Freitag, März 02, 2012

Unser Internet, unser Zuhause Teil 2

Trolle und shitstorms 
Die analoge Denke und die Schwarmintelligenz

Die klare Ansage: Vermessen? Ehrlich? Fragwürdig?

Ansgar Heveling muss bis dato ein sehr beschauliches Leben als Hinterbänkler der CDU/CSU- Bundestagsfraktion geführt haben. Als ihn kürzlich die Anfrage des Handelsblattes ereilte, einen Kommentar zum Thema web2.0 zu schreiben, war es allerdings mit der Beschaulichkeit vorbei. Heveling setzte sich - vermutlich - an seinen PC und verfasste einen kurzen Kommentar, der in seinem Gehalt klar und eindeutig war und ihm am Ende ein Medien- und Internetecho einbrachte, von dem man als Nachwuchspolitiker gemeinhin wohl mal träumt, aber sich so, nämlich als shitstorm, nicht gewünscht hatte.

Dedication II - To whom it may concern

The Hollow Men
T. S. Eliot 1925
Mistah Kurtz — he dead.


A penny for the Old Guy

I

We are the hollow men
We are the stuffed men
Leaning together
Headpiece filled with straw. Alas!
Our dried voices, when
We whisper together
Are quiet and meaningless
As wind in dry grass
Or rats’ feet over broken glass
In our dry cellar

Donnerstag, Februar 23, 2012

Unser Internet, unser Zuhause

Es sind die Inhalte...
Die Schwarmintelligenz und die analoge Denke

Illu: Julien Christ/pixelio.de

Es ist eine seltsame Sache mit dem Internet, der Schwarmintelligenz, der Weisheit der vielen. Vieles soll sie ja ausrichten können, die Globalisierung von Ideen im Nanosekundentakt, die subversive Unterminierung staatlicher Gewalt, die Verbindung kreativer Leistungszentren rund um den Globus - das Land der klugen und weisen, die virtuelle Gelehrtenrepublik, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag, durchgängig geöffnet. Eine Welt jedoch, in der Transparenz und Teilhabe zwar immer wieder als unabdingbar gefordert werden, jedoch in der Praxis hinter dem Wunsch zurück stehen,geschützt in der Anonymität des Netzes zu existieren.

Dienstag, Februar 21, 2012

Geschichte aus Geschichten

Sprache gibt nicht nur die Realität falsch wider -
es gibt gar keine Realität, die man widergeben kann.
Jean Baudrillard

einestages - Geschichte von innen
In den Regalen stehen sie millionenfach, Fotoalben, die ihre Besitzer in kurzen Hosen, mit Zahnlücken oder Konfirmationsanzug oder anderen Accessoires der jeweiligen biographischen Epoche zeigen. Unterm Kopfkissen finden sich dann die Tagebücher, hitzig geschriebene Beschreibungen des alltäglichen Einerleis, das den Menschen zum Erwachsenen macht. In Briefen, gut verstaut in unzähligen Schuhkartons, finden sich die Nachrichten von irgendwo an irgend wen, der dem Schreiber gerade wichtig war. Fotos, Tagebücher, Briefe - längst als Träger von Geschichten aus und über die Geschichte entdeckt. Persönlichkeiten der Zeitgeschichte haben sie hinterlassen und die Wissenschaft betrachtet es als ihre Aufgabe, aus ihnen zusätzliche Informationen zu destillieren, die historischen Ereignissen erst ihre Tiefenschärfe verleiht. 

Montag, Februar 20, 2012

Gauck, der Bürgerkaiser - schau'n mer mal!

"Im Moment bin ich mehr verwirrt."
O-Ton Joachim Gauck am 19.2.2012







"Frau Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren, die Sie mich nominiert haben. Das ist natürlich für mich ein besonderer Tag, wie es in meinem Leben manche besondere Tage gegeben hat. Und am meisten bewegt es mich, dass ein Mensch, der noch geboren ist in diesem finsteren, dunklen Krieg und der 50 Jahre in der Diktatur aufgewachsen ist, und hier seine Arbeiten getan hat, nach der Wiedervereinigung, die Sie dankenswerterweise erwähnt haben, dass ein solcher Mensch jetzt an die Spitze des Staates gerufen wird.

