Freitag, Mai 18, 2012

Give Dylan back to Bob Dylan


"What you will see is pure Dylan, mysterious, elusive, fascinating just like his music." 
Ed Bradley

Es war im Jahre 2004 als sich der amerikanische TV-Moderator Ed Bradley einen jahrzehntelang gehegten Wunsch erfüllen konnte und endlich ein Interview mit Bob Dylan führen durfte, der eben den ersten Band seiner Biographie Chronicles veröffentlicht hatte. Die Veröffentlichung hatte einiges Aufsehen erregt und die unter Dylan-Experten üblichen Deutungswettläufe neu in Schwung gebracht. Der Mitschnitt des Interviews, das in der Reihe 60 Minutes auf CBS gesendet wurde, zeigt einen Dylan, der es müde zu sein scheint, auf die immer gleichen Fragen mit den immer gleichen Antworten reagieren zu müssen. Dylan präsentiert sich zurück genommen und eher resigniert, obwohl sein drittes oder viertes Comeback in mehr als 40 Jahren Karriere ihm gerade erst wieder eine Menge neuer Ehrungen und Würdigungen eingebracht hatten. Auch in den Chronicles präsentierte er sich weitaus aktiver und bestimmter, als er es hier in seinem ersten TV- Interview nach zwanzig Jahren tut. 

Dylan weigert sich hartnäckig den zahlreichen Chancen, die ihm Bradley bietet, sich als Superstar und Dichterfürst aufzuspielen, nachzugehen. Er hat die Spielregeln des Show Business nach mehr als 40 Jahren harter Arbeit in ihm völlig verinnerlicht und zigfach kritisch hinterfragt, so dass er auf die frage, ob es ihm etwas bedeute, dass sein Song Like a Rolling Stone von der Rockzeitschrift Rolling Stone Magazine zum besten Rocksänger aller Zeiten ausgerufen worden sei, nur lakonisch achselzuckend antwortet "Maybe this week." er kennt die Denkweise der Medien und kann sich nicht dazu durchringen, sich kampflos zu ergeben und sie zu akzeptieren. 
http://www.youtube.com/watch?v=D6OcdbgQ2kk 60 Minutes - Ed Bradley Interviews Bob Dylan (Dec. 5, 2004)


