Donnerstag, Juli 12, 2012

Die Kunst der Frage - "Und? Antworten bekommen?"


Fragen, Zweifel, Fragen - Vom Sand im Getriebe

Es gibt Tage, an denen freut man sich, lesen gelernt zu haben. Es gibt Gelegenheiten, da erinnert man sich sogar, warum man einmal lesen gelernt hat. Und es gibt Momente, da lohnt es sich, in jungen Jahren lesen gelernt zu haben. Dies alles noch viel mehr kann einem gelegentlich durch den Kopf gehen, wenn man endlich endlich einmal wieder auf ein Lesestück trifft, das des Lesens tatsächlich Wert ist. Gemeint ist heute ein Essay des Berliner Rechtsanwaltes und Schriftstellers Ferdinand von Schirach im SPIEGEL vom 9.7. 

Unter der banalen Frage in der Überschrift "Verstehen Sie das alles noch?" schafft er es, eine ganze Seite des SPIEGEL nur mit "Fragen an die Wirklichkeit" zu füllen. Dabei kann einem klar werden, wie schön, wie schlicht und schön, die rhetorische Figur der Frage ist. Wie rasch eine einfache Frage die errungenen Gewissheiten ins Wanken bringt, wie beiläufig eine Frage vom scheinbaren Niveau eines Kindes die hochtrabende Antwort decouvrieren kann, wie nah Erhabenes und Lächerliches bekanntermaßen bei einander liegen. Warum das schön ist? Ganz einfach, diese Ansammlung von Fragen ist schön, weil sie durch ihre Verschiedenheit an Themen und Niveau, an Verstellung und Vorstellung, an Hinterlist und Klugheit deutlich mehr zu bieten hat als das Kulissendonnern der einfachen Wahrheiten und Aussagen. Dabei ist völlig unerheblich, zumindest für mein Ausmaß an Freude daran, ob Schirach dies beabsichtigt hat oder nicht. Sein Text, seine Fragensammlung ist in der Welt und somit fertig für den Konsum und die Anwendung bei allen Fragen und Problemen der Wirklichkeit. 

Clownerie und Sarkasmus 
Provokant und provokativ wechselt der Fragenkatalog zwischen Clownerie und Sarkasmus, zwischen fröhlicher Veralberung und bösem Protest. Und gewinnt damit eine Leichtigkeit, die ihn über der befragten Wirklichkeit schweben lässt und aus der Vogelperspektive gewissermaßen den nötigen Abstand gewinnt, um das Erhabene vom Lächerlichen unterscheiden zu können. Obendrein ist die Pose des Fragenden natürlich auch der willkommene Schutz vor der Gegenfrage des genervten Befragten "Was bezwecken Sie eigentlich mit dieser Art der Fragerei?" Gut, das ist nicht wirklich neu als selbst zugewiesene Rolle im Diskurs, aber es wirft ein helles Licht auf die Kakophonie der eindeutigen Aussagen und Feststellungen, die bewusst darauf setzt, dass ihre Halbwertzeit niemanden interessiert. Die Mischung aus kommerzieller Informationsdienstleistung in den Medien und politisch motiviertem Propaganda- Sprech der Politiker-Kaste jeder Couleur und jeder Hierarchiestufe führt zu einem allgegenwärtigen Rauschen, das angeblich die Menschen überfordert. Und schon dient man dem informations-gestressten Mitbürger eine weitere Erklärung des Erklärten an, noch eine Themenstellung, noch ein Brennpunkt, noch mehr "Informationen auf unserer Webseite", und noch eine Information über die Information zur Information. Und wenn die Herren Chefredakteure, Intendanten, Parteichefs und Fraktionsvorsitzenden einmal innehalten und um sich schauen, ob denn das Kauf- und Wahlvolk ihnen noch folgt, stellen sie allenthalben Informationsüberflutung und Politikverdrossenheit fest. Und wie reagieren sie darauf? Eben, genau so. 