Sonntag, Februar 19, 2012

Der König ist tot - es lebe der König?


Die Leere danach.... 

Es ist geschehen, was viele Experten schon lange als unausweichlich bezeichnet hatten, der Bundespräsident Wulff müsse zurücktreten. Es ist geschehen und es zeigt sich, dass der Rücktritt keineswegs eine befreiende Wirkung hat, sondern nur wiederum offenlegt, wie wenig souverän die verantwortlichen Damen und Herren mit der Situation umzugehen verstehen. Wulff, kaum 48 Stunden aus dem Amt, schrumpft innerhalb von Nanosekunden zu einer publizistischen Fußnote. Allenfalls das Ergebnis der staatsanwaltlichen Ermittlungen wird noch einmal für Aufsehen, für ein geringes öffentliches Aufsehen, sorgen. Schon als die Meldung vom Antrag der Hannoveraner Staatsanwälte auf Aufhebung der Immunität über die Bildschirme geisterte, wies man eifrig darauf hin, dass 80 bis 90 Prozent - so genau wollte man es dann doch nicht wissen - der aufgenommenen Ermittlungen ergebnislos eingestellt wurden. Wulff hat diese Erkenntnis nicht mehr geholfen, er wird nun die Ermittlungen über sich ergehen lassen und feststellen, dass Vorwürfe, die eben noch, während seiner Amtszeit inkriminiert wurden, als belanglose Petitessen abgetan werden und auf den hinteren Plätzen der Meldungsspalten landen.

Und nun, nachdem er gegangen ist, wird man auch zugeben können, dass die Fehler des Niedersachsen nicht das Zeug für eine veritable Staatsaffäre hatten und haben. Statt dessen gilt es nunmehr, die Strecke der Verlierer zu sichten, Gewinner und Profiteure auszumachen und sich nach neuen Highlights umzusehen. Wulff ist weg und es scheint, als habe sein Abgang schlussendlich mehr Bedeutung für die politische und gesellschaftlich führende Kaste als für den Durchschnittsbundesbürger. Es muss in den letzten Wochen einer Menge von Angehörigen der Parteien und Parlamente zigfach eiskalt über den Rücken gelaufen sein, als ihnen klar wurde, wie dünn das Eis ist, auf dem sie über die öffentliche Bühne schliddern. Kleinere und kleinste Verfehlungen werden unter dem Brennglas der öffentlichen Aufmerksamkeit plötzlich wichtig und von angeblich öffentlichem Interesse. Manch einer mag sich gefragt haben, ob ein unbezahltes Knöllchen, ein großzügiges Geschenk oder die Ex-Freundin ihm noch gefährlich werden könnten. In vielen Gesprächsrunden, in denen die Causa Wulff diskutiert wurde, hallte der schiere Schrecken nach, der sich verbreitet hatte, nachdem es wieder einen aus der höchsten Riege der politischen Verantwortungsträger herauskatapultiert hatte. Offenbar wurde schlagartig, dass keine Deckung wasserdicht, kein Versteck unauffindbar und kein Gerücht wirksam zu stoppen ist. Die Illusion, angesichts der eigenen Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit vor solchen Anwürfen geschützt zu sein, zerstob knallartig und verbreitete kurzfristig Angst und Schrecken. Welche Kontakte zu den Medien sind noch was wert? Was ist von dem Bonmot des Springer-Chefs Döpfner zu halten, der gesagt hatte, wer mit der Bild-Zeitung nach oben komme, der gehe mit ihr auch wieder (r)unter? Eine Drohung, eine Klarstellung?