Und dann kommt es zu einem Austausch, der für manchen Dylan-Fan wie ein Schock gewirkt haben muss. Bradley fragt ihn "And you don’t think you can do it today?", worauf Dylan den Kopf schüttelt und auf die nachfrage, ob ihn das enttäusche, antwortet "Well, you can’t do something forever err, I did it once, an I can do other things now. But I can’t do that." Der Bob Dylan des Jahres 2004 verkündet öffentlich, dass er nicht mehr in der Lage sei, Songs wie die zu schreiben,,die ihn einst weltberühmt gemacht Und aus einem Folkrevival der frühen 60er den Soundtrack einer globalen Jugendbewegung gemacht hatten. Zu diesem Schluss kommt er, nachdem er seine Autobiographie begonnen hat und wenige Jahre zuvor erst mit den höchsten Auszeichnungen der amerikanischen Musikszene, dem Grammy und der Aufnahmen die Rock n Roll Hall of Fame geehrt worden ist. Gleichzeitig produzierte auch 2004 noch Alben, inzwischen über 40, während es der Altersgenosse Leonard Cohen im selben Zeitraum auf gerade mal 12 Alben gebracht hat, und Dylan tourt nach wie vor unermüdlich um die Welt, auf seiner Never Ending Tour, deren Existenz er ebenso hartnäckig bestreitet wie vieles andere, was ihm zugesprochen wird, und auf der er unermüdlich darin fortfährt, sich und seine Musik permanent neu zu erfinden und zu präsentieren. Man könnte in der Rückschau seine ungeheure Produktivität, mehr als 500 Songs stehen auf der Habenseite, als mitunter verzweifelten Versuch verstehen, zu zeigen, dass er nicht mehr der Erzbischof der Anarchie und die stimme seiner Generation ist, als die er der Welt ab 1963 immer wieder angekündigt wurde. Im flower power-Sommer von 1967, im Revolutionsjahr 1968 und im Love & Peace-Jahr von Woodstock 1969 war er schon wieder von der Bildfläche verschwunden und hatte sich völlig neu orientiert, kreativ wie eh und je, aber schon in der Defensive vor den Ansprüchen einer Bewegung, Die bereit schien, ihren wortmächtigsten Troubadour mit aller Härte und Unnachsichtigkeit wegen seiner Weigerung, sich vor ihren Karren spannen zu lassen, zu Strafen und geradezu zu verfolgen. Unter anderem auch deswegen, weil er es gewagt hatte, eine elektrische Gitarre in die Performance der Folkmusik einzuführen. Dabei hatte er ihr zu diesem Zeitpunkt schon zweimal geholfen. Unwissentlich und unwillentlich. Das eine mal verhalf er der Bewegung der Bürgerrechte und des Friedens zu Aufmerksamkeit und Anziehungskraft, als er feinfühlig auf die Strömungen der zeit reagierend, Songs hervorbrachte, wie man sie bis dahin noch nicht gehört hatte. Er kommentierte den konservativen Mainstream, er begleitete die Veränderungen, die in der Luft lagen, er verlieh dem diffusen Gefühl von Veränderung und Aufbruch stimme und Verse. Er Tat dies in aller Unschuld, so wie er ein Liebeslied schrieb oder über das Schicksal eines Landstreichers. Dylan war ein genialer Beobachter und ein sensibler Seismograph menschlicher und sozialer Schwingungen, deshalb schrieb er seine Lieder, die zu Hymnen des Protestes wurden und deshalb waren sie keine Protestlieder, wie er nicht müde wurde zu betonen. Agitation und Massenbewegungen Wareneinfuhr seine Sache. Er sah die Welt durch die Augen der von den Bewegungen der Weltgeschichte betroffenen und beschrieb, was ihnen geschah, er wollte aber nicht Rezepte zur Heilung der Wunden der Welt oder Programme für die Besserwerdung der Welt liefern. 

Und schließlich tat er der Bewegung und sich den nächsten gefallen, als er der Bewegung den Rücken kehrte und seinen bis neue währenden Rückzug aus der gesellschaftlichen Vereinnahmung des Künstlers antrat. Sein Motorradunfall 1966 und die Tatsache, dass er nun dreifacher Vater war, bewirkte, dass er sich jahrelang zurückzog und so den Keim legte, für seine bis heute andauernde Wirkung und Bedeutung. Ohne diesen damals geheimnisvollen, von Gerüchten umrahmten Rückzug und die spätere Rückkehr Auf die Bühne, wäre er heute nur noch eine Erinnerung an die Jahre des Protestes und des Aufbruchs. So aber ist er immer noch da, man hört ihm zu und streitet sich über die Bedeutung seiner Texte und Musik.

Dylan hatte allen Grund vor der Öffentlichkeit zu fliehen. In seinem CBS Interview berichtet er auch davon, wie Fans bei ihm anklopften, um die fragen des Weltfriedens mit ihm zu debattieren. Oder organische Landwirtschaft, von der er auch nichts verstand. Seitdem 60er Jahren besitzt Dylan nun den Nimbus des ehemaligen Chef-Sängers der Bewegung, der quasi wieder geboren wurde und eine unglaubliche Zahl von Metamorphosen durchlief, um sich von den Ansprüchen seiner Verehrer zu befreien. Noch heute aber wird er als derjenige Rockpoet angesehen, der mehr als andere, die Zeitläufte deuten kann, der ahnt, was geschehen wird, der weiß, wo das gelobte Land liegt. Seine quasi-religiösen Texte, in denen er Bilder und Vorbilder der Bibel zitierte und verwendete, um seinen Geschichten Tiefe zu geben, waren es, die eben diese Wirkung verstärkten. Als er dann tatsächlich oder vorgeblich religiös wurde und seine Musik unter dieses Thema stellte, erntete er Spott und neuerliche Ablehnung. 

