Dienstag, Oktober 16, 2012

Der Deutsche Herbst - Ein Blick zurück im Zorn

G. Altmann/pixelio.de

Über einen deutschen Euphe-mismus 
Der September und Oktober 1977 werden den Menschen, die diese beiden Monate und auf die ihnen vorausgehenden Jahre erlebt haben, auf immer unvergessen bleiben. Diese beiden Monate sind als der deutsche Herbst in die Geschichtsbücher eingegangen. Was an diesem Herbst so deutsch war oder was an Deutschland so herbstlich, ist eine Frage, die sich auch 35 Jahre oder erst recht nach 35 Jahren stellen ließe. Antworten, so ist es bei diesem Thema in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland, gibt es viele, nur keine Erklärungen dafür, was in den 70er Jahren geschah. Nur zögerlich hat sich die klammheimliche Sympathie weiter gesellschaftlicher Kreise mit den politischen Ansätzen der Terroristen der rote Armee Fraktion gelöst, nur langsam sickerte die Erkenntnis in die Köpfe ein, dass es in Wahrheit bei den Terroristen an politischer Dynamik extrem gemangelt hat, dafür aber an krimineller Energie kein Mangel bestand. 
32 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, beziehungsweise des Endes der Nazi-Herrschaft über Deutschland herrschte in den 70er Jahren noch immer das Gefühl vor, politisch etwas gutmachen zu müssen, historisch die Läuterung stellvertretend für die schuldig gewordenen Vater und Großvater-Generationen leisten zu sollen. Eine traumatisierte Kinder-Generation begehrte gegen die traumatisierte Eltern-Generation auf. Es war übrigens auch die Zeit, in der anerkannte Intellektuelle des Landes seit 32 Jahren beharrlich über ihre eigene Verstrickung mit dem Nazi-Regime schwiegen und die Öffentlichkeit konsequent belogen.

Es war die Zeit, in der man glaubte, mit dem Aufbegehren der Studenten Ende der 60er Jahre seinen Teil zur Bewältigung der Vergangenheit geleistet zu haben. Wohl ignorierend, dass diese Rebellion die Sache Weniger gewesen war und in einem krassen Missverhältnis zu ihrer publizistischen und politischen Wirkung stand. Der Pariser Mai-Aufstand von 1968 und die verschiedenen Bewegungen in den USA, vor allem aber die sogenannten Freiheitsbewegungen Südamerikas und des Nahen Ostens motivierten einerseits junge Deutsche, sich zur eigenen Revolte zu bekennen, auch wenn man selbst nicht mitgemacht hatte, und sie ergab am Ende das Vorbild für die verhängnisvolle Entscheidung einiger Versprengter, es den Tupamaros und Stadtguerilleros gleich zu tun und den revolutionären Kampf in die Metropolen zu tragen. Wenn 40 Jahre nach den ersten Attentaten auf deutschem Boden 1970 die Information geliefert wird, dass deutsche Linke gemeinsame Sache mit radikalen Palästinensern gegen Israel machten, dass deutsche Linke für den Tod von Bewohnern eines jüdischen Altersheimes in München verantwortlich waren, dann wird deutlich, dass alle Vorbilder für den Kampf geliehen, alle Begründungen für den Terror aus völlig anderen Zusammenhängen gerissen waren und der Terror am Ende einen großen Teil einer politisch interessierten Generation moralisch korrumpierte und täuschte. Und diese moralische Korruption, dieser fatale Irrtum wirkt bis heute nach.

Deutschland im Herbst 1977/1978, Trailer

Der Beginn des Endes einer Epoche 
Der deutsche Herbst als Metapher spielt mit der Andeutung, dass diese Wochen Ende 1977 möglicherweise der Herbst, der Beginn des Endes einer Epoche gewesen sein könnte. Einer Epoche, deren Protagonisten eben noch ihren letzten großen Sieg über die kleine Schar der aufrechten Widerstandskämpfer und Aufklärer errungen hatten, bevor sie historisch ihre Abdankung erklären mussten. Der deutsche Herbst deutet jedoch auch die Kälte an, mit der auf beiden Seiten am Ende der Kampf geführt wurde. Terroristen und Staatsmacht standen einander unversöhnlich gegenüber, beide ließen schließlich keinen Zweifel daran, dass sie entschlossen waren, ihren Weg konsequent zu Ende gehen zu wollen. Und es war klar, dass dies Opfer bedeutete, Tote, Verletzte, dass dies die Verletzung von Recht und Gesetz bedeutete, dass dies hieß, man werde, um seine Ziele zu erreichen, täuschen, lügen und betrügen.

