Samstag, Juni 02, 2012

Der Laie in der Ausstellung - ratlos?


Fotos: Karin Junge/pixelio
Wer sich in diesen Tagen in eine Diskussion über Kunst, ihre Bedeutung und Deutung begeben möchte, der läuft Gefahr, sich auf vermintes, gefährliches Gelände zu begeben. Traditionsgemäß zählt der gesamte Wissens- und Themenbereich rund um Kunst und Kultur zu den maximal partytauglichen Small-TalkThemenn, bei denen einerseits nichts zu gewinnen ist und andererseits sich unter Umständen ganze Karrieren entscheiden können. 

Was Volkesmeinung wäre...

Volksmeinung zu diesem Thema ist verhältnismäßig einfach gebaut und rasch recherchiert: Kunst ist Geschmackssache, ergo auch so etwas wie Privatsache, die jedem einzelnen selbst gehört und quasi unantastbar zur Grundausstattung des Bürgers und Menschen gehört. Dieser Geschmack ist demnach in der Hauptsache etwas von Anlage und Talent, so dass es erlaubt scheint, sich der Meinungsbildung auch einmal komplett zu enthalten, ohne einen Gesichtsverlust zu riskieren.

Die ambitionierteren Zeitgenossen aber, solche die beispielsweise leidenschaftlich gern Musicals in den einschlägigen Etablissements landauf-landab besuchen und keine in der Nähe verpassen, diese Zeitgenossen wissen schon, dass zur Meinungsbildung ein gewisses Maß an Kenntnis und Auseinandersetzung, sprich Interesse und Bemühen um das Thema vonnöten ist, um sich eine Meinung zu bilden. Gut, wer da über Zeitungs- und Zeitschriftenabonnenments mit integriertem Feuilleton verfügt. Der nämlich kann gewissermaßen vor denken lassen und sich verschiedene Ansätze zur Auswahl vorlegen lassen. Hier verhilft dann über die zeit eine gewisse Routine dabei, Denk- und Sprachregelungen kennenzulernen und sich anzueignen, damit von zeit zu zeit auch einmal eine gut ausgewogene sowohl-Als auch-Meinungsäußerung dabei herauskommt. Damit kann man im Zweifel das erste Getränk beim Stehempfang rhetorisch überstehen.

Die dritte Gruppe kann auf eine ausgeschriebene Meinung ruhigen Wissens verzichten, da man qua gesellschaftlicher Stellung gar nicht in den Niederungen des Small Talks verweilen muss, sondern dort als Meinungsführer über Intensität, Ziel und Richtung des Gesprächs entscheiden kann. Auch zehrt man von persönlichen Begegnungen mit Künstlern und Wissenschaftlern von Rang, so dass auch auf diesem Weg quasi durch Osmose und Abglanz ein fundiertes Meinungsbild ersetzt wird. 

.... die Experten

Demgegenüber stehen die geschulten, ausgebildeten und trainierten Experten, Kunsttreibende, Mäzene, Vereinsvorsitzende und lehrende, schreibende Alles- Deuter, Macher und Kreative, Künstler des Werkes und/oder des Wortes. In diesen Kreisen entstehen die Werke, die Ausstellungen, die Aufführungen, die Rezensionen und Kritiken. Hier hat der interessierte Laie und der leidenschaftliche Dilettant nichts zu suchen, die bewähren sich allenfalls als Gruppen der Verehrer und Freunde, der Unterstützer und Bewahrer. 

Kunst, so lernt der Laie recht bald, ist etwas für Spezialisten, für Kenner, für Menschen mit profunder Bildung über dreitausend Jahre Kunst- und Kulturgeschichte, die sich den Zutritt in die höchsten Stufen der Deuter-, Versteher- und Macherebene hart erarbeitet haben und auf unzähligen Stufen der Entwicklung alles gelernt haben, was dazu dient, dem inneren Zirkel der Eingeweihten, der Illuminati, anzugehören. 

