Sonntag, März 11, 2012

Wenn Worte ihre Sprache wären

Anmerkungen zur Sprachlosigkeit neuerer Popsongs

Wenn Bruce Springsteen, in der Rock-Szene auch als The Boss bekannt, alle Jahre wieder eine Platte veröffentlicht, kann es sein, dass die Feuilletons in Wallung geraten, um den neuesten Kommentar des Boss zum (amerikanischen) Zeitgeschehen zu kommentieren. Seine neueste CD trägt den schönen Titel Wrecking Ball, was eine Menge davon andeutet, was Springsteen über Amerika und seinen derzeitigen Zustand zu sagen hat. Der Altmeister ist damit gar nicht zufrieden und es bringt ihn auf die Palme, was er tagtäglich erleben und beobachten muss. 

Während der Boss also die Gründe für die gegenwärtige Krise musikalisch analysiert, während zur selben Zeit die Occupy- und Anonymous-Bewegung Sturm gegen die Politik und die Krise weltweit läuft, wahrend die schon auf St. Nimmerlein vertagt geglaubte Schuldenkrise der letzten 25 Jahre Europa einholt, ist es an der Pop- und Rock-Front in Deutschland merkwürdig ruhig.
Gerade hat Udo Lindenberg mit einem Live-Album aus seinem Wohnhotel die Charts erobert. Ein Live-Album, das einer Best of-Zusammenstellung näher kommt als einem originären neuen Werk und das mit seiner grundliberalen Einstellung auch zu Wahlkampfzwecken für die FDP genutzt werden könnte. Die anderen Altmeister Grönemeyer, Maffay und Westernhagen liefern hörbare Dutzendware ab. In deren Schatten und aus dem Schatten der anderen neuen Großmeister wie Element of Crime, Kettcar oder Selig heraus hat sich eine neue Generation von Musikern entwickelt, die am laufenden Meter Erfolge feiert. Eine Generation von Musikern, die anders klingen als die Alten, die einen neuen Ton anstimmen und sich gänzlich anders präsentieren.

Innerlich und weltabgewandt
Wer Musik nicht nur als künstlerisches Phänomen betrachtet, sondern auch als soziales, als Ausdruck bestimmter Konventionen der Gegenwartsgesellschaft versteht, der kann sich nur wundern, wie innerlich und weltabgewandt diese neue Unterhaltungsmusik daher kommt. Fast schon programmatisch ist da die Behauptung des 23jährigen Tim Bendzko, der feststellt, dass "Worte nicht seine Sprache sind.

Mir fehlen die Worte, ich
Hab' die Worte nicht,
Dir zu sagen, was ich fühl'.
Ich bin ohne Worte, ich
Finde die Worte nicht.

Und so geht es weiter und er wiederholt sich und macht weiter mit

Ich hab keine Worte für dich.
Wenn Worte meine Sprache wären,
Ich hätt' dir schon gesagt,
Wie gern ich an deiner Seite wär',
Denn du bist alles, alles, was ich hab'.

http://www.timbendzko.de/  Die Website von Tim Bendzko


Kaum hat er es also im Lied gesagt, nimmt er es schon wieder zurück und kann nicht verstehen, dass Missverständnisse entstehen:

Ich kann verstehen, dass es dir nicht leicht fällt,
Du kannst nicht hinter die Mauer sehen.
Aber ich begreife nicht, dass es dich so kalt lässt.
Dir könnt' der Himmel auf Erden entgehen.

Ist dies ein Wortspiel um des Wortspiels willen? Kommt der Texter nach diesem Gag nicht mehr aus der Textroute heraus und verfolgt deshalb seine Spur, wobei er immer und immer wieder beteuert, seinem Gegenstand, nämlich der Liebe zu seiner Frau oder Freundin sprachlich und begrifflich nicht gewachsen zu sein? 
Darin drückt sich eine gewisse organisierte Naivität und Hilflosigkeit aus, die die fatale Neigung hat, sich in sich selbst zu drehen und den Ausgang nicht zu finden. Und so dreht sich der Song am Ende im Leeren, ohne das Spiel mit der Hilflosigkeit aufzulösen. Die Konstruktion, als sprachloser Sänger und Dichter dazustehen, zeitigt am Ende kein anderes Ergebnis als dass der Sänger nicht aus der selbst gewählten Drehung nicht herausfindet.

