Sonntag, November 25, 2012

Das Pfeifen im dunklen Keller oder Qualität im Journalismus


Nun klagen sie wieder. Die Pleite der Frankfurter Rundschau und das Ende der Financial Times Deutschland verbreiten Angst und Schrecken in den Redaktionen. Zurecht.
Glaubt man den Lehren der Massenkommunikation, dann ist keine Pille so bitter und kein Brot so trocken wie eine Information, die nicht nett, locker-flockig konsumierbar ist. Seit über zwanzig Jahren jagen so Generationen von Praktikanten, Volontären und Redakteuren des Journalismus und der PR dem Phantom „konsumentenfreundliche Information“ hinterher. Die klassische Lehre besagte, dass eine veröffentlichte Information ihrem Gegenstand und dessen Bedeutung durch ihre Darstellungsform gerecht werden müsse. Deshalb waren Nachrichten aus der Welt der Politik ebenso staatstragend formuliert wie die Errungenschaften der Kunst und Kultur.

Strengstens wurde auf die richtige Wortwahl, die korrekte Begrifflichkeit und die zutreffende Anordnung der Fakten Wert gelegt. Umgangssprachliche Wendungen und halb-verstandene Tatsachen fanden vor den Augen der zuständigen Chefs wenig Gnade. 

Als der Focus vor zwanzig Jahren als das neue Magazin für die sogenannte informationselite das trübe Licht der Nachrichtenredaktionen erblickte, machte sein Gründungs-Chefredakteur im Fernsehen Furore mit der werbewirksamen Forderung "Fakten Fakten Fakten und an den Leser denken." Dieser Slogan zählt, seit er das erste Mal gesendet wurde, zu den meist zitierten und den meist missverstandenen Slogans der Nachrichtenkunst. "Fakten Fakten Fakten" meinte das Bekenntnis zur Kürze, Übersichtlichkeit und Einfachheit der Darstellung, "an den Leser denken" bedeutete "macht es dem Leser nicht zu schwer, Informationen aufzunehmen und zu verstehen, verpackt sie angenehm." 

Zeitungskrise: Das Blatt wendet sich in: Die Zeit, 22.11.2012
http://www.zeit.de/2012/48/01-Medien-Zeitung-Selbstdemontage

Zukunft der Zeitung: Wer sterben und wer überleben wird, in: Die Zeit, 22.11.2012
http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2012-11/Tageszeitung

Der Begriff der Informationselite wird schon lange nicht mehr in Verbindung mit dem Focus benutzt, als Beschreibung einer Nachrichten konsumierenden gesellschaftlichen Gruppe hat er sich seit langem schon wieder auf seine angestammte Zielgruppe der Führungs-, Entscheidungs- und Bildungseliten zurückgezogen. Übrig geblieben ist das Gesamtideologem der Soft News und der auf das Wesentliche eingedampften Fakten. Die privaten Fernsehsender haben es darin inzwischen zu wahrer Meisterschaft gebracht, sie scheuen sich überhaupt nicht mehr, Neuigkeiten aus der Unterhaltungsindustrie und der yellow press neben Meldungen aus der Politik und Hochfinanz zu stellen. Kritik daran hat sich seit langem tot gelaufen und ist erwiesenermaßen völlig wirkungslos. Im Windschatten dieser neuen Art der Nachrichtenpräsentation haben sich immer mehr und immer findigere Formate entwickelt, in denen Unterhaltung mindestens so wichtig wie Information ist, Infotainment ist eine Bezeichnung dafür und von den meisten "Experten", Konsumenten und Machern problemlos akzeptiert. 

Wenn man ehedem darüber stritt, wie sich eine inhaltlich komplexe Information Hörer- und Lesergerecht aufbereiten ließ, so diskutiert man heute darüber, wie es gelingen kann, über unterhaltsame Elemente Inhaltliches zu transportieren. Gewissermaßen eine Form des viralen Marketings, virales Nachrichtenwesen. Die Inhalte der Nachrichten sind bestimmt nicht weniger komplex als in den 70er Jahren, die Mittel und Wege der Vermittlung allerdings werden immer bescheidener. Der Kampf um die Vermittlungskompetenz tobt in der Szene seit langem und er scheint seit langem zu Gunsten der elektronischen Medien auszugehen. Die Tatsache, dass peu a peu Printprodukte komplett ins Internet abwandern oder gar eingestellt werden wie die Frankfurter Rundschau oder die Financial Times Deutschland, spricht zusätzlich eine deutliche Sprache.