Wenn man sich Dylans Musik ohne die ideologisch aufgeblasenen Deutungen seiner selbst ernannten Jünger im Hinterkopf nähert, stellt man mit Verwunderung fest, wie erdverbunden und Mensch-orientiert seine Texte sind. Hypersensibler Beobachter, der er offenbar ist, schildert er immer wieder Begebenheiten, Szenen, Lebensläufe, die ihm besonders erscheinen, die exemplarisch stehen oder die auch nur für sich allein stehen. Dabei ist das Sänger -Ich nie der allwissende Schreiber, der seinen Figuren und seinen Zuhörern Lehren erteilen möchte. Er sagt vielmehr, seht her, dies kann uns allen geschehen, dies ist bereits geschehen, zieht eure Lehren daraus oder lasst es bleiben. Dylans Sänger-Ich ist der lakonische Beobachter mit Distanz, der desillusionierte Zuschauer, der keine Lösung bereit hält, der seine Geschichte nicht erzählt, um Unschuld belehren und zu bessern, sondern um zu berichten, was er gesehen hat, was er auf seinen Fahrten erlebt. Diese Erzählungen könnten die erzahlungen anderer Wanderer erganzen und der lauschenden Gemeinde einen umfassenden Eindruck vom leben außerhalb ihrer gemeindegrenzen vermitteln. 

Insofern hat er sich nie von der Haltung des Folkmusikers entfernt, der Geschichten erzählt. Es gehört zu den besonderen Verdiensten dieses Singer Songwriters, dass er dies alles mit einer grandiosen Auswahl an Bildern und Metaphern tun kann, mit einer Fülle von Beobachtungen und Szenen, die von einem geradezu liebevollen Interesse an und einem zärtlichen Respekt vor der Lebenswirklichkeit der anderen zeugen. Seine Lieder, in denen er von der Einsamkeit der Straße und des Lebens singt, oder in denen er einer Frau seine liebe gesteht, sind frei von jedem Kitsch und falschem Pathos, sondern schaffen es, die schlichte Unbedingtheit der Lebenserfahrungen wirkungsvoll stehen zu lassen. Dylans Kunst besteht nicht unwesentlich darin, fragen zu stellen , wo andere Antworten geben wurden. Auch darin lag sicher damals ein Grund, warum er sich nicht zur stimme seiner Generation machen lassen wollte. Er wurde noch von viel zu viel fragen an das leben und die Gesellschaft getrieben, als dass er sich durch den zwang, Antworten geben zu müssen, um seine eigene Entwicklungsperspektve bringen lassen wollte. Die Konsequenz, mit der er der Verführung durch die Medien und die Gesellschaft widerstanden hat, nötigt damals wie heute Respekt ab. Seine Einsicht, dass ein paar Lieder den Lauf der Welt nicht wurden ändern können, hat sich nur wenige Jahre später, kurz nach dem sein Stern auf und fast schon wieder untergegangen war, dramatisch bestätigt. Auf Woodstock folgte Altamont, auf San Francisco 1967 folgte der Pariser Mai 1968, auf Love & Peace folgte der Terror von Bader Meinhof und des schwarzen September, auf die Blüte des Rock n Roll folgte der Verlust so vieler Talente wie Jim Morrison oder Jans Joplin.... 

