Freitag, März 02, 2012

Unser Internet, unser Zuhause Teil 2

Trolle und shitstorms 
Die analoge Denke und die Schwarmintelligenz

Die klare Ansage: Vermessen? Ehrlich? Fragwürdig?

Ansgar Heveling muss bis dato ein sehr beschauliches Leben als Hinterbänkler der CDU/CSU- Bundestagsfraktion geführt haben. Als ihn kürzlich die Anfrage des Handelsblattes ereilte, einen Kommentar zum Thema web2.0 zu schreiben, war es allerdings mit der Beschaulichkeit vorbei. Heveling setzte sich - vermutlich - an seinen PC und verfasste einen kurzen Kommentar, der in seinem Gehalt klar und eindeutig war und ihm am Ende ein Medien- und Internetecho einbrachte, von dem man als Nachwuchspolitiker gemeinhin wohl mal träumt, aber sich so, nämlich als shitstorm, nicht gewünscht hatte.

Shitstorm, das lernte sich dann recht schnell, ist die im Netz sich aufbauende Gegenreaktion auf Einlassungen, wie die von Heveling. Mit aller zur Verfügung stehenden Kraft ließ die Community ihre Verachtung und Ablehnung des Heveling-Ansatzes spüren und verlauten. Und damit beeindruckte sie vor allem die beobachtenden Medien, die vor der schieren Größe der protestierenden und attackierenden Netgemeinde beeindruckt auf die Knie gingen. Heveling hatte in seinem Kommentar seiner Auffassung Ausdruck verliehen, dass sich die Netprofis über die Wirkung und Bedeutung ihrer Netzkultur irrten. Dabei wies er lediglich ein wenig überpointiert darauf hin, dass unsere Gesellschaft noch nicht vollständig von den netzaffinen Experten übernommen worden sei, sondern
"Auch wenn Wikipedia für einen Tag ausgeschaltet ist und Google Zensurbalken trägt, ist das nicht das Ende des Wissens der Menschheit. Welche Hybris! Lasst euch gesagt sein: Das Wissen und vor allem die Weisheit der Welt liegen immer noch in den Köpfen der Menschen. Also, Bürger, geht auf die Barrikaden und zitiert Goethe, die Bibel oder auch Marx."
Hevelings Ziel war es einfach nur gewesen, die Urheberschutzdiskussion um ACTA weiterzuführen und zu kommentieren. Und dabei entfachte er den Widerstand der digitalen Totalitären, die sich mit dieser einfachen Wortmeldung nicht abfinden wollten. 

http://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-netzgemeinde-ihr-werdet-den-kampf-verlieren/6127434.html
Ansgar Hevelings Kommentar im HANDELSBLATT.

Die Erfahrung, die Heveling machte, hat er in diesen Tagen nicht exklusiv. Das Netz und die sogenannten Netzaktivisten verteidigen mit aller Macht den mehr der minder anarchischen Regelungszustand des Netzes. Jeder Versuch, die Regelungen des BGB in Anwendung zu bringen und den entsprechenden Rechtsnormen ihre Gültigkeit zu verleihen, erregt das Unbehagen der Gemeinde und stößt auf ihren erbitterten Widerstand. An der Nahtstelle zwischen analoger und digitaler Gesellschaft, also heute, versteht der digital native nicht, dass es um mehr geht, als den unbegrenzten Zugang ins Internet und den Zugriff auf normalerweise urheberrechtlich geschützte Daten. Es geht auf lange Sicht um den demokratisch und rechtsstaatlich geordneten Übergang unter Beibehaltung der selbstverständlichsten Rechte und Pflichte der Bürger. 


Der Troll  - das unbekannte Wesen.
Aber es geht auch eine Stufe niedriger: Sascha Lobo, der Vorzeige-Aktivist und offenbar einer derjenigen, die auf dem Weg ins Netz ihren Kopf mitnehmen, um ihn auch zu benutzen, hat am Beispiel der Proteste gegen die Nominierung von Joachim Gauck aufgezeigt, wie leichtfertig, amateurhaft und boshaft manche Netzaktivisten mit Regeln des menschlichen, politischen und wissenschaftlichen Anstandes umgehen. Lobo zeichnete die Entwicklung und die Quellen der jüngsten Netzgerüchte nach und zeigte auf, wie unglückselig die Verquickung der raschen Verbreitungsmoglichkeiten im Netz mit den Verwertungsinteressen der sogenannten alten Medien und der Aktivisten sein kann. Das Internet, das ist die Lehre aus diesen Vorgängen, hat durchaus das Zeug dazu, uns alle dümmer zu machen, statt klüger. Dies vor allem, wenn - siehe oben - nicht die selben Regeln für die Kommunikation, Wissenserhebung und -verbreitung und Präsentation gelten wie bisher. Anderenfalls waren die Ereignisse um den Freiherrn zu Guttenberg lediglich eine sinnlose Machtdemonstration von Netzexperten gewesen, dieses nur demonstrieren wollten, was unter bestimmten Voraussetzungen im Netz möglich ist. Und dann würde in dieser Demonstration ebenso viel Drohpotenzial wie technische Arroganz stecken. 

Die Internetgemeinde ist zur Zeit noch eine unkontrollierbare Ansammlung von Kindsköpfen und Schnelldenkern, die mit den Standards der bürgerlichen Gesellschaft nur bedingt etwas zu tun haben wollen. Das muss sich ebenso ändern wie die kritiklose Verehrung der Internet-Nerds durch die Vertreter der alten Qualitätsmedien. Noch steht der Netzgemeinde ihre Bewährungsprobe noch bevor, nochmal hat sie nicht nachgewiesen, wie sie am Aufbau einer demokratisch organisierten Netgemeinschaft arbeiten will und was sie für den Staat Positives leisten kann. 

Die Realität schlägt durch.

Was folgt aus alledem? Wir müssen den gesammelten und kompilierten Veröffentlichungen im Netz und den Medien noch kritischer und aufmerksamer gegenüber stehen als zuvor. Dies ist keine Regung der Netten und Braven gegen die ungezogenen Wilden, dies ist eine politische Regung. Eine politische Regung, die sich nach wie vor auf unsere totalitären Erfahrungen bezieht, die die Errungenschaften der libertären 60er und 70er Jahre und nicht zuletzt der deutschen Wiedervereinigung beinhalten. Was sich im Internet abspielt, das ist die Kultur der regressiven Trotzkultur, der infantilen Will-aber-nicht-Einstellung. In der ZEIT hat vor kurzem Heinrich Wefing vermutet, dass sich die Bewegung der Trolle und wütenden Netprotestierer beruhigen werden und sich die schlimmsten Auswüchse auswachsen werden. Das kann man so erhoffen, die Anzeichen muss man aber so nicht voraussehen. Auch wenn Ansgar Heveling mit seinen Vorstellungen von der Zukunft des Netzes glatt daneben gelegen hat und mit seiner Prognose keine besondere Affinität zum Thema bewiesen hat, war es an der Zeit, den jungen Wilden einmal die Leviten zu lesen. Der nächste shitstorm kommt bestimmt. Und Gauck wird Bundespräsident.


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