Die Hannoveraner Band Hausboot dagegen, variiert das Thema der sprachlosen Sprache mit der Beteuerung, dass es nicht 

schwer wäre, dir zu sagen, wie schön du bist, 
wenn damit nicht alles verloren wäre.

Hier reihen sich einige Feststellungen an einander, die alle am Ende aufgehoben werden, weil die Gefahr besteht, alles zu verlieren, wenn der Wunsch in Erfüllung ginge. Ein Gegensatz, eine Erklärung für die Schwierigkeit, etwas so Einfaches auszusprechen, wird geliefert, was der ursprünglichen Aussage eine schlichte nachvollziehbare Tiefe verleiht, die dem Bendzko-Text fehlt. 

http://www.youtube.com/watch?v=IvfhlmwFav4  
Hausboot - Wär' nicht schwer

Hausboot, eine Kooperation von Heiner Lürig und Timo Eisenbrenner, bemüht sich wie alle anderen aktuellen Texter und Komponisten um neue Sprachbilder, ungewöhnliche Kombinationen und originelle Wortspiele, verliert dabei aber nicht die Story, den lyrischen roten Faden aus dem Blick. Und so kann die erzählte Geschichte immer wieder eine Wendung nehmen, kommt an ihr Ende und ergibt - einfach gesagt - einen Sinn. 

Storytelling passé
Diese Art von Storytelling ist in vielen deutschen Songs offenbar gar nicht das Ziel des kreativen Treibens. Vielmehr geht es vielfach um die Beschreibung eines Zustandes, einer Momentaufnahme, die blitzartige Beleuchtung eines Zustandes, eingefroren in einem Bild. Every picture, so sagt es der jedoch der Dichter, tells a story. Problematisch nur, wenn sich der Dichter weigert, sie zu erzählen. Der Zuhörer jedoch, gewitzt durch seine Lebenserfahrung und geschult durch Tausende von Popsongs, deutet das gehörte als Teil einer Geschichte, deren Anfang und Ende er sich möglicherweise selbst dazu erfinden beziehungsweise erschließen muss. 

Dieser Prozess findet immer statt, natürlich, man nennt ihn auch den Rezeptionsprozess und was ist der anderes, als der Versuch, zu verstehen, was man hört, sich zu erklären, was man im ersten lauschen vielleicht nicht versteht. Diesem Wunsch des Hörers kann sich der Songwriter genauso wenig entziehen wie der Schriftsteller, der Dichter. Und hier ist es dann, wo sich die Qualität der künstlerischen Imagination durch die Sprache und ihre mittel beweist. Nichts überzeugt nur durch sich selbst, nichts wirkt schon als Rohentwurf. Durchgearbeitet und gestaltet aber hat ein Text die Chance, zu überzeugen, in sich hinein zu ziehen und seine Kraft als Erklärstück für das Leben zu entfalten.

In einer Talkshow kam es vor einer Weile zu einer skurrilen Situation als Silbermond ihren damals neuen Song „Irgendwas was, das bleibt“ promoteten. Der Talkmaster wollte wissen, ob dieser Song vielleicht der Song zur damals gerade aktuellen Lehmann-Krise sei. Schon diese Frage brachte die Band an den Rand ihrer Auffassungsgabe. Natürlich hatte sie daran keinen Gedanken verschwendet, sondern sich lediglich auf eine zwischenmenschliche Situation konzentriert, in der der eine den anderen bittet, ihm Sicherheit zu geben.

Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit
in einer Welt, in der nichts sicher scheint.
Gib mir in dieser schweren Zeit, irgendwas das bleibt.

http://www.youtube.com/watch?v=ZbsqG_R3ySE Frida Gold - Wovon Sollen Wir Träumen 

Hier wird auch sprachlich aus der allgemeinen Umgangssprache zitiert und darauf verzichtet, ebenso wie es häufig in der Alltagssprache geschieht, Dinge zu erklären, Ursachen zu finden, Vorgänge zu erklären. Nur dort wo eine allgemein bekannte Kommunikationssituation besteht, erklären sich im Vollzug die Dinge von selbst, im lyrischen Text, im Popsong kann das nicht funktionieren. Es wird zum Mantra, zur restringierten Andeutung eines Gehaltes. 

Philipp Poisel hat das in seinem Song „Wie kann ein Mensch das ertragen“ vorgemacht:

Könnt ich einen einzigen Tag nur
In meinem Leben dir gefallen,
Um dann ein einziges Mal nur
In deine Arme zu fallen,
Wie soll ein Mensch das ertragen,
Dich alle Tage zu sehen,
Ohne es einmal zu wagen,
Dir in die Augen zu sehen?

http://www.youtube.com/watch?v=0qHKz7CG-rA&feature=related   Ina Müller & Philipp Poisel - Wie soll ein Mensch das ertragen?

Und so wiederholt es sich mehrfach, kreist um sich selbst und versucht in keiner Zeile Abstand zu sich selbst zu bekommen, um vielleicht zu verstehen, was geschieht. Es hat etwas hilflos Kindliches, wenn das Ich in diesem Lied so völlig ratlos in sich selbst stecken bleibt und tatsächlich nicht versteht, wovon es da singt.
Natürlich ist die Ausgangslage rasch geklärt, Mädchen verlässt Junge und vergisst zu erklären, warum. Aber der Junge bemüht sich mit keiner Silbe, zu verstehen, was geschehen ist, sondern lässt uns nur zusehen, wie er leidet und nach den Worten schnappt wie ein Fisch auf Land nach Wasser. 

Timo Hauer schildert in Nacht am Strand eine Liebesszene im Zelt, indem er sich redlich bemüht, den Akt zu übersetzen in einfühlsame Bilder voll Bewegung und Anschaulichkeit: 
Unsre Lippen sind geschwollen,
vom vielen Küssen.
Es ist egal, ob wir das wollen,
weil wir uns einfach küssen müssen.
Uns're Körper wie Magneten,
Zieh'n uns einfach an.
Uns're Herzen wie Raketen,
die keiner stoppen kann.

Und am Ende, das heißt bevor das Lied beginnt, sich in der Endlosschleife selbst zu wiederholen, zeigt sich, dass es keine Mittel gibt, diese berühmten drei Worte zu übertreffen:

Zu zweit im Zelt bei Nacht am Strand im Regen,
bereit, der Welt die Macht bekannt zu geben.
Zwei Körper werden immer mehr zu einem.
Drei Wörter, die uns jetzt noch mehr vereinen.
Ich liebe dich,
Ich liebe dich.

Kein Wunder, es ist ja auch "so schwer", sich verständlich zu machen, so schwer, sagt Samuel Anthes, 

Jetzt ist es so schwer, dich nicht zu sehen,
So schwer, es zu verstehen.
Ja so, bist du in mir
Jetzt ist es so schwer, dich los zu lassen.
So schwer, all das zu fassen

Genau, man fasst es nicht, warum dem Texter hier keine prägnanten Bilder einfallen, warum er seinen Zustand, den es ihn drängt zu beschreiben, nicht beschreiben, nicht umschreiben will. Bei Frida Gold ist der Wunsch, der eigenen Sprach- und Fassungslosigkeit noch ein wenig Kommunikation abzuringen, genauso stark, nur gibt sie ihm eher nach und deutet zumindest an, was ihr das Träumen so schwer macht:

Ich fühl mich leer,
Und die Nacht liegt schwer,
So schwer auf meinen Schultern.
All die Hoffnung, die war,
Ist schon lang nicht mehr da.
Schon wieder ne Nacht einfach vertan.
Ich hab gesucht und gesucht
In den hintersten Ecken
Nach Augen, die mich interessieren.
Noch nie hat es geklappt,
Doch ich mag's nicht kapieren.