Wie kann denn in Zukunft noch ein vertrauensvoller Kontakt aufgebaut und gepflegt werden, wenn die Regeln, nach denen das Spiel gespielt wird, so volatil und leicht zu verändern sind? Wer sich die Mühe oder den Spaß gemacht hat, möglichst viel über die Angelegenheit zu lesen und dabei auch diejenigen Stimmen zur Kenntnis zu nehmen, die nicht zu den meinungsführenden Publikationen gehören, der konnte feststellen, dass außerhalb der Festung Berlin-Mitte schon mal eher der gesunde Menschenverstand die Oberhand behielt und dass oftmals eine eigenartige Haltung des staunenden Beobachters wahrzunehmen war, der nicht glauben mochte, was sich da vor seinen Augen abspielte. Journalisten, die oft und gerne mit ihrem Nicht-Wissen kokettieren und gerade daraus die Selbstverpflichtung zum unerbittlichen Nachbohren und -suchen ableiten, stellten plötzlich fest, dass Politiker Menschen sind, Menschen, die möglicherweise verführbar sind und möglicherweise auch unüberlegt handeln. Journalisten, die extrem darauf aus sind, sich bestens zu vernetzen und Kontakte in Alle Himmelsrichtungen zu haben, diese Journalisten ließen zu, dass auf diese Beziehungen und ihre Pflege der Schatten des pauschalen Verdachts fiel. Und eben diese Journalisten lassen gerade indessen Moment ihre Beziehungen spielen, um möglichst nahe an den Entscheidungsprozess hinter verschlossenen Türen zu kommen, wenn es darum geht, den Nachfolger zu küren. Und es funktioniert, wie man allenthalben lesen kann. Die Quellen sprudeln, die Informationen werden ausgetauscht, bald schon werden Dossiers in Redaktionen vorliegen, die dort nicht hingehören, werden Detailinformationen aus vertraulichen Gesprächen veröffentlicht, die so nie an die Öffentlichkeit sollten. Dass auf der Methode dieser Informationsbeschaffung der Hauch der moralischen Fragwürdigkeit liegen könnte, ist als Argument in der (ver-)öffentlichen Diskussion nicht zugelassen. Durchstechereien und Indiskretionen sind Scoops, sind Erfolge, die man sich wie Skalps an den Gürtel hängt und die das Ansehen in der Meute sichern.


Frank Schirrmacher spricht aus, was zur Ursachenforschung beiträgt


Manch einem mag jedoch der Gedanke durch den Kopf gegangen sein, wie unsicher und gefährdet die eigene Stellung im politischen und gesellschaftlichen Gefüge tatsächlich ist, wenn man diese Stellung als Wahlamt oder per Ernennung erhalten hat. Die eben schon einmal angesprochenen Gesprächsrunden im TV vereinen regelmäßig Angehörige dieser privilegierten Stände, die über ein Mitglied urteilen sollten oder wollten, das offensichtlich gegen den Kodex verstoßen hatte, der da lautet "übertrieb' es niemals!" in diesem Licht nämlich wurde über normale Abläufe gesprochen, wurde erklärt, wer welche Quellen besitzt, um an Güter des täglichen Bedarfs zu kommen, wer welche Kontakte hat, um in den Genuss bestimmter Erholungs- und Reisevorzüge zu kommen. Und am Rande wurden sogar die Journalistenrabatte thematisiert.

Man hat dabei sogar erstmals zugelassen, dass über die sozialen und gesellschaftlichen Implikationen der Vorwürfe gegen Wulff gesprochen wurde. Wulff, der Aufsteiger, der angepasste Underdog, der beifallssüchtige Loner, der aus Furcht vor dem Abstieg Fehler über Fehler machte. Wer auch immer diese Diskussionsführung begonnen hat, der hat in der Sache zutreffend, aber in der Zielrichtung obskur, zugelassen, dass die gesellschaftliche Errungenschaft der sozialen Durchlässigkeit, der Chancengleichheit und der Förderung nach Leistung, nicht nach Geburt und Abstammung, in Zweifel gezogen wurde. Dabei hat ein anderes Beispiel uns trefflich vor Augen geführt, dass der Abkömmling weiland höherer Stände keineswegs moralisch gefestigter handeln muss.

