Donnerstag, November 22, 2012

Wie schreibe ich einen Blog, der niemanden langweilt? Ein Crashkurs für Anfänger in 7 Schritten


Wieviel Regeln braucht's, um einen lesbaren Blog zustande zu bringen? Versuchen wir's einmal mit den ersten sieben...
Wollen Sie gern einmal so richtig Spaß am Zeitung- und Zeitschriften lesen haben? Gerne auch mal online, ist ja dem Vernehmen nach ohnehin eine immer beliebter werdende Variante der aktuellen Lektüre. Ob nun derzeit beliebter beim Verleger oder beim Leser bleibe mal dahingestellt. Nein, wenn sie Spaß am Lesen haben wollen, dann lassen Sie als allererste Maßnahme all jene Artikel, Kolumnen, Kommentarspalten oder Blogs beiseite, die mit dem Wörtchen Humor, Satire oder Glosse überschrieben ist. Dort, so lehrt uns die Leseerfahrung, lauert der zeilenschindende, massenkompatible, RTL-Comedy-geschulte Mainstream-Schreiber unserer geschätzten Aufmerksamkeit auf und verfehlt meist den G-Punkt unserer Humorfähigkeit souverän.
Kurz und gut: Wenn man sich so richtig Spaß an der Lektüre verschaffen möchte, dann lese man die politischen, kulturellen, wirtschaftlichen, ökonomischen etc etc Kolumnen oder auch Blogs, die alles andere sein wollen und wohl auch sein sollen als lustig. So wie der Slapstick eine der zurecht meist belachten Humorformen ist, weil er zumindest vorgibt, ein Versehen zu sein, unbeabsichtigt, tüdelig, verpeilt, so sind diese Hervorbringungen journalistischer Schreibwerkstätten das oft auch , unfreiwillig komisch. Unfreiwillig natürlich, weil sie ja eigentlich den Leser über die wahren Zusammenhänge der Zeitläufte aufklären möchten. Komisch deshalb, weil sie voller heiligen Ernstes, voller bierernster Selbstgewissheit daher zu kommen scheinen. Scheinen, wohlgemerkt, denn ein Rest von Zweifel an dieser messerscharfen Analyse muss bleiben, weil es ja eigentlich nicht sein kann, dass soviele engagierte Redaktionen und ambitionierte Schreiber ihr Klassenziel verfehlen. Andererseits aber scheint es so zu sein, dass all diese nervenden oder verstörenden Referatsschreiber an den Unis irgendwann einmal einen Job brauchen, in dem sie mit denselben Fähigkeiten und Fertigkeiten dem Erfolg hinterher hasten wie an der Uni. So entbehrt also der Gedanke, dass die Typologie der Referatsschreiber, die unlängst in Spiegel online festgestellt wurde, auch eine der Verfasser dieser einschlägigen Auslassungen in Zeitungen und Zeitschriften sein könnte.

(Für alle, die es überlesen haben..... http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/typologie-der-referenten-uni-vortraege-des-grauens-a-867538.html)

Der alternative Marsch
Und so legt der begabte BloggerKolumnist also los und darf sich mit der Lizenz des individuellen Blickes, des unabhängigen Verstandes und glasklaren Ausdrucksfähigkeit ans Werk machen. Einigen dieser Kaste hat eigene Prominenz auf dem Weg zu dieser Aufgabe nicht geschadet, so zieren sie das Impressum der Publikation. Andere sind durch andere, berufsfremde Talente auffällig geworden und dürfen nunmehr eben diese auch publizistisch nutzen. Eine weitere Gruppe macht den Eindruck, als gehörten sie zu ewigen Newcomers der Branche, den Gesuchten neuen Stimmen, die den etablierten mal so richtig den alternativen Marsch schreiben dürfen.

Für den Leser ist es zunächst egal, mit welcher der drei beschriebenen Spezies von BloggerKolumnisten (BK) er es zu tun bekommt. Wichtig für sie ist die Tonart, mit der hier immer wieder letzte Wahrheiten, überraschende Einsichten, fundamentale Wendungen und enthüllende Beschreibungen aufgetischt werden. Dem leidenschaftlichen BK ist dabei die Befolgung der ersten Regel seines Genres am hilfreichsten und wichtigsten: "Bürste es gegen den Strich." "Es" ist dabei wahlweise die Rentenpolitik, die Eurorettung, der Gender Mainstream oder der Einsatz von Mario Götze als einziger Sturmspitze. "Gegen den Strich" bedeutet in der Sprache des redaktionellen Auftraggebers "ungewöhnlicher Blickwinkel, Wechsel der Perspektive, verlassen der ausgetretenen Trampelpfade des öffentlichen Diskurses." Hier findet man dann also selten das affirmative Nachbeten offiziöser Positionen und Einlassungen, hier ist der Ort der Abrechnung und des Enthüllens, hier wird das Eigentliche hinter den politischen/ökonomischen/kulturellen Entwicklungen dargestellt. Wenn die Headline im Aufmacher aus der Pressekonferenz oder der Pressemeldung brav zitiert wird, darf hier auch schon mal spekuliert oder ein kühner historischer Vergleich gezogen werden. 

