Sonntag, Juli 29, 2012

Von der Wirklichkeit im Bild


Fotokunst, die fasziniert (1)

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Was hat Kunst mit der Welt zu tun? Welche Beziehung hat Fotografie zur Wirklichkeit? Wer sich schon einmal mit den Möglichkeiten der digitalen Fotografie befasst hat, der kann den Eindruck haben, dass eben diese mit der Fotokunst etwas Ähnliches macht, wie es Picasso und Braque vor hundert Jahren gewagt haben, als sie von der gegenständlichen Malerei abrückten und die Abstraktion entdeckten, um neue Nuancen der Abbildung von Wirklichkeit, Leben, Reflexion, Erkenntnis und Schönheit zu erschließen. Das menschliche Auge hat sich zwar nie der Abstraktion geschlagen gegeben und hat immer versucht, einen konkreten Anhaltspunkt für die Deutung des Werkes in der Wirklichkeit zu finden. Die Detailtreue der Darstellung blieb unausgesprochen mehr oder weniger akzeptiert die Blaupause fur die Aufschließung des Werkes. Die Künstler, denen es um nichts weniger als wirklichkeitsgetreue Abbildung, sprich Wiederholung des allseits Bekannten, ging, wurden so zu immer waghalsigeren Höhenflügen der Abstraktion genötigt. Bis hin zu monochromen Flächen, farbigen geometrischen Formen, wild dekomponierten Flächen, die versuchten, dem Gegenständlichen Hohn zu sprechen und der Zwangsjacke des Dokumentarischen zu entkommen. 

Ähnliches widerfährt der Fotografie, lange Zeit gar nicht als Kunst akzeptiert, weil zunächst völlig uninspiriert darauf reduziert, das Offensichtliche und Allzu-Offensichtliche zu spiegeln. Schon als die ersten Fotokünstler des 20. Jahrhunderts entdeckten, welch kreativen Möglichkeiten im Foto steckten, in seiner Fähigkeit, den Moment, die Sekunde, die Einmaligkeit eines Ereignisses festzuhalten und so über das Dokumentarische hinauszuwachsen, schon damals begann die kreative Aneignung der Fotografie als eigenständiges Genre künstlerischer Möglichkeiten. Die Erfindung der digitalen Fotografie und der digitalen Bildbearbeitungsmöglichkeiten trieben die Grenzen des Machbaren immer weiter hinaus. Und damit ähneln moderne Fotokünstler ein wenig ihren künstlerischen Ahnen der Zeit des Kubismus, weil sie das Dokumentarische, das Abbildhafte, das Repetitive der Fotografie hinter sich lassen. Und wie sie das tun!


Thomas EigelDer Hamburger Thomas Eigel etwa wagt es, Container zu fotografieren und nichts als die farbige Fläche ihrer Türen samt der kryptischen Beschriftung zu zeigen. Dies ist die Abstraktion durch einfaches, detailgenaues Hinschauen und Ablichten. Die Container, deren galeriefähige Abbilder solch klangvolle Titel tragen wie APZU 4451568 oder HLXU 5215512, bleiben erkennbar, was sie funktional sind, verändern aber durch ihre schlichte Präsentation eben diese Funktionalität und werden Form, Farbe, Gestaltung. Nichts in diesem straighten Arrangement verführt den Betrachter dazu, die üblichen Klischees der Globalisierung oder der Bedeutung unscheinbarer Gegenstände für den Alltag weltweit zu zitieren. Andererseits gibt es auch nichts, was den Betrachter daran hindern könnte, eben dies zu tun.