Stattdessen hat die deutsche Aufsteigergesellschaft einen der ihren dafür bestraft, gegen die Regeln der Diskretion und Obacht verstoßen zu haben, die an die Stelle der vormals gültigen Gottgewolltheit bestimmter Zustände getreten ist. Kevin Costner hat in seiner Trauerrede für Whitney Houston darauf angespielt, dass es zum Fluch des Ruhms werden kann, sich ständig der Frage stellen zu müssen, ob man denn noch immer gut genug sei, um den Ruhm zu verdienen. In Deutschland hat man die Frage anders gestellt: Ist man verschwiegen und clever genug, um noch zum Club dazu gehören zu dürfen? In den Talkshows wurde dieses Dilemma offenbar, als man sich nicht auf gültige moralische Standards einigen konnte, die anzulegen seien. Es war offenbar nicht möglich, Bezug auf einen allgemeingültigen Kodex zu nehmen, der unbestritten wäre. Statt dessen wurden formalrechtliche Argumente ebenso benutzt und missbraucht wie nassforsche Unbekümmertheit. Grundgesetz und Strafgesetzbuch plus Richtlinien und Handlungsvorschriften sind offenbar weder sakrosankt noch bekannt, so dass sich ein jeder erst einmal ausprobieren kann, bis er gesagt bekommt, dass er die Grenze des Erlaubten überschritten hat. Klar, dass in diesem Zwielicht gut über Verfehlungen und Schuld zu streiten ist. 

Eben.....


Insofern kann man die Causa Wulff und ihre mediale Behandlung als Selbstgespräch der meinungsführenden Gruppen verstehen, ein interner Klärungsprozess, bei dem man über die Klubmitgliedschaft eines einzelnen stritt und sich dabei von Millionen zuschauen ließ, die nicht dazu gehören. Die Frage, ob für die Zugehörigkeit zu diesem Klub tatsächlich ein objektiv belegbarer Leistungsnachweis notwendig ist, stellte sich dabei nicht. 

Und so besteht die Gefahr, dass die Regelung der Wulff-Nachfolge nur dazu dient, die Mechanismen der Gesellschaft, so wie wir sie um uns herum haben, nur zu bestätigen und zu stärken. Ob Wulff bis heute gescheitert ist, weil er Fehler gemacht hat, weil er sich etwas zuschulden hat kommen lassen, oder weil er unsere gültigen moralischen Standards verletzt und zu lange gezögert hat, sich dazu zu bekennen, bleibt völlig offen und wird auch nicht bei der Staatsanwaltschaft Hannover oder den zuständigen Gerichten geklärt werden. Es würde einer öffentlichen Debatte bedürfen, um diese Frage zu klären. Einer Debatte mit Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen. Das Amt des Bundespräsidenten könnte, wenn es denn tatsächlich Schaden genommen hat, ein weiteres mal beschädigt werden. Dann nämlich, wenn der Nachfolger einfach zur Tagesordnung übergeht. Der König ist tot, lebt der König?

Sonntag, Februar 12, 2012

We take care of our own


Make love, not war.                                                   Hippie-Weisheit
Oh yeah? Try paying the fucking rent with it.                 Keith Richards 



Die heute über 50jährigen gehören zur Generation, die das Sagen übernommen hat. Die übliche kurzzeitige Regentschaft einer Altersgruppe, die bald schon wieder von der kommenden Generation abgelöst werden wird. Das ist keine neue Erkenntnis, nur eine Einsicht, wenn man feststellt, Teil dieser Altersgruppe zu sein, Erfahrungen und Einsichten zu teilen, Zugehörigkeit und Gewissheiten entwickelt zu haben, die schon wieder nach einem nur kurzen Intermezzo im Lichte der macht von nicht unbedingt neuen, aber wenigstens anderen Erfahrungen und Einsichten abgelöst werden . Man stellt es fest und geht zur Tagesordnung über, denn es ist noch genug an Arbeit zu erledigen, Entscheidungen zu treffen und Dingen zu regeln. 

Bei Tische aber liest sich dies gelegentlich anders, wenn der gesellschaftliche Rahmen, das nette Gespräch, das gute Essen, die entspannte Atmosphäre es zulässt, sich über so etwas wie Werte, Erziehung, Maßstäbe zu unterhalten. Dabei werden oft und gerne Geschichten erzählt, die einander ähneln, Wegmarken werden benannt, die viele teilen, Episoden der jüngeren Geschichte werden dafür verantwortlich gemacht,dass dies Denken und Werden diese oder jene Wendung genommen hat. Die Gesellschaft beginnt dann gelegentlich in diesen gemeinsamen Erinnerungen zu schwelgen, die Frage taucht auf, durften Sie schon 1972 Willy Brandt wählen? Waren sie als Brockdorf gestürmt wurde? Waren sie im Bonner Hofgarten dabei? Waren Sie im RCDS oder in der Juso-HSG? Wackersdorf? U2 in Berlin? Der 9. November 1989? 