Für den Laien, egal Mitglied der ersten, zweiten oder dritten Kompetenzklasse (siehe oben), ergibt sich das Problem, dass die kleine Gruppe der Kenner sowohl sinnbildlich wie auch tatsächlich zwischen ihnen und den Hervorbringungen der Künstler stehen. Zum einen Wirtinnen so die klare Sicht versperrt und zum anderen die möglichst verstellt, zu einem eigenen Urteil über Qualität und Bedeutung eines Werkes zu kommen. Immer wieder übertönt das Brausen der Experten das angestrengte Nachdenken des Laien und stört die Konzentration auf das eigene denken. Statt dessen werden in zahllosen Publikationen noch zahllosere Interpretationen angeboten, rasch ergeben sich im Kreise der Experten Streitpunkte und Diskussionsansätze, die das brave Bemühen um Verstehen und Aneignung konterkarieren und beiseite schieben möchten. 

Zur Ehrenrettung der Kunstlaien darf darauf hingewiesen werden, dass das Feuilleton grundsätzlich gerne Gefahr läuft, von einem Phänomen heimgesucht zu werden, das sich dadurch auszeichnet, einerseits den Insider-Code zu benutzen und andererseits nur den Insider als Empfänger der Nachricht im Auge zu haben. Dabei entsteht schon mal das seltsame Phänomen, dass eine öffentliche Kunstpräsentation Gefahr läuft, die Öffentlichkeit mit ihren Bedürfnissen und Voraussetzungen einfach außen vor zu lassen. Kunst interessiert zwar breite Schichten vom Laien bis zum Experten, aber sie stiftet  dann keine Verbindung zwischen den Gruppen, beziehungsweise die Gruppe der Experten hält den Diskurs auf seiner Ebene und überlässt es den anderen, sich selbst um den Anschluss an den fahrenden Meinungszug zu bemühen. 

Redundanz und Stichwortgeber

Die Diskussion in der Gruppe der Laien bezieht sich dann weniger auf eigene Erkenntnisse und Einschätzungen, sondern auf die Intensität und Qualität des jeweils eigenen Zugangs zu den Diskussionszirkeln und deren Ergebnissen der höheren Kompetenzebene. Der Laie wird demzufolge damit konfrontiert, dass er sich außer Stande sieht, sich ein Kunstwerk oder gar eine Ausstellung eigenständig zu erschließen. Die Interpretationsansätze treten dann fast gleichwertig neben das Kunstwerk und produzieren ihrerseits eine eigene Bedeutungsebene, die entschlüsselt und verstanden gehört. Und damit wird die Kunst im Prinzip überflüssig, oder aber reduziert ihren Sinn auf eine redundante Funktion als Stichwortgeber für eine Debatte über die ihm innewohnenden Kräfte und Zeichen, die außerhalb ihres Wirkungskreises stattfindet.

Der Laie, der Besucher, der Gast aber ist so nur wieder ein weiteres Mal ins Abseits gelaufen und gesteht am Ende seine Unfähigkeit, mit einem (Kunst)Produkt umzugehen, das ihm doch eigentlich aus eigener Kraft etwas über die Welt, das Leben und die Menschen sagen wollte, als der Künstler es schuf. Das Kunstwerk entzieht sich scheinbar oder vielleicht auch tatsächlich dem Kontext, aus dem es stammt und von dem es berichten wollte, kritisch oder affirmativ, und macht sich selbst bestenfalls stumm. Oder wird schlimmstenfalls Stumm gemacht. Kunst aber, die nicht zu ihrem Betrachter spricht, hat ihr Ziel und ihre Leistungspotenziale verfehlt. Der Gang durch eine solche Ausstellung ähnelt dem Besuch im Supermarkt in der City, irgendwo auf der Welt. Und bietet genauso viele Erkenntnisse über den Geist der Zeit. 


Anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung.

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