Wenn man heute Dylans Musik hört, kann man und muss man all diese Erfahrungen und die in den Jahrzehnten danach noch folgenden in die Deutung der Texte mit einarbeiten. Dass die nie explizit auf die Zeitgeschichte Bezug nehmen, mach sie dennoch offen für die entsprechende Deutung, als Kunstwerke dürfen sie natürlich auf die Ereignisse im Umfeld ihrer Entstehung bezogen werden, wenn sich genügend gute Gründe dafür anführen lassen. Der Musikjournalismus mit seinen schlichten Geschmacksurteilen und seinem positivistischen Verständnis von Zeitgenossenschaft vermag es oft nicht, die Trennlinien zu ziehen. Daher ist Dylans Kampf um seine künstlerische und persönliche Unversehrtheit und Selbstbestimmtheit auch als Reflex auf die plumpe Inanspruchnahme durch die Fachpresse zurückzuführen. Die später einsetzende Rezeption in den Feuilletons, die sogar bis in die Nähe des Literaturnobelpreises führten, zeigt, dass man sich dem Werk und der Person Dylans anders nähern muss, als nur apologetisch oder polemisch. 

Die Chronicles sind ein weiterer, vielleicht letzter Versuch, der Öffentlichkeit zu entkommen. Dylan erzählt interessant, aber lückenhaft von seinen Anfängen und verschiedenen Abschnitten seiner Karriere. Aber er zieht keine Bilanz, er will offenbar nicht die ultimative Biographie verfassen, die alle fragen nach wer wann wo mit wem definitiv beantwortet, sondern er tupft weitere Skizzen in die Welt, in denen er sich selbst als suchenden Anfänger darstellt, als gereiften Profi, der mit keinem Wort mehr auf den Reifeprozess eingeht, der ihn von New York 1963 nach Nashville 1989 geführt hat, als selbst gewisser Künstler, der sich selbst mit all seiner Empfindlichkeit und Begabung sehr sehr Ernst nimmt und sich ungern in seine professionellen Musikbelange hineinreden lässt. 

Insofern ist der melancholische 60 Minutes Auftritt so gar nicht mit der einen oder anderen Beobachtung und auch Selbstbeschreibung des Schriftstellers Bob Dylan vereinbar. Was im Buch noch wie eine logische, nicht hinterfragte Entwicklung aussieht, ist im Interview Anlass für eine wehmütige Abschiedsszene, deren Wirkung als großartige melancholische Inszenierung man sich nicht entziehen kann. Bob Dylan schafft im Gespräch mit Ed Bradley zweierlei: er beteuert, dass sein alter Ego, der junge Bob von 1963, nicht mehr existent ist, dessen Werk also als vollendet und abgeschlossen gelten muss. Andererseits aber Ist er der Neue alte Bob Dylan, der weiter macht, der über die Erfahrungen des jungen verfügt und seine Musik in Bereiche und an grenzen geführt hat, die dem jungen (noch) nicht zur Verfügung standen. die alten Songs der Aufbruchszeit funktionieren heute nicht mehr, sie haben sich überlebt und an Wirkung verloren. Das ist eine einfache Tatsache. Blowing in the Wind und Times they are a-changing lassen sich heute nicht ohne die Erfahrung des Scheiterns der Bewegung hören und beurteilen.

Bob Dylan hat sich sich selbst zurück gegeben und das sollten wir, die wir ihn verehren und wertschätzen, auch tun. Wischen wir die 60er-Patina zur Seite und entdecken Bob Dylan als unseren Zeitgenossen, der jedem von uns etwas zu sagen hat, wenn man nur zuhören will und keine vorgefertigten Antworten erwartet. Vielleicht trifft ja auch auf den einen oder anderen Zuhörer zu, was Dylan im Interview über seine inneren Beweggründe sagte und wenn, dann wäre es gut: "It is a feeling that you have that you know something about yourself that nobody else does, The picture you have in your mind of what you’re about will come true. That’s a kind of thing you have to kind of keep to your own self. Because it’s a fragile thing. An if you put it out there somebody’ll kill it. So it’s best to keep that all inside."

Keine Kommentare: