Donnerstag, Juni 14, 2012

Er steht dort und kann nicht anders


Bundespräsident Joachim Gauck
Foto: Bundespräsidialamt 

Einmal mehr: Gauck
Für den einen ist er der Größte seit Erfindung des Bundespräsidentenamtes. Für den anderen ist er das größte Ärgernis als Bundespräsident seit Erfindung des Bundespräsidentenamtes. Joachim Gauck ist es in den wenigen Monaten seit seiner Wahl gelungen, nicht nur den Vorgänger und die von ihm ausgelösten Diskussionen vergessen zu lassen, sondern tatsächlich der unbequeme und unkonventionelle Präsident zu werden, vielleicht sogar der Demokratielehrer, den viele Beobachter in ihm gesehen haben.
Befreien und entledigenDabei ist dem Pfarrer im höchsten deutschen Staatsamt auch gelungen, sich aus der Vereinnahmung der einen zu befreien und der Ablehnung der anderen zu entledigen. Und er hat es in Windeseile vermocht, sich bei dieser schwierigen Gratwanderung keinerlei tastende ängstliche Rücksichtnahme oder gar eitles abwartendes Spekulieren anmerken zu lassen. Er hat zum Beispiel den Besuch in Israel trotz aller publizistischen Begleitmusik in souveräner Manier durchgestanden und auch die Israelis beeindruckt und er hat sich bei Themen wie beispielsweise den Auslandseinsätzen der Bundeswehr in einer Art und Weise zu Wort gemeldet, die der einen oder anderen Partei im Bundestag und manchem Journalisten die Haare zu Berge stehen ließ. Gauck gelingt es in einzigartiger Weise immer wieder, elegant und fast wie nebenbei Stiche zu setzen, Punkte zu machen. 

http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-06/joachim-gauck
Audiatur et altera pars.....

In seiner Rede vor der Führungsakademie der Bundeswehr warb er nicht für Auslandseinsätze, sondern versuchte deutlich zu machen, wie aus seiner Sicht die militärische Option der Politik mit der Gesellschaft unserer Gegenwart zu harmonisieren sein könnte. Man kann sich nicht vorstellen, dass Gauck nach zwanzig Jahren im vereinten Deutschland nicht geahnt haben soll, in welches Wespennest der deutschen Selbstverleugnung und politischen Lebenslüge er da hinein stach. Dementsprechend müssen seine Ausführungen wohlkalkuliert und von echten Überzeugungen getragen vorgebracht worden sein. Überhaupt nimmt man diesem Präsidenten, man möchte eher ganz unprotokollarisch sagen: diesem Mann, ab, dass er aus voller Überzeugung sprich und sich in denen von keinem Opportunismus beeinflussen lässt. Er sagt, was er glaubt, sagen zu müssen und was er - ganz im Sinne Luthers - gar nicht anders sagen kann. Dieser Impetus bestimmt den öffentlichen Auftritt Gaucks, dieses Bestreben leitet seine rhetorische Präsenz.

Sinnleere öffentliche Rede
Und darin wirkt er in einer Art und Weise authentisch, die einem altgedienten Bundesbürger die Schamröte insgesamt treiben muss, weil man sich an diese halbseidenen Aufschneider und angepassten Sonntagsredner gewohnt hat und gar keine anderen Ansprüche mehr an seine politischen Repräsentanten stellt, als eben diesen Standards gerecht zu werden. Und so wurde der Katalog der Tabus, der rhetorischen No-go-areas, der Themen mit Brisanz immer mehr erweitert. Am Ende stand eine völlig blut- und sinnleere öffentliche Rede und Sprache, die ein heimlich-unheimliches Unbehagen in der Sprache hinterließ, die aber das Kennzeichen des öffentlichen Diskurses geworden ist. Und nicht der Bundestag oder die Landesparlamente sind die Horte der Plattitüden und Leerformeln, sondern die interviews und Talkrunden in den Medien. 

Um einem beliebten Missverständnis gleich vorzubeugen: Nicht die Medien haben diese Sprachverwendung geschaffen, sondern die von ihnen hofierten Politiker. Denen werden seit Jahren die Bühnen geboten, auf denen sie ihre erfolglosen Debatten publikumsträchtig fortsetzen können. Allerdings haben die zahllosen Printredaktionen ihren Teil redlich dazu beigetragen, indem sie das PR-Deutsch unzähliger Pressestellen wortgetreu übernehmen und sich als professionelle Deuter des Gesagten und Gemeinten profilieren. Generationen von Journalisten werden in der Kunst geschult, aus den Presseinformationen lesbare Meldungen zu machen, nur um die Spalten zu füllen. Vor diesem Hintergrund wirkt ein Mann, der die Kunst des klaren Wortes und des ureigenen Denkens pflegen möchte, wie eine ständige Gefährdung des intellektuellen und kommunikatorischen Mainstreams. 

Balance zwischen Common Sense und Political Correctness 
Klar ist, Gaucks Auftreten und seine rhetorische Qualität sind nur solange wertvoll, wie sie nicht ins Kalkulierte und Gewollte abgleiten, beziehungsweise dort stecken bleiben. Bisher ist es ihm oft gelungen, die Balance zwischen Common Sense und Political Correctness zu wahren. Er forciert nicht die Rolle des unkonventionellen Präsidenten um jeden Preis, ebenso wenig ist er ein unkalkulierbarer selbstverliebter Schwadroneur, der keinen Pfifferling auf die politische Wirkung seiner Äußerungen gibt. In dieser Doppelrolle schafft er es, dem einfachen, pragmatischen Denken des Durchschnittsbürgers eine wohl klingende, gut durchdachte Ebene einzuziehen. Er gibt diesem Denken erst geistige Schärfe und Maß. Soviel, dass sich der Bürger wiedererkennt und verstanden fühlt. 

Auf der anderen Seite bietet Gauck dem Mainstream und den abgestandenen Formeln der politischen Standards die Stirn und hält ihnen die Kraft des Gedankens und der deutlichen Formulierung entgegen. Nur mit dem einen Unterschied, dass sich der politische Dampfplauderer ertappt fühlt und lauthals oder insgeheim Kritik am Auftreten des im besten Sinne eigenwilligen Präsidenten übt. Darin unterscheidet er sich grundlegend von dem anderen Vorgänger, der für seine vorgeblich überragenden Redebeiträge mit Ehren überhäuft wurde, Richard von Weizsäcker. Dem war es vor allem gelungen, dem Amt ein hohes Maß an protokollarischer Würde und zu verleihen. Inhaltlich war er der Präsident des Establishments, das sich geschmeichelt in seinen Auftritten spiegelte. Sein sozialdemokratisches Pendant, Gustav Heinemann, wurde 1969 zur Galions- und Symbolfigur des Wandels zur sozialliberalen Ära von Brandt und Scheel. 

Brückenschlagen
Die viel kritisierte Rede des Präsidenten vor den Nachwuchsoffizieren der Bundeswehr nun sollte dem Ziel dienen, zum einen die wachsende Kritik der Bevölkerung an einem sich mehr und mehr als sinnloses Engagement für die verkehrte Sache aufzunehmen und andererseits dem gefährlichen Engagement der Soldaten seinen Sinn als Bürger in Uniform, als Verteidiger des Grundgesetzes zurückzugeben. Hier schlägt er eine Brücke zwischen den verschiedenen extremen Ansichten, versucht sie nicht unentschlossen zu verrühren, sondern stellt sie in einen neuen Zusammenhang und lässt das Licht der Argumentation über das Problemfall wandern. Billig wäre es gewesen, die Politik der Bundesregierung schlicht zu verteidigen oder sie schlecht aussehen zu lassen. Und wie sich herausstellt, möchten Politiker gern dem Präsidenten soufflieren, was er sagen darf, um nicht anzuecken. Der Respekt vor dem Amt leidet in solchen Momenten sehr und keiner der Vertreter des Parlaments schafft es, ihn zu wahren. Gauck also als Kriegstreiber zu bezichtigen geht völlig am Thema vorbei, ihm zu unterstellen, er wolle die Opfer in Afghanistan nicht sehen, sondern wolle einem bedingungslosen Engagement der Bundeswehr weltweit das Wort reden. Bei der eher verhaltenen Diskussion über dieses Thema Drang der argumentative intellektuelle Mainstream wieder durch, wenn gezielt und mit Absicht die Rede des Präsidenten missverstanden wurde und wieder auf den Boden der Tatsachen geholt wurde, um sie nicht ernsthaft diskutieren zu müssen. 

Hinhören und widersprechen
Keine 100 Tage im Amt und doch scheint sich abzuzeichnen, dass Gauck es schaffen könnte, der praktischen Vernunft, dem unabhängigen Gedanken seinen Stellenwert zurück zu geben und damit am Ende nahe am Volk zu sein, ohne sich dort anbiedern zu müssen. Gauck ist dabei unbequem, wenig anpasserisch, kaum taktisch. Das macht es spannend und lohnenswert hinzuhören, wenn er spricht. Wenn Gauck es schafft, sich nicht den Gesetzen des Politikbetriebes anzupassen und sich nicht vom Dauerfeuer der Medien mürbe machen zu lassen, dann werden sich die fünf Jahre seiner Präsidentschaft für uns alle gelohnt haben. Hören wir also zu und widersprechen ihm, wann immer es der Diskussion gut tut. 

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