Dienstag, Juni 12, 2012

Trivialliteratur, Sixties und die Utopie

Der erste Deutsche im Weltall - Perry Rhodan


Er hat keinen Platz in der neuzeitlichen Literaturgeschichte Deutschlands, sein Name wird nicht im Zusammenhang mit der literarischen und gesellschaftlichen Aufbruchbewegung der 60er Jahre genannt und seine Leser müssen sich auch mehr als 50 Jahre nach dem Erscheinen des ersten Heftes der Perry Rhodan-Serie als flachschürfende Freunde trivialen Literaturgutes bezichtigen lassen. 
Über 2500 Folgen


Dabei ist diese bekannteste, erfolgreichste und langlebigste Trivialserie um einen unsterblichen amerikanischen Ex-Astronauten, der mit Hilfe technisch hochentwickelter Außerirdischer die Welt politisch eint und schließlich die Terraner genannten Erdbewohner auf Eroberungszüge ins All führt, in ihrer Bedeutung für die Etablierung der Science Fiction-Literatur ein wichtiger Wegbereiter. Gleichzeitig nahmen die Autoren der Serie, die inzwischen über 2500 Folgen und eine große Zahl an Nebenprodukten und Spinoffs produziert haben, verschiedenste literarische, politische und gesellschaftliche Einflüsse auf und verarbeiteten sie in ihre ganz besondere, vielleicht sogar besonders deutsche Melange. 




Als sich in den frühen 60er Jahren die ersten Autoren unter der Leitung von Karl-Heinz Scheer zusammenfanden, um eine deutsche Science Fiction-Reihe aufzulegen, kamen dort Autoren einer Generation zusammen, die selbst noch größtenteils aktiv den Krieg als Soldaten erlebt hatten. Als Kriegsheimkehrer und Angehörige der Aufbaugeneration der 50er Jahre hatten sie den viele Intellektuelle und Publizisten beherrschenden Geist von Frieden und Verständigung verinnerlicht. Gleichzeitig waren sie von den literarischen Vorbildern geprägt, die sich nach den ersten Erfahrungen mit der vernichtenden Gewalt der Atomkraft und den sprunghaften Entwicklungen der Technik nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Science Fiction-Genre eine wichtige Strömung entwickelt hatten. Diese Strömung, repräsentiert durch Autoren wie Isaac Asimov, Ray Brabury und in Europa Stanislaw Lem, zeichnete sich durch die Verbindung technologischer Zukunftsschau in Verbindung mit der Grenzbegehung menschlicher Möglichkeiten aus.


Technikzeitgeist, kalter Krieg, Wettrüsten 
Damit lieferte die Literatur ihren ganz besonderen Beitrag zur kritischen Begleitung des herrschenden optimistischen Technikzeitgeistes. Befeuert durch die Begleiterscheinungen des kalten Krieges, der sich zunehmend zu einem militärischen und technologischen Wettrüsten entwickelte, spiegelten die amerikanischen und europäischen Schriftsteller die Bedingungen des Lebens im Übergang von den 50ern zu den 60er Jahren. Zu der Zeit war es keine Perspektive anzunehmen, dass die 60er Jahre zum Jahrzehnt des Aufbruchs und der Revolte werden würden. Ende der 50er Jahre standen die Zeichen der Zeit auf globalen Konflikt zwischen den Machtblöcken und ganz und gar im Schatten der immer gegenwärtigen atomaren Bedrohung. Diese Bedrohung war fast nirgends auf der Welt so deutlich zu spüren wie im geteilten Deutschland, das bei einer atomaren Auseinandersetzung der Blöcke als Ground Zero der Erstangriffe galt. Diese in Verbindung mit der gerade erst überstandenen traumatischen Kriegserfahrung und der kollektiven Verantwortung, die die Deutschen daran trugen, machte die Idee, eine Unterhaltungsromanreihe zu entwickeln, die sich den Prinzipien der Völkerverständigung und des Weltfriedens verpflichtet fühlte, besonders attraktiv. 

Erfahrung und literarische Verarbeitung
Einerseits eröffnete es den Autoren die Möglichkeit, ihre traumatischen Kriegserfahrungen literarisch zu verarbeiten und dabei gleichzeitig andererseits die eigene historische Erfahrung in der literarischen Fiktion quasi zu überwinden und in ihr positives Gegenteil umzuschreiben. Mit diesem Ansatz schufen sie eine Reihe, die in wenigen Jahren vor allem unter den männlichen Jugendlichen Deutschlands ungeheuren Erfolg zeitigte. Von der gesellschaftskritisch gestimmten Literaturkritik und den aufklärerisch gesonnenen Medien als faschistisch und beinahe volksverhetzend geschmäht, wenn überhaupt zur Kenntnis genommen, setzten die Autoren ihren Weg unbeirrt fort und malten den Weg ihres Protagonisten zu einem kosmischen Über-Helden von fast übermenschlicher Tatkraft, Weitsicht und Charisma immer weiter aus. Dabei erinnerte die Hauptfigur in ihrer moralischen und intellektuellen Vollkommenheit immer wieder an den deutschen Superhelden vom Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts, Old Shatterhand von Karl May.

Die Jugend der 60er Jahre reagierte auf den neuen Superhelden begeistert und verschlang Woche für Woche seine Abenteuer mit seinen phantastischen Freunden im Kampf mit den seltsamsten Völkern in den Milchstraßen des Alls. Für die Jugend mag aber der Aspekt, mit Hilfe der trivialen Science Fiction den spießbürgerlich engen Lebensverhältnissen zu entkommen, ein unbewusster Ansporn gewesen sein, sich dieser Art der Lektüre zu verschreiben. Ende der 60er Jahre hatte die Reihe die Millionengrenze längst überschritten, die alten Hefte wurden in zweiter und dritter Auflage neu aufgelegt und immer noch gekauft und gelesen.

Verständigung über die Generationenkluft hinweg
In diesem Prozess der Lektüre begegneten sich auf der Autoren- und der Leserseite völlig unterschiedliche Generationen, die sich über die Generationenkluft hinweg verstandigten und austauschten. Die Botschaft der Autoren, die von der Notwendigkeit einer befriedeten Welt überzeugt waren, kam bei den jungen Menschen an, deren Zukunft noch immer unter der dunklen Drohung des Konfliktes der Systeme stand. Die älteren Autoren holten nach und nach jüngere Schreiber in die Redaktion, erweiterten und ergänzten den Kreis der Schreiber und nutzten geschickt die Fähigkeiten der jüngeren, die meist vom Leser zum Schreiber geworden waren, um noch mehr Leser an sich zu binden.
In dem Masse wie die geschichtlichen negativen Erfahrungen der Rhodan-Urheber verblassten, in dem Masse floss der stärker werdende Einfluss der anarchischen End-60er Jahre und der libertären 70er in die Heftreihe ein, was den Erfolg fortsetzen half. Am Rande der Hochkultur schaffte es eine Hervorbringung der Trivialliteratur, die sprachlosen Generationen miteinander ins Gespräch zu bringen.

Preisgabe der Vorbilder
Es mag den Konflikten mit der Kritik geschuldet gewesen sein, dass es für Perry Rhodan keinen Ausweg aus seiner anthropozentrischen Fixierung geben konnte. Die Dramaturgie der Geschichten und ihrer Zyklen ließ es nicht zu, dass die Perspektive der Erdbewohner, der Terraner, zugunsten einer galaktischen multikulturellen Gesellschaft aufgegeben wurde. Die Schwerpunktsetzung auf die Eroberungsfeldzüge der Terraner im All, ihre Verteidigungskämpfe gegen fremde Eindringlinge und die zahllosen Abenteuer, die sich an dieser neuen Grenze ergaben, führten zunächst dazu, sämtliche möglichen Nebenstränge der Erzählungen außer acht zu lassen. So gab man einen großen Teil des literarischen Erbes der Vorbilder auch wieder preis, tolerierte dies aber ohne Skrupel angesichts des überwältigenden Erfolgs der Serie.

Angesichts dieser Probleme ist denn auch gar nicht verwunderlich, dass es bis auf einen misslungenen Versuch, nicht gelang, eine Filmversion der Reihe zu produzieren. Dies hätte die reaktionären Gehalte des Erzählkonzeptes womöglich deutlicher herauskommen lassen, als es wirklich gewünscht gewesen wäre. Auch spätere Versuche scheiterten bis in die Gegenwart hinein. Es brauchte allerdings nur knapp weitere zehn Jahre, bis 1977 mit der Star Wars Saga eine Produktion in die Kinos kam, die nicht weniger kriegerisch, aber dabei selbstironisch und erklärtermaßen unterhaltend wirkte. 

Triviale, wirksame Utopie
Fünfzig Jahre nach dem Start der Perry Rhodan Romanserie ist die Reihe insgesamt immer noch am Markt, immer noch erfolgreich. Manche Leser haben ihr tatsächlich über diese lange Wegstrecke die Treue gehalten. Unter den Veteranen der Anfangsjahre entsteht heute das Bedürfnis, zu verstehen, was man seinerzeit unreflektiert konsumierte und was als Antwort auf den Kalten Krieg und als Reaktion auf die zarte Entwicklung der Friedensbewegung der frühen Jahre entstand und bis heute fortbesteht. Um seine Stellung im deutschen Literaturkanon wird Perry Rhodan auch heute noch kämpfen müssen, eine echte Chance hat er nicht. Aber seinen ehemaligen und aktuellen Fans war er eine Andeutung dafür, was es bedeuten könnte, würde die Menschheit sich auf ihre besseren Möglichkeiten besinnen. Eine optimistischere Utopie war nicht zu denken – und ist es wohl noch heute nicht. Und das ist keineswegs trivial.

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