Sonntag, Mai 20, 2012

Too old to rock, too young to die?!


Wrinkle wrinkle little star...


Als Johnny Cash 2003 posthum einen Grammy für das beste Musikvideo seines Songs "Hurt" bekam, dürfte es nicht wenige Musikinteressierte gegeben haben, die nur fragen konnten „Johnny wer?“ Besser Informierte werden sich gefragt haben, warum ein Countrysänger plötzlich eine derartige Beachtung außerhalb seiner Szene erhielt. Wieder andere werden sich darüber gewundert haben, dass dieses Spätwerk so ganz anders klang, als die Hits, die man von ihm noch im Ohr hatte. Kenner der Szene dürfte vollends die Passage in Bob Dylans Autobiographie „Chronicles“ überrascht haben, in der er sich über Cashs ersten Hit aus den 50ern derart bewundernd und euphorisch äußert, dass man nicht anders kann, als sich „I walk the line“ daraufhin noch einmal genauer anzuhören. 


Teamwork der Großen


Da hat einer der ganz Großen der Geschichte der populären Musik, Dylan, sich über einen zweiten, Cash, geäußert, der scheinbar nichts mit ihm zu tun hat. Völlig vergessen dürfte dabei bei den meist Jüngeren sein, dass es zu Dylans Rebellion gegen das Rockmusikestablishment der 60er gehört hatte, gemeinsam mit Johnny Cash, dem vorgeblichen Vertreter des konservativen Redneck-Amerikas, eine Platte zu machen, „Nashville Skyline.“ Und noch heute dürfen nicht alle Dylan-Kenner auf diese Phase im Werk des Meisters angesprochen werden, weil sie zu einer der musikalisch nicht korrekten Phasen seines Schaffens gezählt wird.
Dennoch ist gerade Dylan ein Beispiel dafür, wie völlig vorurteilsfrei, nur auf die Kraft des musikalischen Ausdrucks und der Virtuosität die Großen der Szene miteinander umgehen und umgingen. Gerade Dylan hat in seiner Karriere mit allen gearbeitet, die ihm etwas zu sagen hatten, er hat mit ihnen gejamt und ist als Gast aufgetreten oder hat sie zu sich eingeladen. Die Liste der musikalischen Freunde Dylans reicht daher von Cash über Cohen und Springsteen und B. B. King bis zu den Rappern der Ostküste. Es ist faszinierend, wie Dylan sich einzig auf die Qualität und das können des Künstlers konzentriert, der ihm dabei helfen soll, seine musikalischen Ziele zu erreichen.

60 Jahre nachdem Bill Haley mit „Rock around the clock“ oder Gene Vincent laut und vernehmlich eine neue Ära der populären Musik einläuteten, ist diese erkennbar in die Jahre gekommen und fremdelt ein wenig in den modernen Zeiten. Zumindest, was die zahllosen Veränderungen auf der Businessseite angehen. Filesharing, Youtube, Amazon, Downloads, Prepal, Copyright und so weiter und so fort - das Business ist in Bewegung geraten und hat sich in seinen Möglichkeiten, den Fan, der mehr und mehr zum Endverbraucher und Konsumenten wurde, zu erreichen, revolutionär gewandelt.
Dabei haben alle, die Anfang der 70er Jahre schon mit der Erfindung des Tonbands, beziehungsweise des Cassettenrekorders und Jahre später mit dem Walkman aufwuchsen, daran aktiv mitgearbeitet, dass Musik nicht nur exklusiv den Käufern der Platten zur Verfügung stand, sondern auch den vielen anderen, die anderes besaßen und teilen konnten. Die zahllosen Geschichten über die selbst zusammengestellten Bänder, die man verschenkte, die man dem verehrten Mädchen zusteckte und die man für die Keller- und Garagenparties mixte, erzählen davon. Das, was Jahrzehnte später im Internet Gang und Gebe ist, ist die Vollendung dieser Entwicklung und wir stehen genießerisch dabei und nutzen die neuen Möglichkeiten gerne.