Das ganze Land geriet zum Schluss in Geiselhaft und hat lange Jahre schwer an dieser Bürde zu tragen gehabt. Manche Menschen, zum Beispiel die Hinterbliebenen der 34 Opfer des Terrors, die getötet wurden, tragen daran bis an ihr Lebensende. Manche Menschen haben darüber die Fähigkeit eingebüßt, den Parolen und Extremen aller Seiten noch weiter Glauben zu schenken. Der Sturz zurück in die politische und gesellschaftliche Realität nach den Jahren des Aufbruchs und Rebellion, den Jahren der radikalen Systemgegner und der Herausforderung des Rechtsstaates war tief und der Aufprall in der Wirklichkeit sehr sehr schmerzhaft. Politisch ist von den Intentionen der Terroristen nichts übrig geblieben. Gesellschaftlich waren diese Jahre verlorenen Jahre, weil der Preis für das, was in dieser Zeit vielleicht zu lernen gewesen wäre, insgesamt zu grausam und zu hoch war. 

Im deutschen Herbst ist schließlich auch der ganze gesellschaftliche Aufbruch in eine neue Zeit, wie er Ende der 60er versprochen wurde, jäh gestoppt und beendet worden. Alles, was die Bürgerrechtsbewegung der USA, was die Anti-Notstandsaktivisten in Deutschland, was die Barrikadenkämpfer in Paris an konkreten Zielen hatten, geriet ins Hintertreffen und wurde vom kalten Hauch der Geschichte beiseite geschoben. Mit der Friedens- und Umweltbewegung der frühen 80er Jahre entwickelte sich wieder eine Alternative, die bis heute die Gesellschaft prägt. Der deutsche Herbst hat dem nichts anhaben können.
Alle metaphorischen Bedeutungszuweisungen haben am Ende nicht zugetroffen, wenn man einmal davon absieht, dass der gesellschaftliche Temperatursturz alle Zeichen wieder auf Normalnull drehte und neue Impulse für die Zukunft forderte. Die entstanden dann auch, aber seltsamerweise oder bezeichnenderweise zunächst auch aus wertkonservativer Richtung. Die Linke verlor schon damals ihre Deutungshoheit über die Geschichte und die Zukunft, die Ereignisse des deutschen Herbstes 1989 gaben den linken Utopien endgültig den Rest. Erst recht, als sich herausstellte, dass die Hauptabteilung XXII der Staatssicherheit der DDR mit den Terroristen zusammengearbeitet hatte. Zwanzig Jahre nach 1968 war die Zeit der linken Alternativen endgültig vorbei. Und der deutsche Herbst 1977 erschien zusätzlich als politischer, agitatorischer Anachronismus. 

Desperados, Gesetzlose, NarrenDer deutsche Herbst 1977 hat überdies zur Folge gehabt, dass die in die Machenschaften des Terrors verstrickten Menschen in den Ruf der Desperados, der Gesetzlosen, der schuldlos in die Aktionen verstrickten Aktivisten, der tragisch verblendeten Narren zugewiesen bekamen. Jene, die andere rücksichtslos und grausam töteten, schämten sich nicht, sich über angeblich unmenschliche Haftbedingungen zu beschweren. Wenn man heute, 35 Jahre nach dem deutschen Herbst, die Erzählungen der damals Mitwirkenden hört, wenn man erfährt, wie gedacht und gehandelt, wie getäuscht und betrogen wurde, um die Solidarität der Unterstützer nicht zu verlieren, um counter insurgency zu betreiben, wie die Kontakte mit den Mördern der IRA, der PLO, der roten Brigaden, der ETA und anderen Gruppen verschleiert wurden - dann muss der deutsche Herbst als die Zeit verstanden werden, in der die Revolte endgültig ihre Unschuld verlor und sich ganz und gar verselbständigte und sich selbst genügte. Es war die Zeit, als klar wurde, wie gefährlich der Weg war, der dort beschritten wurde und dass er schnell beim Terreur eines Robespierre oder den Säuberungen eines Stalin enden konnte. 

Der deutsche Herbst 1977 legte eine eiskalte Hand auf den Traum der Demokraten, eine friedliche Gesellschaft zu gründen und weiter zu entwickeln. Er verstrickte die Demokraten in schmutzige Aktionen, eklige Deals, grausamste Erpressungen, widerliche Lügen. Die Demokraten wehrten sich, konsequent, aber mit schlechtem Gewissen, hart, aber immer mit dem Vorwurf konfrontiert, möglicherweise zu weit gegangen zu sein. Der deutsche Herbst war eine ultimative Probe aufs Exempel, die Bewährungsprobe der Demokratie, die sie unter großen Opfern bestand. Auf den deutschen Herbst folgte ein kurzer Winter und dann gab es so etwas wie den deutschen Frühling, als Hunderttausende im Bonner Hofgarten gegen die NATO-Nachrüstung demonstrierten. Die sechs Wochen im Herbst 1977 haben unserem Staat seine Grenzen aufgezeigt und ihn gezwungen, seine Mittel auszuschöpfen und das demokratische System energisch zu verteidigen. 

Die nutzlosen Idioten der Geschichte haben auf ganzer Linie den Kampf verloren und haben es nicht vermocht, dem Staat die Charaktermaske vom Gesicht zu reißen. Anders herum ist dies allerdings schon gelungen. Deutscher Herbst 2012, eine gute Zeit.

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