Zeitungskrise ja, aber wessen Zeitungskrise, in: Der Freitag, 22.11.2012
http://www.freitag.de/autoren/klaus-raab/zeitungskrise-ja-aber-wessen-zeitungskrise

Im Strudel des Strukturwandels, in: Spiegel Online, 23.11.2012 http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/die-pressekrise-ist-eine-krise-der-demokratischen-oeffentlichkeit-a-868935.html



Natürlich ist die spannende Frage der Zukunft nicht die nach dem Ausgabeformat, ob Papier oder Tablet, sondern die Art und Weise, wie Informationen aufbereitet und dargeboten werden. Hier trifft der Experte auf bereits fest gefertigte Überzeugungen, in denen die Regel KISS, keep it simple and smart, die unangefochtene Regel Nummer 1 ist. Eine Diskussion, ob und wie dem Konsumenten mit den angemessenen Stilmitteln das Verstehen und Informiert-sein erleichtert werden kann, findet schon gar nicht mehr statt. Diese Behauptung muss gar nicht mehr bewiesen oder auf ihren Wahrheitsgehalt hin untersucht werden. Die Ergebnisse liegen ja täglich auf dem Tisch.
 
Wer nun den berühmten PISA-Test als Beleg dafür hernehmen möchte, dass diese Strategie angebracht sei, der verkennt, dass diese Strategie älter ist als die PISA-Ergebnisse. Eher wäre die Frage angebracht, ob die Strategie mitverantwortlich für die Ergebnisse der PISA-Studie ist. Tendenziell wird hier die Schriftlichkeit von Sprache und deren Bedeutung für die Verbreitung von Information negiert, zumindest soweit ignoriert wie es der leichteren, angenehmeren Konsumierbarkeit von Information dient. 
Zeitungskrise: Wo die Demokratie lebt, in: Die Süddeutsche, 18.11.2012
http://www.sueddeutsche.de/medien/zeitungskrise-wo-die-demokratie-lebt-1.1525684

Wenn nun das Überleben und die schöpferische Kraft des Journalismus gefeiert wird, dann klingt dies eher wie das pfeifen im dunklen Wald. Mit der Insolvenz der Frankfurter Rundschau und der Einstellung der FTD hat die Entwicklung erst begonnen, von der vor Jahren schon die Rede war. Damals aber, vor gar nicht allzu langer Zeit, stellte man diese Theorie in Abrede und versicherte sich selbst, es werde schon gehen. Unter dem Diktat der Kosten und der veränderten Konsumgewohnheiten aber, tragen die Verlage nach und nach der tatsächlichen Entwicklung Rechnung. In Zukunft wird es darauf ankommen, wie gut eine Redaktion online agiert, wie couragiert Restbestände des alten Qualitätsjournalismus hinüber gerettet werden können. Oder sollen. Ein wesentlicher Schwachpunkt ist allerdings, dass man vieler orts darum bemüht ist, das Leserblatt oder die Hörersendung zu machen. Ein völliger Nonsens, da der Durchschnittsleser – und das weiß man seit mehr als einem Jahrzehnt – kein Interesse an der Komplexität der Welt und ihrer Nachrichtenflut hat. Wenn die Erkenntnis reift, dass mit Qualitätsjournalismus nur die Minderheit erreicht wird, da aber Sinn macht, und dass der Journalist kein Dienstleister am Kunden ist, sondern eben den auch Aktivität und Interesse abverlangen muss, erst dann wird die Zukunft des Journalismus wirklich gesichert sein. Gerade erleben wir, wie der emanzipatorische digitale Kommunikationsansatz der Piraten-Partei krachend in sich zusammenstürzt. Ein Musterbeispiel dafür, dass blindes Nachbeten von Guru-Erkenntnissen mit Sicherheit in einer Sackgasse enden wird. Dem Leser/Hörer/Zuschauer kann dies mitnichten egal sein. Er bestraft Minderleistung schon heute mit Ignoranz. Und die Verlage und Redaktionen bleiben Antworten schuldig.

Foto: pixelio.de/B. Vortmann


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