Freitag, März 23, 2012

Habemus Gauck!

Von der Freiheit zur Gerechtigkeit und zurück
Demokratische Tugenden und Stärken

Joachim Gauck nach seiner Vereidigung.
Das wäre geschafft. Ein neuer Bundespräsident gewählt und bisher noch nichts Nachteiliges von ihm gehört. War man ja fast schon anders gewohnt. Was uns aber in den nächsten Monaten begleiten wird, dürfte die seltsame Diskussion um das angebliche Monothema des neuen Präsidenten sein. Freiheit sei sein Thema, sagt Gauck selbst, sein letztes Buch trägt diesen Titel und er hat es in seiner Dankesrede vor der Bundesversammlung wiederholt. So weit, so richtig. So weit, so verdrehbar.


Politische Klasse, die nicht wirklich klar sieht 
Dass sich eine Menge von interessierten Politikern sofort gegen Glücks Freiheitsthema wandten und ihm vorwarfen, kein anderes Thema zu haben, ist nur das Phänomen einer politischen Klasse, die nicht wirklich klar sieht und der der kurzfristige Propagandaerfolg über alles geht. Okay, geschenkt, nichts worüber man ernsthaft nachdenken oder sprechen sollte, wenn man ein echtes Interesse an politischer Auseinandersetzung hat. Weit wichtiger scheint, welche Art der Debatte sich hinter dieser Form des politischen Diskurses verbirgt. De Art der Debatte, die uns obendrein in den nächsten Jahren immer wieder dann einholen werden wird, wenn Gauck auch nur den Hauch eines Problems verursacht.

Freiheit, so sagt man, sei das einzige Thema des neuen Bundespräsidenten. Gut, konnte man zurück fragen, was ist daran falsch? Es gab einen Vorgänger, der sein einziges Thema erst ein knappes Jahr nach Amtsantritt fand und nur dafür bis heute gelobt wird. Wieso also ist Freiheit kein Thema, das der Amtszeit von Joachim Gauck sein Gepräge verleihen konnte? Welche Überlegungen führen dazu, ausgerechnet das Gerechtigkeitsthema gegen den Freiheitsbegriff ausspielen zu wollen? 
Joachim Gauck hat zuletzt versucht klar zu stellen, dass für ihn der Begriff der Freiheit immer mit dem der Verantwortung zusammengeht:
"... Ich habe ... gefühlsmäßig bejaht, was mir erst später 
theoretisch erarbeitet habe, dass aus dem Gefühl der Befreiung die 
Pflicht, aber auch das Glück der Verantwortung wachsen muss.