Was sich in all der Zeit so gar nicht geändert hat, ist der entscheidende Ausgangspunkt allen dessen: Der Anspruch an die Musik, mitreißend und überzeugend gut zu sein, aussagefähig und tanzbar. Die Vertriebsmöglichkeiten entscheiden nach wie vor nicht allein über den Erfolg eines Musikers, das zeigen die zahllosen Casting-Sendungen des Fernsehens, deren Ergebnisse wie Sternschnuppen verglühen, sobald sie mit der Realität in Berührung kommen. Diese Realität ist gnadenlos, sie fordert die ganze Hingabe des Künstlers, sie verlangt von ihm Originalität und Ausdruckskraft, sie will von ihm erfahren, welche neuen Ideen er mitbringt und an welcher Stelle er die Grenzen des Bekannten verschieben möchte. Wer diesen Anforderungen nicht oder nur kurzzeitig genügt, wird bald vergessen und dies zu recht. Zahllose One-Hit-Wonder bezeugen dies.

Kann man aber in diesem Business und mit diesem Business, mit den unglaublich anspruchsvollen Fans, den kenntnisreichen und erinnerungsstarken Hörern, den Enzyklopädisten unter ihnen, denen mit dem fotografischen Gedächtnis und absolutem Gehör für jedes ungewöhnliche Lick und jeden starken Beat, so ohne Weiteres weitermachen, immer weitermachen? Verträgt sich das graue Haar der Stars und ihre faltenreiche Physiognomie mit dem Forever-Young-Anspruch der Gemeinde? Um eine kurze, schnelle Antwort zu geben: Ja, natürlich kann man alt werden und überzeugend Pop- und Rockmusik machen. Die Beispiele dafür sind zahlreich, ob man da an die Rolling Stones denkt, Dylan, Tom Jones, Johnny Cash, Udo Lindenberg, Wolfgang Niedecken, Bruce Springsteen und viele andere mehr, die immer noch oder wieder ihren vitalen Beitrag für eine interessant und vor allem wichtig bleibende Musik bringen.

Alternde Songs

Auffällig ist dabei eher, dass manche der Songs, die die Stars eines Tages einmal bekannt gemacht haben, diesen Alterungsprozess nicht erfolgreich überstanden haben. Wenn Bob Dylan im White Hose „The times they are a-changing“ zum Besten gibt, ist dies ein Anachronismus der gröberen Sorte. Wenn die Stones wieder und wieder „Satisfaction“ bringen, ist dies das Unvermögen einzusehen, dass diese Aussage eher grotesk wirkt als mobilisierend. Pete Townsend noch einmal „We won't get fooled again“ singen zu hören, geht nicht, ohne daran zu denken, wie es der Aufbruchsbewegung der 60er/70er Jahre tatsächlich ergangen ist. Und die Punksongs der Sex Pistole & Co wirken heute nur noch bizarr, ebenso wie die Disco-Smash Hits der Bee Gees und „Saturday Night Fever.“ Madonna führt gerade ja erfolgreich vor, wie es wirkt, wenn man sich nicht wirklich weiter entwickeln möchte, sondern nur noch an seinem Markenkern klebt wie eine koffeinhaltige Brause. 

Songs können altern, Songs können, wenn sie aus ihrem ursprünglichen Entstehungskontext gelöst werden, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, Songs können dann altern, welken, aus der Zeit fallen. Sie taugen dann bestenfalls noch dazu, Teil einer Nostalgierevue zu sein, Hintergrundmusik einer Geschichte, die zu Ende erzählt ist, die schon ihre Fortsetzung anderswo gefunden hat.

Mag auch sein, dass die Interpreten, die solche Songs einst berühmt gemacht haben, ihren Songs nicht mehr gut tun. Einem in die Jahre gekommenen Musiker nimmt man den ewigen Revoluzzer oder Stenz nicht mehr ab, der Zuhörer hat seine Erfahrungen mit dem Song und rund um ihn herum gemacht, so dass er möglicherweise ihm und seinen Aussagen entwachsen ist. Immerhin teilt er mit dem Musiker, dass er auch in die Jahre gekommen ist und wesentliche Abschnitte seiner Lebenszeit mit diesen Songs gelebt hat.

