern und Lesern vorzumachen, dass seine Lieder diese Tatsache leugnen könnten.

Die nämlich sind fast allesamt aus der Perspektive des Beobachters, des Unbeteiligten, unter Umständen auch aus der des aus dem Spiel Ausgeschiedenen geschrieben. Im „Tower of Song“ etwa begegnet er seinen musikalischen Vorbildern und wird auf sein eigenes Maß zurecht gestutzt. Immer wieder begegnet er der Möglichkeit der Niederlage, des Verlustes. Oft scheint es so, als habe der Sänger-Erzähler seine Lektion erfolgreich gelernt und das Schlimme schon hinter sich, das anderen noch bevorsteht. 
Cohen wirkt in diesen Textzeilen, in diesen Melodien wie einer, der davon gekommen ist, der geschlagen, aber nicht zerstört wurde, und bereit ist, davon zu berichten. Er tut dies wie ein Veteran, ein Legionär in der Armee der Liebe, der Suche, der unstillbaren Sehnsucht. Aber dieser Veteran ist nicht fertig mit seinen Erinnerungen und Erfahrungen. Sie suchen ihn heim, sie verfolgen ihn, sie schenken ihm keine Ruhe. Immer wieder ist er gezwungen, seinen Blick auf sie zu richten, sich mit ihnen zu beschäftigen und im Blick zurück sie noch einmal zu beleben und sie als gelebte, erlittene und genossene Zeit zur Kenntnis zu nehmen.

Dieser Blick zurück aber trennt auch Sänger und Dichter, Zuhörer und Leser. Cohen gibt diese Distanz nie auf, er ist immer der Bote, der Sänger, der Seher, der von Dingen berichtet, die geschehen sind, die Menschen zugestoßen sind, und die noch geschehen werden. Selbst wiederkehrende Motive, wie das Verlassen-werden, die Sehnsucht nach Zeiten und Menschen, die Berichte über mehr oder weniger sonderbare Ereignisse und Begebenheiten bleiben in sich ruhende Gebilde, die erschlossen und verstanden werden wollen.
Cohen selbst bemüht sich schon seit mehr als 15 Jahren darum, Hinweise und Hilfestellung bei der Selbstauslegung zu geben. Er selbst stellt seinen Cohenites Entwürfe von Texten und Zeichnungen zur Verfügung, die Aufschluss über die Entstehungsgeschichte eines Werkes geben können, die Bedeutungsebenen erschließen helfen können und, wie er selbst an seine Internet-Aficionados schrieb, dabei helfen sollen, das Mysterium des Schreibens zu enthüllen. 

Auf der Bühne entzieht Cohen sich der Interaktion mit seinem Publikum. Er präsentiert seine jeweils aktuelle Setlist wie ein fertiges Buch, wie eine fertige neue DVD. Wir sehen ihm als zahlender Zuhörer dabei zu, wie er ein neues Kunstwerk ohne Tricks und Täuschungen direkt vor unseren Augen mit seiner Band gemeinsam entstehen lässt. Wir beobachten das Mysterium des künstlerischen Schaffens und wie bei einem guten Magier üblich, erkennen wir nicht, wie er es macht, wie er es schafft, am Ende wieder das Publikum in seinen Bann gezogen zu haben. Und dabei zeigt er doch dadurch, dass er entweder seinem Publikum sehr sehr nahe ist, weil er mit ihm vielleicht eine große Menge an Lebenserfahrung teilt, oder weil er versteht, was die Menschen dort vor ihm im Dunkel des Saals oder im Schweigen der Arena von ihm erwarten.


Cohen vermeidet es, das Publikum zu einem Teil der Performance zu machen, sein Plan, seine Inszenierung ist fertig, ausgereift, perfekt, und der Zuhörer kann es akzeptieren oder ablehnen. Nur teilhaben kann er nicht. Es ist, als ob ein alter Bekannter nach langen Jahren der Abwesenheit durch die Stadt fährt und uns am Straßenrand übersieht. Wir würden so gern Kontakt mit ihm aufnehmen, aber er lässt es trotz der scheinbar so vielen gemeinsam erlebten Jahre nicht zu. Denn er weiß wenig über diese gemeinsamen Jahre, in denen wir seine Lieder immer wieder gehört haben und vielleicht gemeint haben, dort sänge jemand für uns über uns, killing us softly with his song. Nur dass er nichts davon ahnt und nichts davon wissen kann und will. Cohen entzieht sich dieser Suggestion der Pop-Musik und zieht sich auf die Umgangsregeln für Erwachsene zurück, die besagen, dass ein jeder für sich selbst verantwortlich ist. Und so wünscht er uns am Ende, dass uns seine Segenswünsche in unserer Einsamkeit oder mit unseren loved ones erreichen werden. So sehr man sich auch als Fan darum bemühen mag - man bleibt im Austausch mit „seinem“ Künstler auf der eigenen Seite. Was Cohen nur noch glaubwürdiger macht. Und einen Besuch in einem seiner Konzerte zu einem unvergesslichen Erlebnis. 

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