Dies folgt der zweiten Regel "Sei nicht ausrechenbar!" Anders als für den Aufmacher oder den Nachdreher darf im BK auf keinen Fall das Schema F abgearbeitet werden. Es geht vielmehr um die besondere Bedeutung des Themas, die groß angelegte Einordnung, die ungewöhnliche, die überraschende Deutung eines Vorganges. Dies alles vor allem zu dem Zweck, dem Leser ein Spektakel zu bieten, ein Spektakel der Einsicht und des Verstehens, das ihn mit dem Eindruck zurück lässt, weiter in die Materie und viel weiter in die Hintergründe einer Sache eingedrungen zu sein als der Chronist aus der Agentur oder der Fachredaktion von nebenan. 

Mix it up
Dazu verhilft auch Regel drei: "Mische die Standards, Genres und Stilmittel!" Wer Phänomene der E-Kultur nur mit Argumenten und Beispielen der E-Kultur erläutern möchte, der muss scheitern, weil er ein gewisses Maß an Kennerschaft voraussetzt. Wer aber E-Kultur mit Mitteln der U-Kultur erklärt, der kann an Bekanntem anknüpfen und kann mit mehr Verstehen und Zustimmung rechnen. Noch wahrscheinlicher wird dies, wenn man bei jedem Thema den Vergleich mit der Pop-Kultur bemüht. Dann ist sowohl der Papst wie auch der Bundestrainer oder der amerikanische Präsident ein Phänomen der Pop-Kultur.
Mittels der vierten Regel, "Setze alles mit allem in eine wenigstens plausible Analogie!", ist dies ohnehin eines der leichtesten Unterfangen. Eine Ähnlichkeit im Habitus? Aha, der neue John F. Kennedy. Derselbe Dialekt? Aha, der typische Pfälzer wie Helmut Kohl. Dieselben Hobbys? Klar, der neue Einstein. In direkter Verbundenheit mit Regel 5 ist die vierte noch viel wirksamer. Regel 5 besagt "Mach klar, dass nichts ist, was und wie es scheint. Und du hast es als erster erkannt!" Peer Steinbrück ein treu sorgender Bürokrat? Weit gefehlt, ein aufbrausender Temperamtsbolzen mit der Neigung zu unüberlegten Äußerungen. Helmut Schmidt ein Ex-Kanzler mit einer Karriere nach der Politik? Nein nein, eine Kassandra mit der Neigung zum Besserwisserischen. Jogi Löw ein Kenner des Fußballs? Ach, woher denn, eine beratungsresistente Mimose. 

Wer es bis hier her geschafft hat und entschlossen ist, diese Regeln anzuwenden, der macht den Sack der BK endgültig zu, wenn er mit Regel sechs beachtet, "Irre dich niemals!" Irrtümer sind für diejenigen, die diese Zeilen nicht gelesen haben, Irrtümer begehen nur jene, die sich allzu sehr an Fakten klammern und ihre Chronistenpflicht erledigen wollen. Die Freiheit des BK ist es, sich innerhalb der eigenen Maßstäbe und Werte eingerichtet zu haben. Von hier aus, von der Höhe dieser Warte versieht er uns mit seinen immer wieder neuen Verkündigungen. Er irrt sich dann auch schon deshalb nicht, weil er mit Regel sieben der Überzeugung ist "Lege dich niemals eindeutig fest!" So kann Peer Steinbrück heute der ideale SPD-Kanzlerkandidat sein, wenn man bedenkt, dass es zur Zeit keinen Besseren gibt, und morgen schadet er der Partei und sollte bald ausgetauscht werden, wenn er sich nicht noch ändert. Allein ein solcher Wechsel und ein solches hinundher ist unterhaltsam, ist neu, ist ungewöhnlich. Also lesbar und verständlich. 

Schon gelesen?: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/augstein-warum-steinbrueck-der-falsche-kanzlerkandidat-ist-a-866612.html
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jakob-augstein-ueber-spd-kanzlerkandidat-steinbrueck-a-858877.html
http://blogs.taz.de/newyorkblog/2012/11/12/obama-und-die-deutsche-seele/

http://faz-community.faz.net/blogs/skurril/archive/2012/10/22/alles-fliesst-liquid-orchestra.aspx

Wer sich an dieses Grundgerüst, dieses Mindestgebot an Elementen hält, der wird immer unterhaltsam, lustig und hintersinnig daher kommen. Gerade in diesen Tagen, an denen einmal mehr über die Zukunft des (Print- und Qualitäts) Journalismus debattiert wird, zeigt sich, wie die Unverbindlichkeit des Online-Genres stilprägend für den modernen Journalismus wirkt. Schauen wir mal, wie sich dies in der Zukunft entwickelt. Spaß werden wir allemal dabei haben, soviel scheint gewiß...

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