In Talkshows und Fragerunden hat man es geschafft, die Kraft der Frage, die Macht von Rede und Gegenrede auf ein Niveau herunter zu wirtschaften, dass die Redaktionen Diskurs-Konfektionsware produzieren und uns, den Zuschauer/Hörer/ Leser zu Tode amüsieren. Die Kunst der Frage setzt etwas voraus, was dem allgemeinen Wohlgefühl unserer "glückssüchtigen Gesellschaft" sehr zuwider läuft: Zweifel. Zweifel als Unsicherheit über den richtigen Weg, als Misstrauen den einfachen Lösungen gegenüber, als Drang, es genau wissen zu wollen, um es richtig zu machen. Zweifel aber stört die Routine der professionellen Selbstvergewisserer, stört den reibungslosen Ablauf, hindert an der notwendigen Effizienz. Es gibt durchaus verschiedene Wege, dem Zweifel aus dem Wege zu gehen. Der zynischste ist der Opportunismus, der dem Volke nach dem Munde redet und eindeutigen Entscheidungen aus dem Wege geht. Dies vermeidet den direkten Austausch, die direkte Konfrontation und den demokratischen Wettstreit um das beste Argument. Diese Form der Regierungsarbeit ist durchaus mehrheitsfähig, keine Frage, aber ist sie noch das, was wir uns vom demokratischen Prozess erhoffen? Nein, natürlich nicht. Aber es passt in eine konsenssüchtige Zeit, in der Diskussionen nicht wirklich ausgetragen werden dürfen, sondern durch Verhandlungen und Deals ersetzt werden. Seltsamerweise wird der Trick, sich immer nur von den Gegebenheiten zu Entscheidungen bringen zu lassen und auf keinen Fall eine eigene Vorstellung von dem, was richtig ist, honoriert und am Ende gar als Geschick und Pragmatismus verklärt. Dabei hatte diese Attitüde der Alt-Kanzler Schmidt einst schon für sich reklamiert. 

"Wie war noch mal die Frage?" 
Zurück zum Zweifel. Oder wie weitschweifige Talkshow Gäste gern sagen "Wie war noch mal die Frage?" Die Frage könnte lauten, wollen wir uns noch mit einander austauschen? Wollen wir uns auf Dauer mit den ewig gleichen Tatsachenbehauptungen zufriedenstellen lassen? Wollen wir uns interessieren für das ganz Andere, den Gegenentwurf, die neue Idee, die völlig andere Antwort auf dieselbe Frage? Es ist ja leider nicht so, dass oppositionelle und beratende Kräfte in der Politik, egal wie legitimiert und wie hoch ihr Durchschnittsalter sein mag, Piraten, Wutbürger, Occupy, Attac, Lobbyisten, auf den Diskurs setzen, sondern auf Durchsetzungskraft, auf Obstruktion oder schlicht Klientel- und Interessenpolitik. Fragen und Zweifel stören da nur. 

Ferdinand von Schirach hat mit seinem Frageessay das ganze Gebäude mal eben so auf die Schnelle in Frage gestellt und offenes Gelände erreicht, auf dem nun trefflich streiten wäre. Ähnlich wirksam ist vielleicht noch die Rubrik der Frankfurter Sonntagszeitung, in der gefragt wird, wer oder was künftig noch eine Rolle spielen soll. Zwar sagt eine alte Journalistenregel " Ironie kommt nie", aber wie meist im Leben, kommt man hier auch weiter, wenn man die Regel bricht. Es ist halt eine Frage der Haltung, eine Frage des Respekts angesichts der überdimensional großen Probleme, vor denen wir gegenwärtig stehen und die sich einfach nicht lösen lassen wollen. Kurz und gut, die richtigen Fragen stellen zu können, ist eine Leistung, und sie zur rechten Zeit anzubringen, ist klug. Man besinne sich doch bitte auf die Tugend, dem anderen durch Fragen den nötigen Respekt zu erweisen. Machen wir also mit Herrn von Schirach den Anfang und fragen ihn: "Und? Antworten bekommen?"

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