Und doch: Die Message

Die populäre Musik, Pop und Rock, sind in die Jahre gekommen und müssen sich gefallen lassen, nach ihrer Relevanz befragt zu werden. In den 60er und 70er Jahren war die Message eines Songs, eines Albums von ganz wesentlicher Bedeutung. Die Message oder das, was man dafür hielt, textunsicher wie man als lauschender Pennäler war. Diese Anforderung wurde später im Hip Hop oder Rap zur Credibility umgedichtet, während populäre Musik in der Hauptsache die kommerziell erfolgreichen Billboard-Chartstürmer nach dem Motto „I wanna dance with somebody“ waren. Und im Hintergrund immer der Altmeister Dylan als musikalisches Amalgam der Stile und Aussagen.

Heute zeigen uns andere Altmeister, was es bedeutet, mit den Mitteln der Pop- und Rockmusik eine Musik zu machen, die über ihren Abschlussball-Zweck hinausgehen will und Bedeutung beanspruchen kann. Überraschend ist dabei, mit welcher Grandezza sich alte Recken wie Tom Jones, Glen Campbell oder Johnny Cash der Kompositionen weit jüngerer Musiker bedienen, um sich Gehör zu verschaffen. Oder wie Springsteen es schafft, sich zu den politischen Zuständen im reichsten Land der Erde zu äußern, ohne zu agitieren oder zur Wahl aufzurufen. Oder wie Neil Young es schafft, Erfahrungen der persönlicheren Art so in Musik und Wort zu übersetzen, dass man ihnen zuhören kann, ohne von Peinlichkeitsschauern überrollt zu werden. Bob Dylan genießt den Luxus, in seinem unübersehbaren Fundus an Songs und Texten immer wieder Perlen zu entdecken und in der Zusammenarbeit mit jüngeren Produzenten aus seinem neueren Werk Funken zu schlagen. 


Tanz im Basement – Fragen im Tower of Song

Interessant ist, wie sich weltanschaulich und textlich der Kreis zu schließen scheint. Dem rebellischen Aufbruch und dem „I want it all and I want it now“-Anspruch der Jugend halten die alt und weise gewordenen Sänger nun den Spiegel ihrer Erfahrungen vor. Sie berichten davon, was ihnen auf dem Weg geschehen ist, wie sie mit dem Schwung und der Arroganz der Jugend tausende Dinge ausprobierten und oft aus der Kurve getragen wurden. Und man erfährt ansatzweise, wie der Film weiter ging, als er mit „I give you all my heart“ begann und nach drei Minuten ausgeblendet wurde. Springsteen hat das schon früh mit „The River“ vorgemacht, als er die Geschichte einer Jugendliebe mit der Schwierigkeit kontrastierte, in harten Zeiten die Familie durchzubringen. Er war es auch, der in der Rastlosigkeit der Jugend und der ziellosen Sehnsucht nach einem anderen Leben, irgendwo mit jemand anderem als denen, die man gerade kannte, Ursache und Wirkung des Scheiterns erkannte. Klugerweise bot er keine Auswege an, nicht Familienglück, nicht Eigenheim, nicht Erfolg, sondern schilderte aus der Perspektive des unzufriedenen Jungen, die engen Entscheidungsspielräume, in denen sich das Leben in New Jersey oder Castrop-Rauxel wirklich abspielt.

Als eine der Quintessenzen seiner Songs bekannte er dann, er sei immer noch beschäftigt, „working on a dream“ oder „taking care of his own.“ Johnny Cash, der man in black, der als Konservativer gegen Krieg und Ungerechtigkeit aufstand, der die ragged old flag der Union besang und als Highway Man wiedergeboren werden wollte, wusste am Ende, dass die Reise noch nicht zu Ende war und die Wahrheit immer noch „further on up the road“ lag. Tom Jones, der Tiger, der Las Vegas Entertainer von höchsten Graden, singt nun von der „Burning hell“ und fragt sich mit Bob Dylan „What good am I?“ Und er stellt die Frage aller Fragen „If I give my Soul would she take me back again?"

Pop und Rock sind in die Jahre gekommen, ja, aber es steht ihnen gut. Wenn im Basement die Jugend tanzt und Party macht, bleiben die Alten in ihrem Tower of Song, hoch oben, wo laut Leonard Cohen der alte Hank Williams haust und sich weigert, Fragen zu beantworten. 

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