Damit erhält das Bild, das Foto, einen Freiheitsgrad an Bedeutung, der angesichts seiner technischen Entstehung überrascht. Schwer zu sagen, wie man sich entscheiden sollte, angesichts dieser Offenheit, dieser Freiheit. am interessantesten scheint mir die Metamorphose, die mehr oder minder statische Metamorphose, die sich im Kopf des Betrachters ereignet. Während das Motiv stoisch es selbst bleibt, changiert seine Wahrnehmung im Kopf des Betrachters. Der Container ist ein Container ist ein Container - doch was das Auge des Betrachters aus ihm macht oder machen könnte, ist etwas völlig Anderes. Der Fotograf erreicht diese Wirkung ohne jede Verfremdung oder Betonung, wenn man sich der Auffassung anschließen kann, dass die Befreiung des Gegenstandes von seinem funktionalen Kontext keine Verfremdung darstellt.
In der Serie wird die ästhetische Verwandlung des Gegenstandes noch sehr viel deutlicher. Die schiere Zahl der Abbildungen unterstreicht die Andersartigkeit der einzelnen Fotos und hebt die ästhetische Wirkung hervor. Dies ist gewissermaßen ein geringer Tribut der Technik an ihre neuen Möglichkeiten. Ihre Reproduzierbarkeit und ihre Variabilität nähert das Kunstprodukt dem Charakter seines Gegenstands wieder an und klingt leise fast wie ein Vanitas der Gegenwartswelt.
http://www.lumas.de/pictures/thomas_eigel/hlxu_5215512/
H. G. Esch
Ähnliches geschieht in Arbeiten von Hans Georg Esch. Der Architekturfotograf richtet den geschulten Blick auf die Stein gewordenen Stadtinszenierungen weltweit. Sein Zyklus Megacities könnte sich in der Bloßstellung und ästhetischen Denunziation seiner Sujets erschöpfen und als Fundamentalkritik an der Unwirtlichkeit unserer Städte, der weltweiten Mega-Städte zumal, dienen. Wer das so sehen will, der kann das tun, die Bilder geben dies durch ihre scheinbar dokumentarische Genauigkeit durchaus her. Für diese Erkenntnis bedürfte es jedoch nicht dieser Bilder, was eher gegen die platte Erkenntnis als gegen die Bilder spricht. 

Megacities entstand in Hongkong, Shanghai, Dubai und Chicago. Sie zeigen Panoramen dieser Riesenstädte, die sich dabei im klassischen Prunk und Glitzer der Metropolen zeigen. Und dennoch ist es keine langweilige Zimmertapete, die da präsentiert wird. Es scheint so, als erweitere das Panoramaformat auch den Blick und zeige, dass der Ausschnitt daraus nicht trügt, dass Millionen von Menschen ihre Wohn- um Arbeitsstätten und -Städte so gestalten können, dass sie in der Draufsicht das Bild von Harmonie und Gigantismus, von Schattierungen und Funkeln ergeben.
Diese Bilder lügen nicht, denn sie leugnen an keiner Stelle die Möglichkeit, dass die Ansicht unter dem sozialen Vergrösserungsglas eine andere Sichtweise ergäben. Wieviel Energie und Geld jedoch in diese Bauten, diese Städte investiert wird, um am Ende im globalen Wettlauf ganz vorne zu landen, ist schlicht beeindruckend, wenn nicht sogar überwältigend. 
In der Quasi-Halbtotalen zeigt sich dieser Effekt denn auch ansatzweise. In großformatigen Ausschnitten zeigt Esch Häuserfronten, Büros, Wohnungen in den Cities. Und spätestens beim Betrachten dieser Bilder beginnt die Suche nach dem Menschen, der in den Megacities fast vergessen war.

Die Häuserfronten bestehen zum großen Teil aus Fensterflächen, hinter denen sich ein reges Arbeits- und Privatleben vermuten lässt. Hier beginnt dann der moderne Citymythos, die städtischen Legenden, die Midnight Serenades und Night Moves, von denen die Popkultur so übervoll ist. Aber auch hier werden keine weiteren Hinweise gegeben, keine weiteren Szenarien angedeutet, keine tragischen Weiterungen angekündigt. Man sitzt vor diesen Bildern und staunt bis man beginnt, genauer hinzuschauen und Hinweise auf das Leben hinter diesen Fassaden zu suchen. Man konnte diese Art der Fotografie auch kalt und seelenlos nennen, weil kein einsamer Mensch am Fenster steht (wie Floriane de Lassee es zeigt), weil es ein reines Herzeigen des Offensichtlichen zu sein scheint. Dennoch beginnt der innere Film des Betrachters zu laufen und die Geschichten zu den Bildern stellen sich ganz von selbst ein. 
http://www.hgesch.de/free-works/megacities/
http://www.lumas.de/pictures/hg_esch/hong_kong_05-1/
Jörg Maxzin
Welche Möglichkeiten mit moderner Fotografie bestehen, den Menschen zu inszenieren, zeigen Arbeiten von Jörg Maxzin. Der 47jährige Augsburger wechselt gewissermaßen die Perspektive und stellt den Menschen in den Mittelpunkt seiner Arbeiten. Jedoch belässt er es nicht dabei, Menschen zu porträtieren oder in typischen Situationen irgendwo auf der Welt zu zeigen. Maxzin stellt seine Menschen, nachdem er sie zu Schattenrissen und schemenhaften Schattenwesen verfremdet hat, in allgemein übliche Situationen, ohne sie real zu verorten. Diesen Menschen ist in der Hauptsache die Sekunde der Darstellung geblieben, kein Ort, kein Irgendwo, nirgends. Die Menschen bewegen sich in der Menge, sind im Transit, reisen an, reisen ab, bilden Gruppen beim Lounging und bleiben dem Betrachter völlig fremd. Und auch umgekehrt scheint dies zu funktionieren, weil es kaum eine echte Identifikation mit diesen Schemenmenschen geben kann, die durch ihr Universum reisen wie wir durch unseres.

Es lässt sich so gar nicht sagen, was für Menschen in was für Zusammenhängen dort fotografisch fixiert wurden, um dann in totaler Verfremdung wieder völlig losgelöst von unseren Beurteilungsversuchen ihrer Wege zu gehen. Sind sie unsere Spiegelbilder? Sind wir es selbst, die wir da sehen? Was haben die Fremden mit uns gemein? Woher kommen sie und wohin gehen sie? Sind sie die Bewohner der Megacities? Sie wirken unwirklich, wie Astralleiber, die in einer unwirtlich und fremd wirkenden Zwischenwelt gefangen sind. Auf ewig gezwungen, den Transit zu beginnen und zu Ende zu bringen.
http://www.lumas.de/pictures/joerg_maxzin/umbrellas_v/
Sind sie deshalb eine Warnung? Eine Mahnung? Oder pure Dekoration? Oder nur ein Spiel mit den Möglichkeiten? 

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Spiel der MöglichkeitenModerne Fotografie ist ein Spiel mit ihren Möglichkeiten, wo es gelingt, durchkreuzt sie die Erwartungen und legt Einsichten offen, die bisher verdeckt waren, die so bisher nicht zutage gelegen haben. Die drei hier genannten Meister sind rein zufällig die, die hier genannt werden. Die Recherchen nach den namhaftesten und besten Fotografen dieses Planeten stehen erst an ihrem Anfang. Diese Recherchereise durch das Internet verspricht abenteuerlich zu werden, fremd, exotisch, bizarr, selbst wenn sie Gegenden zeigen, die wir kennen, wenn sie Zusammenhänge zitieren, die uns vertraut zu sein scheinen, und wenn sie Situationen herstellen, in denen wir vielleicht auch einmal waren. Fotografie ist eben nicht die Blaupause zum Verständnis der Wirklichkeit. Fotografie ist ein Instrument der Teilhabe am Blick eines anderen auf die Welt und in die Welt. Sie produziert Erinnerungen, wo keine Erlebnisse waren, sie provoziert Erfahrungen, wo uns nichts berührt hat. Sie gaukelt uns Nähe vor, wo wir mit keinem Schritt versucht haben, die Distanz zu überwinden. Sie deutet an, dass unser Verständnis von der Welt so subjektiv und zufällig wie eine Fotoinstallation ist, nur dass diese geplant werden kann.
Wenn ich malen könnte, würde ich fotografieren.

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