Ja, wovon soll man träumen, wenn man so ist? Wie ist? Um sich selbst kreisend, sich ständig selbst beobachtend, auf der suche nach der Erlösung durch eine Kraft, einen Menschen von außen, verpuppt in seiner Verzagtheit gegenüber dieser Welt.

Christian Venus lässt sein Alter Ego morgens um drei irgendwo stranden, nach dem üblichen Streifzug durch die Bars und Kneipen

Es ist 3 Uhr Morgens und ich weiß nicht, wo ich war.
Und der Nachtbus fährt, doch keiner weiß, wohin.

Salomon und der Code
Um drei Uhr morgens kommt ihm die Geliebte in den Sinn, die möglicherweise der Grund für seine Ruhelosigkeit und Ziellosigkeit ist, man erfährt es nicht, weil die Begründung eines Zustandes oder ein tiefer gehendes Verstehen des emotionalen Aggregatzustandes nicht Sache des sprechenden/singenden Ichs zu sein scheint. Die Frage, des woher und wohin, des warum und wozu sind nicht neu, das ist klar, seit Salomon ist die Liebe und ihre Wirkungen millionenfach beschrieben und besungen worden. Jede Generation hat ihren eigenen Code, sich über diese inneren Befindlichkeiten auszutauschen. Dem Außenstehenden, darauf angewiesen, sich den Code zu erschließen und Rückschlüsse auf die Gegebenheiten und Umstände anhand der gesprochenen Worte zu ziehen, bleibt etwas unbestimmt zurück.

Statt neuer Deutungen neuer Erfahrungen werden ihm Interieurs gezeigt, Räume und Orte, an denen sich das warten, das Leiden, das lieben und nicht-geliebt werden ereignet. Wenn man sich dabei allerdings auf die Signifikanz der stereotypen verlässt - eine nächtliche Bar, ein überfüllter Partyraum, eine Nacht am Strand - erfährt man zunächst nicht mehr, als dass dies die Orte des Geschehens und des Erinnerns sind. Und dass dies die Ursachen für ein Leiden sind, das dem Menschengeschlecht seit der Vertreibung aus dem Paradies mitgegeben ist. Alles ist gut (?), die Lebensumstände sind kommod (?), die Konventionen sind kein Problem (?), soziale Umstände spielen keine Rolle (?) - das Leiden entsteht aus der eigenen Unfähigkeit, die Dinge zu verstehen und zu deuten, zu verarbeiten und sich als Erfahrungsschatz anzueignen. 

Als Bruce Springsteen vor 30 Jahren in einem Song davon erzählte, wie seine Jugendliebe schwanger wurde, beide ihre Träume den Gegebenheiten anpassen mussten und schließlich ihren Preis des verlorenen Lebensglücks dafür zählen mussten, Warmseins das klassische Songwriting, das klassische Erzählen, eine Geschichte bekommt ihre tragische Wendung, die Protagonisten geraten mehrerer weniger schuldlos in Umstände , die sie nicht beeinflussen können. Zusätzlich begleitet durch die Folgen einer Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Verarmung. Und so trostlos und kalt diese Aufzählung der Elemente der Geschichte auch klingen mögen, so mitreißend sind sie dann in der Performance durchgestaltet. 

Springsteen beschreibt den harten Weg des Erwachsen-werden-Müssens. Die Lebensumstände lassen kein Fragen und kein Irren zu, sie zwingen die Menschen zu Entscheidungen, von denen sie früh schon ahnen, dass sie falsch sein könnten. Dies ist die tragische Dimension der Story und von Fall zu Fall auch der politische oder gesellschaftliche Stoff. In manchen deutschen Popsongs, wie den oben zitierten, jedoch spiegelt sich die Selbstverliebtheit und -genügsamkeit einer Generationskohorte, die sogar noch im Gebrauch ihres lyrischen Handwerkszeugs jedem Konflikt und jeder Konfrontation aus dem Weg geht. So taugt sie eher als Gegenentwurf zu Occupy und Anonymous, zu Position und Bekenntnis als zu seinem Soundtrack.

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