Gaucks Antrittsrede vom 23.3.2012 im Wortlaut

Offensichtlich ist der gaucksche Freiheitsbegriff aktivisch zu verstehen. Er muss erarbeitet werden, er wird nicht gewährt, nicht geschenkt. Zur Erarbeitung gehört denn auch das ständige bemühen um sie, der stetige Kampf im Bewusstsein, dass die Unfreiheit der Preis sein konnte, den man zählen muss, wenn man sich nicht bemüht. Dies ist zunächst, und das bestreitet Gauck zu keiner zeit, ein aus seiner Biographie und aus der von 17 Millionen anderer ehemaliger DDR-Bürger erwachsene erfahrungsgeleitetes Verständnis von Freiheit. Wo Unterdrückung herrschte, ist das Gefühl der Befreiung überwältigend und nachhaltig. Für Gauck ist die Bewährung der Freiheit dementsprechend ein hohes gut. Dabei pocht er vor allem auf den Aspekt, dass die DDR Bürger sich ihre Freiheit durch die deutsche Revolution genannte Protestbewegung im November 1989 selbst erkämpft hatten und sie nicht von Moskau oder Washington gewährt bekamen. Andere ehemalige Kader der DDR und Mitglieder der sozialen Elite haben im Nachhinein völlig andere Folgerungen aus diesem historischen Ereignis gezogen. Dies macht für viele Beobachter die Definition der Freiheit bei Gauck so angreifbar, weil sie allzu protestantisch daher zu kommen scheint, bei den eher links angesiedelten Kritikern jedoch einen universellen absoluten Begriff meint. Gauck schafft es mit seinem Verständnis von Freiheit, die aktive Seite zu betonen, die Verantwortung des einzelnen herauszufordern, sich für die Freiheit einzusetzen und sie mit seinem staatsbürgerlichen, demokratischem handeln zu verteidigen ungenau schützen. Dies ist gutes altes aufklärerisches denken, der Mensch als das Wesen, das sich selbst aus seiner Unmündigkeit befreit. 
Aktiv gegen passiv, offensiv gegen defensiv
Dagegen setzen die Gauck-Kritiker ihren Begriff der (sozialen) Gerechtigkeit. Eine Idee, die sich den sozialen Bewegungen des späten 19. Jahrhunderts verdankt und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Vollendung in der sozialen Marktwirtschaft Deutschlands erfuhr. Gerechtigkeit zu üben ist Aufgabe des Staates, Gerechtigkeit zu üben gegen jedermann verspricht der Politiker in seinem Amtseid. Wer also Gerechtigkeit einfordert, wendet sich an den Staat und seine Repräsentanten, der Staat ist das handelnde Subjekt, das Gerechtigkeit gewährt, der Mensch ist Objekt, dem gewährt wird, dem dafür jedoch nichts abverlangt wird. Die Sozialstaatsreformen der jüngeren Vergangenheit setzten exakt da ein und wollten die Eigenverantwortung des einzelnen stärken und betonen. Hier also verläuft die politische Trennlinie. Wer sich dem aktiven verantwortungsorientierten Freiheitsbegriff verweigert, ruft nach dem fürsorglichen Staat, der für die Daseinsvorsorge zuständig sein soll. Oder kurz gesagt: aktiv steht gegen passiv, offensiv gegen defensiv. 

Wenn Joachim Glücks Forderung nach einer aktiven Demokratieteilhabe die Anspruchsdenke auf Unterstützungsgewährung gegenüber gestellt wird, ist klar, dass hier vor allem das Rad der politischen Geschichte wieder zurück gedreht werden soll. Was vor zehn Jahren mit einem hohen politischen Preis in die Tat umgesetzt worden ist, zeitigt heute seine Konsequenzen an den Neu entstandenen Bruchkanten. Anstatt hier anzusetzen und dem ersten Schritt den zweiten folgen zu lassen, indem man dem aktivierten Menschen, zwangsweise aktivierten Menschen die entsprechenden Angebote schafft, seine wieder gewonnene Selbstbestimmung sinnvoll und erfolgreich zu nutzen. 

In der Diskussion über Joachim Glück manifestiert sich also ein alter sozialpolitischer Konflikt, der in der näheren Zukunft immer wieder aufbrechen wird. Dem neuen Bundespräsidenten wird dann die Aufgabe zufallen, einen gesellschaftlichen Stellvertreterkonflikt auszutragen, für den ihm verfassungsrechtlich überhaupt keine Kompetenzen kommen. Dem Verlauf und Ergebnis dieses Konfliktes zu folgen wird spannend sein, denn in seinem Windschatten wird sich zeigen, ob die Gesellschaft tatsächlich in der Lage ist, die Eigenkräfte für die demokratische Stabilität zu aktivieren oder nicht. Indem Glück die Verantwortung für den pursuit of happiness an den Menschen zurück delegiert, entlastet er den Staat einerseits und stärkt ihn durch die Energie der vielen. In Zeiten wie diesen, in denen uns schmerzhaft klar wird, an wie vielen Ecken und enden unser demokratisches Gemeinwesen gefährdet ist und bedroht wird, wäre es sinnvoll, dem Prediger von Bellevue zuzuhören und die Reaktion der Menschen darauf zu beobachten.

Dann wäre es geschafft, einen Bundespräsidenten gewählt und Zählbares von ihm bereitgestellt bekommen... 

Keine Kommentare: