Sonntag, Juli 22, 2012

Folge Deinem Traum - In die Talkshow


Bericht aus dem Abklingbecken des 
deutschen (Talk-)Fernsehens


Die Gründe dafür, warum es zur Zeit der FDP so schlecht geht, werden auf Dauer wohl ein Rätsel bleiben. Egal, was die Demoskopen noch dagegen unternehmen und wie sehr sie sich auch bemühen: Eine schlüssige Begründung gibt es dafür nicht. Zumindest nicht, solange man die Gründe für die Probleme der FDP nicht im aktuellen Führungspersonal sieht. Das mag ja seine eigenen Sorgen haben, aber selbst sie sind selbst als krassest denkbare Fehlbesetzung keine ausreichende Antwort auf die Eingangsfrage. Die Schwierigkeit, eine solch einfache Frage, zu beantworten, erscheint auch deshalb überraschend, weil es doch allenthalben so scheint, als sei endgültig die Epoche der Liberalen angebrochen. Zumindest in den Talkshows der Dritten Programme.



Das verstehen Sie nicht? Wie kann man solche eine steile These aufstellen, wenn doch die Partei bundesweit so hart am Fünf-Prozent-Minimum herumdümpelt? Nun, wer die Medien, Talkshows der Dritten TV-Programme zumal, aufmerksam verfolgt, wer die Botschaften der Filme aus Hollywood sorgsam prüft, wer den Interviews der Berühmtheiten aus allen gesellschaftlichen Schichten intensiv lauscht und die Aussagen in seinem Herzen bewegt, dem fällt nach und nach die Erkenntnis wie Schuppen von den Augen, dass solche Parolen wie "Folge deinem Traum", "Verwirkliche dich selbst", "Suche deine Chance und nutze sie" etc originäre, in der Wolle gefärbte Parolen sind, wie sie in jedem FDP-Wahlprogramm stehen könnten. Leider aber finden sie in der Politik so gar keine Abnehmer. In jeder dem deutschen Fernsehen noch verbliebenen Talkshow kann man TV-Stars oder -Sternchen darüber schwadronieren hören, wie sehr sie doch an ihren persönlichen Traum geglaubt haben und wieviel Kraft ihnen der Kampf für das Gelingen der Pläne wert gewesen ist. Jeder Friseur, der mit seinen Haarkünsten reich geworden ist, führt diesen Erfolg auf die Kraft seines Willens und die unwiderstehliche Dynamik seiner Ideen zurück. Jeder abgehalfterte Schlagersänger weiß, dass es nur der Glaube an sich selbst war, der ihn aus den Schulden und der Vergessenheit zurück geholt hat. Und selbst die jüngsten Mitglieder der Showfamilie meinen zu wissen, dass nur die Zielstrebigkeit ihres Jugendtraumes, eine Tages die Bühnen dieser Welt zu beherrschen, sie zum Sieg im Casting-Wettbewerb geführt hat. 


http://www.fr-online.de/medien/ndr-talk-show-vom-nachzuegler-zum-langlaeufer,1473342,3154598.html
Frankfurter Rundschau, 27.2.2009


Von allen Seiten hallt es mit Nachdruck "Lebe deinen Traum", "Glaub an dich selbst", "Nutze deine Chance." Ein jeder ist seines Glückes Schmied, jeder kann es schaffen, er muss es nur wollen. So besiegt man auch die Arbeitslosigkeit und die Krankheit, man lässt Depression und Versagen hinter sich und triumphiert im Wettstreit, der das Leben ist. Mögen sich auch die Krisen der Welt die Klinke in die Hand geben, mögen auch reihenweise ganze Staaten an ihren Schulden Gefahr laufen, zugrunde zu gehen, mögen die Arbeitsplätze in wichtigen deutschen und europäischen Schlüsselbranchen wieder in Gefahr sein - dem Tüchtigen gehört immer noch die Welt. Ihm liegen die Verhältnisse zu Füßen und die Unwägbarkeiten des Lebens ändern flugs ihre Fliessrichtung, um sich der Energie des einen Träumers anzupassen und die Träume an den Ort ihrer Erfüllung zu tragen. 


Parolen der wild gewordenen Selbstverwirklichung
Kurz gesagt lässt sich feststellen, dass die Parolen der wild gewordenen Selbstverwirklichung um so lauter hinausposaunt werden, je kälter uns der Wind der Konjunkturen und Rezessionen ins Gesicht bläst. Und gleichzeitig wächst die Zahl derer, deren Träume platzen oder auf das Maß des pragmatisch Machbaren zusammenschrumpfen. Gut, auch wenn es vierzig mit 70.000 Fans gefüllte Fußballstadien braucht, um einen einzigen Lottogewinner zu finden, so wird einer am Ende halt doch gefunden. Aber es ist halt statistich gesehen nur einer und das ist angesichts der Gesamtzahl dann doch noch ziemlich wenig. 


Und so ist die Chance, tödlich vom Blitz getroffen zu werden offenkundig kleiner als die Wahrscheinlichkeit, dass die eigenen Träume in Erfüllung gehen? Wahrscheinlich, denn dafür baucht es in der Summe mehr als nur einen Erfolgsfaktor. Und vor allem ist es nicht allein die eigene Tüchtigkeit, die zum Glück verhilft, sondern auch das Zusammenspiel von Bedarf, Zeitpunkt, Qualität und Marktgängigkeit der Idee. Für die Vertreter der zahlreichen ICH-AGs aber liegt völlig offen zutage und ist quasi so unwiderlegbar wie der abendliche Wetterbericht, dass der Tüchtige am Ende siegt, dass der Fleißige die Oberhand behält und der Frühaufsteher alle Trümpfe in der Hand hält. Und so kann diese unwiderstehliche Milchmädchenrechnung weiter ihren Charme verbreiten und ihren Siegeszug fortsetzen.

Die schlechten Zeiten bringen offenbar die Notwendigkeit mit sich, die eigene Überlebensfähigkeit und die Tauglichkeit der eigenen Strategie immer wieder unverzagt ins Schaufenster zu stellen. Je härter die Zeiten, um so lauter das Geschwätz auf dem Markt, um so schriller auch die Selbstbekundungen. Da behauptet ein Schauspieler auf dem Titelbild, sein größter Luxus sei es, auswählen zu können. Eine Sängerin posaunt heraus, sie finde sich selbst schön, eine andere lobt sich für ihren Verkaufserfolg und die segensreiche Vorbildfunktion für all die Schlager-affinen Prekariatsmitglieder, aus denen ihre Fangemeinde besteht. Und dann der nächste Star mit dem nächsten Buch, dem nächsten Film, der nächsten CD. Der Blödsinn geht sogar so weit, dass Schauspieler und Schauspielerinnen als Experten für die Themen ihrer Filme in Gesprächsrunden eingeladen werden. Damit nicht genug: Im Interview muss der interviewte den Interviewer darauf hinweisen, dass es sich doch am Ende nur um einen Film handle, nicht um ein wissenschaftliches Weltrettungsprojekt. Um so peinlicher die berufsmäßigen Entertainer, die ihren Ruhm als Gutmensch und Weltenretter vermarkten möchten. Aber man muss ja nur ganz ganz fest an sich selbst glauben, dann werden Träume wahr und Erfolge stellen sich wie von selbst ein. Fast so wie in der Kindheit, als das Wünschen vor Weihnachten immer und in jedem Fall dafür gesorgt hat, dass unter dem Tannenbaum das Geschenk lag, das man sich seit 12 Monaten wünschte. Diese Erfahrung teilen sich bekanntlich 100 Prozent der deutschen Bevölkerung.


Wer also bisweilen geglaubt hat, er habe sich in eine Live-Übertragung eines FDP-Einführungsseminars für Neu-Mitglieder eingezappt, der muss zur Kenntnis nehmen, dass es sich nur um den vor sich hin talkenden Restbestand an Talk-Shows geht, in denen einsame Talk-Master und -Masterinnen versuchen, dem Ruhm der frühen Jahre hinterher zu moderieren. Dabei sind sie längst zu Instrumenten des Cross-over-Marketings ihrer Sender geworden, haben ihre Funktion als kritische Wegbegleiter der Öffentlichkeit längst verloren, sind nur noch Propagandisten neuer Markenprodukte und im höchstem Masse anfällig für zyklisch wiederkehrende Anfälle organisierter Blamage, wenn sie sich wieder einmal als die uninformierten, mangelhaft gebildeten Kartenableser entpuppen, die sie in den allermeisten Fällen nun mal sind. 


Mögen die Zeiten auch noch so hart werden, die talkenden Selbsterfahrungs-gruppen werden ihren auf Dauermodus geschalteten Redefluss auf absehbare Zeit nicht stoppen wollen. Und so werden wir uns auch in den nächsten Jahrzehnten, arme hilflose Zielgruppe, die wir nun mal sind, von diesen dürftigen Angeboten berieseln lassen müssen, bis uns die nachlassende Kraft unserer Sinnesorgane davon peu a peu befreien wird. Und das ist bei soviel "Du-schaffst-das-wenn-du-es-nur-wirklich-willst-Gerede" der bessere Teil der Nachricht. Immer noch besser, als massenhaft in die FDP eintreten zu müssen. Aber halt, man weiß ja nie. Und die Gespräche sollen dort auch besser sein. Schau'n mer ma.

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