Freitag, März 23, 2012

Gelesen, verstanden, notiert 2

Aus dem Zusammenhang gerissen 

Aus: „Annes Pokal-Club“ von Daniel Meuren
In FAZ 22.3.2012

Irgendwann gab es dann doch einen Satz, der im Umfeld von Plattheit und Dummheit aufhorchen ließ. Toni Schumacher gab ihn gegenüber seiner Gastgeberin Anne Will zum Besten. „Wenn Sie die Beste sein wollen, dann müssen Sie was investieren, Sie können nicht die ganze Woche herum sitzen und dann schütteln sie die Sendung aus dem Ärmel. Das geht nicht.“ Tatsächlich ging es nicht am Mittwochabend. 
        
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/faz-net-fruehkritik-anne-will-annes-pokal-club-11693356.html 



Aus: „Ungeheurer Bildungsdruck“ Interview mit Jasper Juul
In DER SPIEGEL 11/2012, 12.3.2012

SPIEGEL: In ihrem neuen Buch widmen Sie sich gemeinsam mit anderen skandinavischen Autoren der Herzensbildung. Ist es so schwierig, Kinder zu mitfühlenden Wesen zu erziehen?
Juul: das Beste ist, wenn sie mit echten Menschen aufwachsen und nicht mit Schauspielern, die immerzu ihre Elternrolle aufführen. Wer dauernd pädagogisch handelt, zieht den Nachwuchs zur Gefühlskalte heran. Solche Kinder erfahren nie, dass andere Menschen auch Gefühle und Grenzen haben. Liebe heißt für sie, im Mittelpunkt zu stehen.

SPIEGEL: Die wohlmeinenden Eltern, die auf alles aufpassen, züchten Problemfälle heran?
Juul: In Dänemark nenne wir sie Curling-Eltern, weil sie wie beim Eisstockschießen alle Hindernisse vor ihrem Kind aus dem Weg räumen. Sie ersparen ihren Söhnen und Töchtern sogar den Anblick eigener Trauer, etwa beim Tod der Großeltern. Solche Kinder wissen nichts über sich selbst. Sie wissen nicht, was es heißt, traurig oder frustriert zu sein, sie kennen deshalb kein Mitgefühl.

SPIEGEL: Also sollen Eltern härter sein?
Juul: Solche Kategorien sind sinnlos. Das, was Vater und Mutter unter Erziehung verstehen, wenn sie den Finger und die Stimme erheben, macht auf Kinder ohnehin kaum Eindruck, und wenn, dann höchstens einen schlechten. ... Erziehung findet zwischen den Zeilen statt.

SPIEGEL: Wodurch also?
Juul: Wie die Eltern miteinander umgehen, wie sie mit dem Bäcker sprechen, wie sie zu ihren Verwandten stehen. Erziehung ist wie Osmose, sie kommt durch die Haut. Kinder wollen kooperieren, sie orientieren sich am Vorbild ihrer Eltern.

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SPIEGEL: Eltern wollen heute nicht in erster Linie Gehorsam. Kinder sollen glücklich sein, sozial und lernbereit.
Juul: ja, das würden alle unterschreiben. Wir wollen nette Kinder. Aber eigentlich wollen auch wir Gehorsam, nur ohne Gewalt. Wir signalisieren: Wenn alle um dich herum zufrieden sind, bist du ein nettes Kind. Nur klappt das leider nicht. Deine Kinder sind dann brav, aber hilflos.

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SPIEGEL: Warum sind Eltern heute so stark auf ihre Kinder fixiert?
Juul: Früher, als unsere Gesellschaft noch weniger wohlhabend war, waren die Mütter auch anwesend, nur hatten sie meist zu tun. Heute sehen viele ihre Elternschaft als Projekt. Eine sehr egozentrische Sicht, weil man sich dabei als erfolgreiche Mutter oder erfolgreicher Vater fühlen will. Diese Projektleiter wollen ihren Kindern so viele Anreize bieten wie irgend möglich. Danach werden die Kinder süchtig.
 


Aus: „Ist das Zen oder Zauberei? Hermann Hesse“ von Michael Kleeberg
FAS 18.3.2012

,Manchmal handeln wir, gehen aus und ein, tun dies und das, und es ist alles leicht, unbeschwert und gleichsam unverbindlich, es könnte scheinbar auch alles anders sein. Und manchmal, zu anderen Stunden, könnte nichts anders sein, ist nichts unverbindlich und leicht, und jeder Atemzug, den wir tun, ist von Gewalten bestimmt und schwer von Schicksal. (aus: Kinderseele, 1918)’
Und so wird es auch immer Menschen geben, denen Hesses beständige Infragestellung eines Ankommenkönnens und Angekommenseins im Leben ein Graus ist; und die, da man sich nicht selbst dafür geringschätzen mag, dass man irgendwann nicht mehr bereit ist zu Aufbruch und Reise, es Hesse anlasten, dass sie des Lebens Ruf an uns kein Gehör mehr zu schenken vermögen.
 

Aus: „Hilfe, wir wollen zurück zu den Alten - Comeback der Nostalgie“ von Dietmar Bartetzko
FAZ 15.3.2012

Wo nichts mehr von Dauer ist, jedes Wissen sofort von anderem dementiert wird und jedes Ereignis, kaum hat es stattgefunden, schon wieder vergessen ist, wendet die verunsicherte Mehrzahl sich instinktiv dem Bewährten zu. „Gib mir irgendwas, das bleibt“ bettelte, bejubelt von Millionen, 2009 die Rockpopgruppe Silbermond. Und 2012 bringen Udo Lindenberg die Remakes seiner alten Hits höhere Verkaufszahlen als einst die Originale.
In sonderbarem Gegensatz zum Erfolg der vitalen Alten wird in vielen Songs junger Künstler oft und jung gestorben: „Wir waren geboren, um zu leben“, klagte 2010 die Band Unheilig um eine vorzeitig gestorbene Geliebte, und Silbermonds neuer Hit „Wann reißt der Himmel auf“ klagt um eine todgeweihte junge Drogensüchtige, die am hektischen Jetzt zerbrochen ist. Sterben als ultimative Flucht aus der totalen Hilflosigkeit und Undurchschaubarkeit, zu der das telematische Zeitalter den Einzelnen verdammt: Roger Ciceros aktueller Erfolg „In diesem Moment“ ist dessen präzise Momentaufnahme. Sein Leitthema, das schleichende Grauen vor der Unendlichkeit der Welt und des Lebens - „In diesem Moment geht irgendwo die Sonne auf. Nimmt ein Schicksal seinen Lauf. Erlischt irgendwo ein Stern. Scheint das Glück unendlich fern“ - spricht zugleich immer auch von der Auflösung des Individuums im Datenozean der Digitalisierung. „Und als einer von Millionen, der an Erinnerungen hängt, fühl ich, dass du gerade hier bist - in diesem Moment.“
Nähe wird nur noch gefühlt, nicht gelebt, und der einzige verlässliche Halt in einer Zeit, die das Rasen der Datenströme zum beängstigenden Grundgefühl gemacht hat, sind Erinnerungen. Sie, an denen wir hängen wie Ertrinkende an Klippen, werden Gestalt in den alternden und alten Künstlern, deren Beharrungsvermögen und Unverwechselbarkeit wir geradezu anbeten, weil sie jung waren und Charaktere wurden, ehe die Welt sich digitalisierte. Aber diese tröstliche Gewissheit kann schon morgen im Datenstrom untergegangen sein.

http://www.faz.net/redaktion/dieter-bartetzko-11104091.html

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