Und schon bekommt man ein Gespür dafür, wie sich quasi eine innere Ausdifferenzierung ergeben hat, schon als die Ereignisse stattfanden, als der Sog der Erlebnisse noch seinen ganz speziellen Zauber entfaltete und die von ihm erfassten Menschen in die ihnen je eigenen Richtungen zu ziehen begann. Von diesen Markierungen im kollektiven Gedächtnis ziehen sich dann individuelle Entwicklungen, die belegen, wie völlig inkompatibel die Schlussfolgerungen aus den Erlebnissen miteinander gewesen sein können, obwohl sie auch 30 Jahre später noch beharrlich mit einem einzigen gemeinsamen Ursprung verbunden werden. Dabei scheint dieser gemeinsame Ursprung lediglich so etwas wie ein Durchgangsbeschleuniger gewesen zu sein, ein Initiaionsritus vielleicht, ein Ausdruck gemeinsamer Interessen oder Vorlieben, nicht mehr, nicht weniger. So haltbar sind diese Bande, dass auf ewig der Streit zwischen Beatles- und Rolling Stones-Fans weitergeht und sich an der Struktur der Gesellschaft, ihren Äusserungsformen, ihrem Verteilungs- und ihrem Gerechtigkeitsproblem jedoch nichts geändert hat.

Manche Kommentare in den Medien beginnen immer verzagter und verhaltener zu klingen, dabei aber auch, zumindest gelegentlich, immer deutlicher und klarer. Angesichts der Komplexität der Welt und ihrer Probleme, die sich weder in einem Anti-Kriegs-Slogan noch in einem 3-Minuten-Protestsong lösen lassen, kann man diesseits der 50 schon einmal melancholisch und zornig werden. 

Das Buch zur Diskussion


Dies vor allem, wenn man die Anfänge mit dem zwischenzeitlichen Ergebnis, dem aktuellen Zustand der Welt, vergleicht. Trotz der Warnungen des Club of Rome 1972 waren wir optimistisch, zur rechten Zeit die richtigen Antworten  auf die Fragen der Zeit geben zu können. Und tatsächlich, es fanden sich jede Menge Antworten von jeder Menge unverbrauchter Talente, teils brillant formuliert, allein, es fehlte immer wieder an den notwendigen Mehrheiten oder den günstigen Umständen. 

Der Sturm der Begeisterung um die Obama-Wahl 2008 gab ein letztes Mal noch einen Hauch von der Begeisterung frei, die Jahrzehnte zuvor die Woodstock Generation auf den Weg gebracht hatte. Und keine vier Jahre später steht der Mann, der, sich den realen Gegebenheiten beugend, für eine weitere große Enttäuschung gesorgt hat, wieder zur Wahl an. Und in Ermangelung eines besseren Entwurfs und in Erinnerung an den Kater vom letzten Mal schauen wir teilnahmslos zu, wie die Dinge sich in den USA entwickeln. Auf unserer Seite standen etwa Gerhard Schröder oder Joschka Fischer am Ende ihrer Laufbahn nicht mehr als Umwälzer und Veränderer da, sondern als Verwalter der realen Machtverhältnisse und zuguter letzt Profiteure der eigenen Karriereplanung. Und es gehört mittlerweile zum abgeklärten Ton der Generation 50plus dazu, sich darüber nicht mehr aufzuregen. Dazu hat man selbst nur zu intensiv die Erfahrung gemacht, wie schwer es mitunter sein kann, die fucking rent zu zahlen und seine Träume verwirklichen zu wollen. 

Diskussion zum Thema der nächsten Wochen....


Stoff für Songs, Filme oder Feuilletons bietet es dennoch allemal.
Die Ernüchterung der Woodstock-Generation geht einher mit der Einsicht, dass die Geschichte keine Versuchsanordnung für Erstsemester und keine Selbsterfahrungsgruppe für ambitionierte Aufsteiger ist. Rudi Dutschke hatte in einem Fernsehinterview die Behauptung aufgestellt, wir seien nicht die nützlichen Idioten der Geschichte. Am Ende sind wir uns da allerdings nicht mehr ganz so sicher: 
Die Atomkraft-nein-danke-Idee hat Fukushima nicht verhindern können, 
alle Europa-Sonntagsrhetorik hat den Eurocrash nicht vermeiden helfen können. 
Die Friedensbewegung sieht sich heute mit verlorenen und vergeblichen Kriegen in Afghanistan und Irak gegenüber. 
Die liberalen Bürgerrechtsideen der 70er Jahre flankieren heute Mehr oder minder hilflos die Oligopolisierung des Internets. 
Das wiedervereinigte Deutschland kämpft mit Rechtsradikalismus und Verteilungsstreitigkeiten. 

Die Zeit für die nun herrschende Alterskohorte, die Probleme innerhalb ihrer Amtszeit zu lösen, wird knapp. Und die Hoffnung, dass dies überhaupt ein realistisches Projekt sein könnte, schwindet immer mehr. Es sei denn, man gehört der nächsten oder übernächsten Generation an, die an die Schaltzentralen drängt, um ihre Vorstellungen zu realisieren und die altersweisen Vorgänger aufs Altenteil zu schicken.

Es wird höchste Zeit, dass man sich mit dem Zustand der Zeit näher befasst und die Ursachen unserer Probleme einmal unabhängig vom bisher Wünschbaren untersucht. Wenn wir nicht wie Faust in unserer Studierstube an unserem Wissensreichtum einerseits und dessen Effektlosigkeit andererseits verzweifeln wollen, müssen wir vorbehaltlos auf die Suche nach den Fehlern im System gehen, ohne dabei die Verhältnisse wieder einmal vom Kopf auf die Füße stellen zu wollen. Allein der Streit darüber, was Kopf und was Füße denn sind, würde diesen Prozess unendlich aufhalten und am Ende stoppen. 

Dieser Prozess, gemeint als Abrechnung einerseits und als Bewegung andererseits, konnte seinen Anfang mit der Erkenntnis nehmen, dass wir keine endgültigen Lösungen finden müssen, sondern optimale, dass wir den Blick nach vorn mit einem Blick zurück und um uns herum verbinden müssen, kurz: Dass wir nicht das Ende der Geschichte sind, sondern nur ihre Fortsetzung als Zwischenstation in eine ungewisse Richtung. In weiten Teilen der Welt ist der materielle Fortschritt dem ethisch-moralischen weit voraus, in anderen Teilen der Welt stellt sich diese Frage noch überhaupt nicht. Noch immer nicht.

Diese Generation könnte anders als die vorhergehende über solche Fragen nachdenken und entscheiden ohne die Hypothek eines weltumspannenden Vernichtungskrieges, wenngleich mit der weiter bestehenden Sorge wegen der weltumspannenden Konfliktfelder. Kann man aus der Geschichte lernen? Sicher, vor allem wie grandios große Ideen scheitern können und wie niederträchtig der Mensch seinen Mitmenschen behandeln kann. Die Geschichte endet nicht, sie wechselt ihre Richtung, Geschichte springt nicht, sie führt unterschiedliche Phänomene zusammen und konfrontiert uns mit ihren Konsequenzen. Die Geschichte bietet aber die großzügige Gelegenheit, aus ihr zu lernen, wenn man bereit ist, nicht den Fehler zu machen, sie wiederholen oder nachträglich ändern zu wollen.

Was dürfen wir also hoffen? Dürfen wir hoffen? Wäre es nicht völlig unhistorisch und eher tragisch gedacht, wenn wir alle Hoffnung fahren lassen würden? Hoffnung allein auf das Fortbestehen des Status quo und das Vermeiden der ultimativen Katastrophe, woraus auch immer die bestehen mag, wäre ein bescheidener Ansatz, um Utopien, in deren Namen wieder Zwang und Konflikt gesellschaftsfähig würden, zu meiden. Halten wir doch einfach die Widersprüche der Wirklichkeit aus, schaffen die utopielose Utopie, richten uns in der hoffnungslosen Hoffnung ein - vielleicht ist das eine Art von Vermächtnis unserer Generation an die nachfolgenden. 

Lenken wir also bei Tisch das Gespräch künftig auf dieses Thema, stiften wir die neue Gemeinsamkeit und nehmen den alten Spruch, dass wir die Welt nur von unseren Kindern geliehen hätten, ernster als noch zuletzt....

Bruce Springsteen We take care of our own, 2012